Wie ist die rechtliche Situation bei Hartz IV?

Nach dem Hochwasser: Nothilfe für Betroffene nach dem Sozialgesetzbuch II, III und XII

  • Lesedauer: 10 Min.
Nach dem Hochwasser stehen viele Menschen vor dem Nichts, Kleingewerbetreibende vor den Trümmern ihrer Existenz. Unter den Betroffenen sind auch Bezieher von Hartz IV (SGB II) oder Bezieher von Sozialhilfe und Grundsicherung (SGB XII). Welche sozialrechtlichen Hilfemöglichkeiten gibt es für sie? Harald Thomé, Fachreferent für Arbeitslosen- und Sozialrecht vom Erwerbslosen- und Sozialhilfeverein Tacheles e.V., informiert über die Nothilfe nach SGB II, III und XII.

1. Kurzarbeitergeld für Betriebe mit Hochwasserschäden

Betriebe mit mindestens einem Arbeitnehmer (§ 97 SGB B III), deren Betriebe vom Hochwasser geflutet wurden, können für ihre Mitarbeiter Kurzarbeitergeld (KUG) beantragen. Damit kann der Verdienstausfall für die Angestellten ausgeglichen werden, wenn der Betrieb wegen Aufräumarbeiten nicht so schnell wieder öffnen kann.

Kurzarbeitergeld könne in Fällen des »erheblichen Arbeitsausfalls aus wirtschaftlichen Gründen« beantragt werden (§§ 95 bis 109 SGB III). Dazu zählten »unabwendbare Ereignisse« wie Hochwasser, Überschwemmungsschäden oder dadurch bedingte Stornierungen von Buchungen (§ 96 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB III) oder Betriebsschließungen wegen Grundreinigungen infolge von Hygienebeanstandungen. Auch Produktionsbetriebe, die von ihrem Zulieferer wegen des Hochwassers kein Material erhalten, können Kurzarbeitergeld beantragen. Dies gilt genauso im umgekehrten Fall, wenn ein Zulieferer seine Waren nicht an seinen Abnehmer übergeben kann, weil dieser vom Hochwasser betroffen ist.

Kurzarbeitergeld muss von Betrieben beantragen werden, die mindestens einen Angestellten beschäftigen, mindestens ein Drittel der Angestellten vom Arbeitsausfall betroffen sind und die Betroffenen mindestens einen Verdienstausfall in Höhe von zehn Prozent haben.

2. Hartz-IV-Leistungen zur Existenzsicherung bei fehlenden Löhnen oder zu spät gezahltem Kurzarbeitergeld

Grundsätzlich hat jeder, dessen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus dem in dem jeweiligen Monat zufließenden Einkommen oder mit dem zu berücksichtigenden Vermögen nicht sichergestellt werden kann, einen Rechtsanspruch auf SGB II (Hartz IV). Voraussetzung für Hartz-IV- Leistungen sind:

− gewöhnlicher Aufenthalt in Deutschland;

− medizinische Arbeitsfähigkeit;

− kein Ausschlusstatbestand;

− Vermögen nur innerhalb der Schonvermögensgrenzen (mindestens 3100 Euro für Erwachsenen und Partner bzw. Lebensalter x 150 Euro für Alleinstehenden und Partner zzgl. für jede Person 750 Euro), jedes minderjährige Kind max. 3850 Euro);

− Kfz ist im Wert von bis 75 000 Euro pro Person ab 15 Jahre im Haushalt geschont.

Ist zu erwarten, dass der Arbeitgeber diesen Monat keinen Lohn zahlt oder die Bewilligung von Kurzarbeitergeld durch die Bundesagentur für Arbeit noch dauert oder der Kleingewerbetreibende voraussichtlich kein Einkommen erzielt, so können Hartz-IV-Leistungen beantragt werden (§ 46 Abs. 1 SGB I). Ein Hartz-IV-Antrag muss bis spätestens zum Monatsende gestellt sein. Dann wirkt er auf den Ersten des jeweiligen Monats zurück (§ 37 Abs. 2 S. 2 SGB I).

Hartz IV beinhaltet neben Leistungen zum Leben (Regelleistungen) auch Miete/Kosten für Eigentum, Mehrbedarfe in besonderen Fällen (Alleinerziehung, Schwangerschaft, Krankenkost) sowie die Pflichtversicherung der Gesetzlichen Krankenkasse oder Kosten für Private Krankenkassen.

Hartz-IV-Leistungen sind je nach Bedarfslage unverzüglich zu erbringen. Im Zweifelsfall bei akuter Mittellosigkeit ist ein Vorschussantrag zu stellen. Dem ist spätestens nach einem Monat stattzugeben, im Akutfall auch vorher (§ 42 Abs. 1 S. 2 SGB I).

Der Hartz-IV-Antrag muss beim zuständigen Jobcenter gestellt werden. Ist das wegen Überflutung geschlossen, kann der Antrag auch bei jedem anderen Sozialleistungsträger (Sozialamt, Rentenversicherung, Krankenkasse) oder bei kommunalen Verwaltungen (Gemeindebüro) gestellt werden und ist von diesen unverzüglich ans zuständige Jobcenter weiterzuleiten (§ 16 Abs. 2 SGB I). Zuständig ist immer das Jobcenter am Wohnort des Antragstellers. Ist der Antragsteller wegen des Hochwassers bei Dritten untergebracht, ist trotzdem das Jobcenter des eigentlichen Wohnorts zuständig (§ 36 SGB II).

3. Kein Hartz-IV-Anspruch, aber Wohngeld möglich

Besteht wegen Vermögens kein Anspruch auf SGB II (Hartz IV) und reduzieren sich die Einkünfte, weil beispielsweise Kurzarbeitergeld bezogen wird, besteht vermutlich ein Anspruch auf Wohngeld. Bei Wohngeld wird keine Bedürftigkeitsprüfung in Bezug auf eigenes Vermögen durchgeführt. Ein abgelehnter Hartz-IV-Antrag kann über § 28 SGB X nachträglich auch als Wohngeldantrag umgewandelt werden.

4. Hausratsausstattungs- bedarfe nach SGB II

Hochwassergeschädigte Haushalte, die zwar eine Hausratversicherung haben, aber keine spezielle Elementarversicherung für Hausrat, werden in einer Reihe von Fällen keinen Anspruch gegenüber der Versicherung haben. In diesen Fällen, sofern die Vermögenshöchstgrenzen des SGB II nicht überschritten sind (§ 12 Abs. 2 SGB II (Nr. 2), können Hausratserstausstattungen beim Jobcenter beantragt werden

Das SGB II sieht vor, dass diese »Erstausstattungsbedarfe« auch für Personen gezahlt werden können, die nicht im laufenden Leistungsbezug sind (§ 24 Abs. 3 S. 3 SGB II). In diesen Fällen kann das Einkommen berücksichtigt werden, welches in den nächsten sechs Monaten erzielt wird (§ 24 Abs. 3 S. 4 SGB II). Kann heißt nicht muss. Die Hausratshilfen im SGB II bewegen sich für eine Person zwischen 800 bis 2000 Euro als Komplettausstattung.

5. Hausratsausstattungsbedarfe nach SGB X II / Altersrentner mit geringer Rente

Das SGB XII sieht für Personen, die keine laufenden Leistungen nach dem SGB XII erhalten, eine analoge Regelung (wie vorgenannt) vor. Auch hier können für Personen, die nicht im Leistungsbezug sind, Hausratsgegenstände bewilligt werden, wenn diese nicht aus eigenen Mitteln beschafft werden können (§ 31 Abs. 2 S. 1 SGB XII).

In diesen Fällen kann überschüssiges Einkommen berücksichtigt werden (§ 31 Abs. 2 S. 1 SGB XII). Auch hier gilt die Kann-Bestimmung. Allerdings sind hier andere Vermögensbeträge als bei Hartz IV zu berücksichtigen: 2600 Euro für über 60-Jährige, zuzüglich 614 Euro für Ehegatten sowie 256 Euro für jede weitere Person.

6. Instandsetzungskosten der Wohnung nach SGB II

Das SGB II sieht vor, dass Unterkunftskosten in tatsächlicher Höhe zu berücksichtigen sind (§ 22 Abs. 1 S. 1 SGB II). Zu den Unterkunftskosten gehören alle laufenden und einmaligen Bedarfe für eine Unterkunft, welche anlässlich der Nutzung einer Unterkunft anfallen oder vertraglich geschuldet werden. Das beinhaltet auch Instandsetzungskosten nach der Überflutung.

Die Instandsetzungskosten der Wohnung sind, sofern sie nicht vom Vermieter oder einer Versicherung getragen werden, vom Jobcenter als Unterkunftskosten zu zahlen (§ 22 Abs. 1 S. 1 SGB II). Dazu gehören zum Beispiel Austrocknungskosten, Miet- und Transportkosten für technisches Gerät, Stromkosten, neuer Fußbodenbelag, Material zum Neuverputz der Wände, Tapeten, Aufarbeiten von Türen, Türzargen, Tapezieren und Streichen sowie Helferkosten. Kosten für Firmen zählen im Regelfall nicht dazu.

Die genannten Kosten sind als den sozialrechtlichen Bedarf erhöhende Unterkunftskosten in tatsächlicher Höhe im Monat der Fälligkeit bei der Bedürftigkeitsprüfung zu berücksichtigen. Durch die Berücksichtigung dieser Kosten könnten eine Reihe von Menschen, die sonst keinen Hartz-IV-Anspruch haben, aufstockende Leistungen vom Jobcenter erhalten. Das Gleiche gilt entsprechend im SGB XII, dort § 35 Abs. 1 S. 1 SGB XII.

7. Umzugskosten nach SGB II

Ist ein Umzug wegen Unbewohnbarkeit der Wohnung erforderlich, können vom Jobcenter dahingehende Kosten übernommen werden. Übernahmefähige Kosten sind: Wohnungsbeschaffungskosten (Genossenschaftsanteile, Maklerkosten), Umzugskosten und Kaution (§ 22 Abs. 6 SGB II). Die Kaution soll auf Darlehensbasis gewährt werden (§ 22 Abs. 6 S. 3 SGB II).

Voraussetzung für die Übernahme ist normalerweise das Vorliegen eines Umzugsgrundes, die sozialrechtliche Angemessenheit der neuen Wohnung und die vorherige Zustimmung des Jobcenters zur Anmietung der Wohnung. Vor dem Hintergrund der Hochwasserkatastrophe könnten die Jobcenter hier für Flutopfer von den Regeln abweichen. Für das SGB XII gelten ähnliche Regeln. Hier ist § 35 Abs. 2 S. 5 SGB XII maßgeblich.

8. Anrechnung von finanziellen Hochwasserhilfen im SGB II / SGB XII

Hochwasserhilfen nach Landesrecht sind privilegiertes, zweckbestimmtes Einkommen und dürfen im SGB II/SGB-XII-Bezug nicht angerechnet werden. Dies erklärte die Bundesagentur für Arbeit mit Pressemitteilung vom 6. Juni 2013. In diesem Zusammenhang gibt es besondere Erlasse der Bundesländer wie Sachsen, Bayern und Thüringen.

Es ist in jedem Fall davon auszugehen, dass finanzielle Hochwasserhilfen privilegiertes Einkommen sind, welches nach SGB II / SGB XII anrechnungsfrei zu bleiben hat. Eine Anrechnung wäre erst vorstellbar, wenn Hartz-IV-Leistungen daneben ungerechtfertigt wären.

Dies träfe nach der Gesetzesbegründung erst zu, wenn die Vermögenshöchstgrenzen überschritten seien (§ 11a Abs. 3 und Abs. 5 SGB II). In der Gesetzesbegründung zu § 11a Abs. 5 SGB II wurde dezidiert gesagt, dass »Soforthilfen bei Katastrophen« anrechnungsfrei zu sein haben (Artikel 2 Gesetz zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch vom 24. März 2001, BGBl. I S. 453 zu § 11a SGB II). Im SGB XII ergibt sich die Anrechnungsfreiheit aus § 83 Abs. 1 SGB XII.

Hochwasserhilfen von Dritten (Kirchen, Wohlfahrtsverbänden) sind ebenfalls privilegiertes Einkommen, welches nicht als Einkommen angerechnet werden darf. Hier ist im SGB II die Rechtsgrundlage der § 11a Abs. 4 SGB II, im SGB XII der § 84 Abs. 1 SGB XII.

9. Wohnungs-Erstausstattung im SGB II/SGB XII

Hochwassergeschädigte SGB-II-Leistungsberechtigte, die keine Leistungen durch die Hausratversicherung erhalten, haben einen Anspruch auf erneute (Erst)-Ausstattung der Wohnung. Diese ist in jedem Fall auf Zuschussbasis zu übernehmen, für eine Darlehensgewährung gibt es keine Rechtsgrundlage.

Liegen außergewöhnliche Umstände vor und ist deswegen Hausrat nicht oder nicht mehr vorhanden, muss das Jobcenter eine erneute (Erst)-Ausstattung der Wohnung auf Zuschussbasis übernehmen (BSG-Urteil vom 19. August 2010, Az. B 14 AS 36/09).

Da Hochwasserhilfen im SGB II anrechnungsfrei sind, darf nicht zunächst auf diese verwiesen werden. Wurden allerdings Hausratsgegenstände durch Zuschüsse durch die Hochwasserhilfen schon gekauft, schließen sie den Leistungsanspruch beim Jobcenter wegen erfolgter Bedarfsdeckung aus.

Ein etwaiges Verlangen des Jobcenters ist rechtswidrig, zunächst eine Bescheinigung vorzulegen, ob Hochwasserhilfen schon beantragt wurden und von dort gewährte Leistungen dem Hartz-IV-Anspruch gegenüber zu stellen. Ebenso besteht keine Mitwirkungspflicht, Bescheinigungen oder Kontoauszüge vorlegen zu müssen, aus denen Hochwasserhilfsgelder ersichtlich werden.

Mitwirkungspflicht zur Vorlage von Beweisdokumenten im Sinne des § 60 Abs. 1 Nr. 3 SGB I besteht nur, wenn dies für die Leistungsgewährung erheblich ist. Da solche Gelder anrechnungsfrei sind, ist es nicht erheblich (§ 67a Abs. 1 S. 1 SGB X) und darf nicht vom Amt verlangt werden.

Die Bundesagentur für Arbeit vertritt in ihrer Pressemitteilung vom 6. Juni 2013 die Position: »Wurde durch die Flut Hausrat zerstört, können die Jobcenter die Kosten für die erneute (Erst-)Ausstattung der Wohnung übernehmen. Voraussetzung dafür ist, dass diese Kosten weder durch eine Versicherung noch durch ein anderweitiges Nothilfeprogramm erstattet werden.« Die Jobcenter gewähren Wohnungserstausstattungen in Höhe von 800 bis 2000 Euro für eine Person. Die gleichen Regeln zur Erstausstattung gelten im SGB XII. Hier sind die Rechtsgrundlagen § 31 Abs. 1 SGB XII.

10. Private Gelder von Dritten

Private Gelder, die Dritte den in Not geratenen Hartz-IV-Empfängern zuwenden, sind aus Hartz-IV-Sicht als Einkommen durch die Jobcenter anzurechnen. Private Zweckbestimmung, die private Bezeichnung der Gelder als Hochwassernothilfe, schützen nicht vor der Anrechnung (§ 11a Abs. 3 SGB II).

Würden allerdings solche Gelder von Dritten auf Darlehensbasis den Hartz-IV-Beziehern zugewendet und steht die Darlehensforderung zum Zeitpunkt des Geldzuflusses unzweifelhaft fest, bleiben solche Darlehenszuwendungen anrechnungsfrei (BSG-Urteil vom 17. Juni 2010, Az. B 14 AS 46/09 R). Wie die Rückzahlungsmodalitäten geregelt werden, unterliegt der Vertragsfreiheit.

11. Erreichbarkeit und Meldepflicht der Hartz-IV-Bezieher

Um Hartz-IV-Leistungen zu beziehen, bedarf es der persönlichen, werktäglichen postalischen Erreichbarkeit (§ 7 Abs. 4a SGB II iVm § 77 Abs. 1 SGB II iVm der SGB III-EAO). Im Katastrophenfall ist von dieser Erreichbarkeit abzusehen, wofür es aber keine Rechtsgrundlage gibt.

Die Bundesagentur für Arbeit hat in der Pressemitteilung vom 6. Juni 2013 aber klargestellt: »Für die Dauer einer Helfertätigkeit im Rahmen des Hochwassers besteht keine Meldepflicht und keine zwingende Notwendigkeit, eine angebotene Maßnahme oder Beschäftigung anzunehmen. Ebenso ist die Wahrnehmung eines Meldetermins aufgrund des Hochwassers nicht möglich, so dass keine Sanktionen eintreten. Vorab wäre eine telefonische Absage hilfreich, damit die Gesprächszeit neu vergeben werden kann.«

Nach dieser Regelung ist bei persönlicher Fluthilfe für Bezieher von SGB-II-Leistungen (Hartz IV) vorher kein Antrag auf »Beurlaubung« zu stellen. Mit der Klarstellung zum Nichterscheinen beim Jobcenter (»kein Meldeversäumnis«) wird die Rechtslage wiedergegeben. Es ist unter diesen Umständen kein individueller Nachweis gefordert, was eigentlich das Gesetz vorgibt (§ 32 Abs. 1 S. 2 SGB II). Durch den Wegfall der Meldepflicht entfällt auch die Pflicht, sich im orts- und zeitnahen Bereich aufzuhalten (»Residenzpflicht«).

12. Fristversäumnisse

Wurde hochwasserbedingt eine Rechtsmittelfrist versäumt, also Widerspruch gegen einen Bescheid oder eine Klage einzulegen, dann kann innerhalb von zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses dieses Fristversäumnis nachgeholt werden. Dabei ist der Grund des Fristversäumnisses zu nennen und die Fristwahrung vorzunehmen (§ 27 Abs. 1 SGB X).

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