Türkische Regierung droht Kritikern und Gewerkschaften nun erstmals mit der Armee

Alle Demonstrationen sollen von nun an verhindert werden / »nd« protestiert gegen Festnahme von Journalisten – unter ihnen ein Autor unserer Zeitung

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Berlin (Agenturen/nd). Die türkische Regierung hat den Demonstranten im Land erstmals mit einem Einsatz der Armee gedroht. Wenn es nötig sei, würden auch die Streitkräfte eingreifen, zitierten türkische Medien den Vizeregierungschef Bülent Arinc am Montag. »Die Polizei ist da. Wenn das nicht reicht, die Gendarmerie. Wenn das nicht reicht, die türkischen Streitkräfte«, sagte Arinc demnach. Die Demonstrationen seien illegal und würden von nun an verhindert. Die Regierung werde alles Nötige unternehmen, um das Gesetz durchzusetzen.

Die Türkei wird seit mehr als zwei Wochen von einer beispiellosen Protestwelle erschüttert. Auslöser waren umstrittene Pläne für eine Bebauung des Istanbuler Gezi-Parks, doch infolge massiver Polizeieinsätze gegen Demonstranten weiteten sich die Proteste rasch auf andere Städte aus. Inzwischen richten sie sich allgemein gegen den als autoritär empfundenen Regierungsstil des islamisch-konservativen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan. Die vorwiegend jungen und säkular gesinnten Protestteilnehmer verdächtigen ihn zudem, eine schleichende Islamisierung der Gesellschaft zu befördern.

Den fünf Gewerkschaftsverbänden, die aus Protest gegen das Vorgehen der Regierung und die Polizeigewalt gegen Demonstranten zu landesweiten Streiks und Demonstrationen aufgerufen haben, drohte Innenminister Muammer Güler mit Konsequenzen: »Diese Demonstrationen dieser fünf Gewerkschaften sind nicht legal. Wie können wir diese Demonstrationen erlauben?«, zitierte die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu den Minister. Er kündigte zudem an, wer Meinungsmache betreibe und zu Demonstrationen über Twitter und Facebook aufrufe, werde verfolgt. In den vergangenen Woche hatte es bereits mehrere Festnahmen gegeben.

Am Wochenende waren auch mehrere Journalisten in der Türkei festgenommen worden, unter ihnen der Kollege Gökhan Biçici, der auch für »neues deutschland« als freier Autor arbeitet. Nach den der Redaktion vorliegenden Informationen wurde er im Polizeipräsidium in der Vatan Caddesi arrestiert, nachdem er am Sonntag bei seiner Festnahme misshandelt und über den Boden geschleift wurde. Dies bezeugt auch ein im Internet abrufbares Video über seine Festnahme.

nd-Chefredakteur Tom Strohschneider und der Leiter des Auslandsressorts, Olaf Standke, haben sich deshalb am Montag an den türkischen Botschafter in Berlin, Herr Hüseyin Avni Karslioglu, gewandt und die Freilassung von Gökhan Biçici und der anderen festgenommenen Journalistinnen und Journalisten gefordert. »Die freie Berichterstattung über eine gesellschaftliche Auseinandersetzung, wie sie derzeit in der Türkei stattfindet, darf nicht behindert und unterdrückt werden«, heißt es in dem Brief weiter, in dem die türkische Vertretung in der Bundesrepublik gebeten wird, »unsere Besorgnis und unseren Protest an die zuständigen Stellen in Ihrem Land weiterzuleiten und uns Auskunft über die Situation von Gökhan Biçici und der übrigen festgenommenen Medienvertreter zu erteilen«.

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