»Wegen der Kostenexplosion müssen Kassenleistungen gekürzt werden«

Von wegen unbezahlbar! Aufklärung über die Mythen der Gesundheitsdebatte - Teil 1 der neuen nd-Serie

  • Lesedauer: 3 Min.

»In ein paar Jahren wird das Gesundheitswesen unbezahlbar sein«, droht uns die veröffentlichte Meinung seit Jahren. Und warum? Es liegt angeblich am demografischen Wandel, am medizinisch-technischen Fortschritt, der Freibiermentalität der Patienten. Mit solchen »Argumenten« werden Privatisierungen im Gesundheitswesen als unumgänglich vorangetrieben; ärztliche Leistungen aus dem Katalog der gesetzlichen Krankenkassen gestrichen, Zuzahlungspflichten begründet. Derweil verdient nicht nur die Pharmaindustrie Unsummen. Doch wer kritisiert hier was und warum? Nadja Rakowitz wirft einen kritischen Blick auf das real existierende Gesundheitssystem - und zeigt, dass Alternativen sogar innerhalb kapitalistischer Verhältnisse möglich sind. Klarheit statt Mythen: hier täglich in einer neuen nd-Reihe.

1. »Kostenexplosion«

Der Mythos:

Weil die Ausgaben im Gesundheitswesen »explodieren«, müssen die Leistungen der gesetzlichen Krankenkassen gekürzt und durch Zuzahlungen der Versicherten gesichert werden.

Hintergrund und Faktenlage:

Es ist richtig, dass die Kosten im Gesundheitswesen gestiegen sind. Und das, obwohl das deutsche Gesundheitswesen sowieso schon zu den teuersten (aber auch zu den besten) der Welt gehört – nur in den USA, der Schweiz und Frankreich wird mehr Geld für die Gesundheitsversorgung ausgegeben. Gleichzeitig gehört aber auch das deutsche Bruttoinlandsprodukt (BIP) zu den größten der Welt und es steigt kontinuierlich. Im Verhältnis zur steigenden Wirtschaftsleistung, dem BIP, kann also von „Kostenexplosion“ gar keine Rede sein, vielmehr wachsen die Ausgaben für das Gesundheitswesen genauso schnell, wie das BIP wächst. Folge: Gemessen an der Wirtschaftsleistung sind die Gesundheitsausgaben mit etwa zehn bis elf Prozent des BIPs seit Jahrzehnten stabil!

Von diesem relativ hohen Preisniveau profitieren einige, anderen ist es ein Dorn im Auge: Die Unternehmen sind mit 7,3 Prozent der Bruttolöhne ihrer Beschäftigten an den Kosten beteiligt. Sie würden sie gerne drücken oder mit dem Argument der „zu hohen Lohnnebenkosten“ am liebsten ganz einsparen. Auch die öffentliche Hand hat ein Interesse an Einsparungen, da sie – nachdem für Wohlhabende und Unternehmen viele Steuern erlassen oder gesenkt wurden – immer über „leere Kassen“ klagt.

Auf der anderen Seite gibt es viele Akteure im Gesundheitswesen – oder besser: in der Gesundheitswirtschaft –, die ein Interesse daran haben, dass sehr viel Geld und am besten immer mehr Geld ins Gesundheitswesen fließt: Die Pharma- und Geräteindustrie, die Krankenhausträger, aber auch die niedergelassenen ÄrztInnen. Natürlich müssen auch die Beschäftigten im Gesundheitswesen ein Interesse daran haben, dass genug Geld da ist. Die Frage ist allerdings, wie dieses Geld verteilt und wofür es ausgegeben wird.

Fazit:

Gesellschaftlich gesehen gibt es keine Kostenexplosion im Gesundheitswesen. Die steigenden Ausgaben werden in der politischen Debatte nicht auf den steigenden, produzierten Reichtum bezogen. Stattdessen werden die absolut steigenden Ausgaben angeführt. So entsteht die „Notwendigkeit“ von Einsparungen, die vor allem durch die Kürzungen von Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung und durch die Zuzahlungen der PatientInnen finanziert werden. Von dieser „Neuverteilung der Kosten“ profitieren fast alle: die Gesundheitsindustrie, die Arbeitergeber und der Staat – nur die PatientInnen und die Beschäftigten nicht.

Die von Dr. Nadja Rakowitz verfasste Broschüre „Gesundheit ist eine Ware. Mythen und Probleme des kommerzialisierten Gesundheitswesens“ ist in der Reihe »luxemburg argumente« erschienen und kann bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung bestellt werden.

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