Sweatshop 2.0 in Palästina

Weltbank will in den Autonomiegebieten bis zu 55 000 Computerjobs schaffen - zu unterirdischen Bedingungen

  • Oliver Eberhardt
  • Lesedauer: 3 Min.
Die Weltbank glaubt, eine Antwort auf die hohe Arbeitslosigkeit in Palästina gefunden zu haben: Ein Projekt namens »Microworks« soll bis zu 55000 neue Jobs schaffen. Am Computer, zu minimaler Bezahlung, ohne Absicherung und Arbeitnehmerrechte. Politiker begrüßen das Vorhaben.

Am Anfang war die Machbarkeitsstudie: Gut gebildet, sprachgewandt seien sie, die Palästinenser, heißt es in dem Papier der Weltbank, genau die Richtigen also, für ein Projekt wie »Microworks«, bevor dann jene Worte fallen, die Politiker lieben: bis zu 55 000 Jobs könnten dadurch entstehen, Jobs, von denen alle profitieren - die Menschen, die endlich wieder Geld verdienen, und damit die Wirtschaft ankurbeln. Und die Unternehmen, die das Know-how dieser Leute nutzen könnten, um ihre Geschäftsprozesse zu optimieren. »Klingt gut«, resümiert der ehemalige palästinensische Ministerpräsident Salam Fajad, der vorige Woche sein Amt an seinen Nachfolger Rami Hamdallah übergeben hat: »Dieses Projekt bietet eine dringend benötigte Lösung für unsere Arbeitsmarktprobleme an«, sagt der Wirtschaftswissenschaftler, der früher selbst für die Weltbank arbeitete.

Verschiedener Meinung

»Internetbasierte Formen der wirtschaftlichen Beteiligung können ein wunderbarer Schritt nach vorne sein. Wir unterstützen Bemühungen in diesem Bereich voll und ganz«, sagt sagt Mariam Sherman, Weltbank-Direktorin für das Westjordanland und Gaza. »Microworks« sei »ein einzigartiges Phänomen, dass ein bedeutendes Potenzial für die Beschäftigung von Jugendlichen bietet«. Schon bald wolle man das Vorhaben mit einem Pilotprojekt in die Realität umsetzen.

»Das wäre die Rückkehr ins 19. Jahrhundert«, kritisiert Hassan Khalili von der palästinensischen Gewerkschaftsvereinigung PGFTU. »Microworks« sei nichts weiter als ein digitales Fließband, an dem die Leute im Akkord arbeiten. Und zwar so: Internationale Konzerne teilen Geschäftsprozesse für »Microworks« in Einzelaufgaben ein, die dann in Palästina an Computer oder Smartphone erledigt werden sollen, und zwar die gleiche Aufgabe, Dateneingaben beispielsweise, immer und immer wieder.

Was den Gewerkschafter »wirklich sauer« macht: Die Bezahlung wäre minimal, läge Weltbank-Schätzungen zufolge bei maximal 1,50 Euro die Stunde, weshalb vor allem Jugendliche ab 14 und Frauen für diese Art der Arbeit gewonnen werden sollen.

Arbeitnehmerrechte gibt es nicht: Die Weltbank warnt, höhere Löhne oder gar Lohnnebenkosten für die soziale Absicherung würden das Vorhaben zunichte machen. Die Unternehmen gehen keine Verpflichtung gegenüber den Arbeitern ein, können jederzeit dahin gehen, wo die Arbeitskräfte billiger sind.

Das Kapital will weiter

Dass das jederzeit geschehen kann, sieht man am Beispiel Indien: Dort wurde ein Projekt, dass »Microworks« ähnelt, im Laufe der vergangenen Jahre zu einem regelrechten Wirtschaftszweig. Bis die Regierung begann, klare Regelungen und angemessene Löhne einzufordern. So sollen dort keine Jugendlichen mehr Tag für Tag, Stunde um Stunde immer das Gleiche am Computer tun, nachdem eine Studie der Universität Neu-Delhi ein erhöhtes Vorkommen von Schlafstörungen bei diesen Jugendlichen fest gestellt hat.

Zudem monieren indische Wirtschaftsexperten, dass gerade junge Menschen so auf reine Zuarbeit reduziert werden, die ihnen zudem die Möglichkeit nimmt, sich so weiter zu bilden, dass sie sich in andere Wirtschaftsbereiche einbringen können. »In einer aufstrebenden Wirtschaftsmacht wie Indien hemmt dies auf Dauer die wirtschaftlichen Entwicklungspotenziale«, sagt die indische Staatsministerin für Handel und Industrie, Daggubati Purandeswari, gegenüber »nd«.

Weltbank wie Auftraggeber ficht das nicht an: Sie ziehen weiter. Nach Bangladesch, wo man nach Alternativen zur in Verruf geratenen Bekleidungsindustrie sucht, oder in afrikanische Länder, wo die Jugend gute Englisch- und Computerkenntnisse hat, und über die technische Minimalausstattung verfügt. Was wiederum dazu führt, dass Betreiber von Internetcafés einen Teil der Löhne abschöpfen.

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