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Noch nicht einmal ein Grab

Gedenkbuch für österreichische Stalin-Opfer in Wien vorgestellt

  • Lesedauer: 3 Min.

Während in Berlin noch diskutiert wird, ob und mit welchem Text eine Gedenktafel für deutsche Kommunisten, die in der Sowjetunion Opfer von Stalins Terror wurden, am Karl-Liebknecht-Haus, dem Sitz der Linkspartei, angebracht werden soll, war eine solche bereits im Juli 1990 am Haus des Zentralkomitees der KPÖ angebracht worden. Jedoch, die dortige Tafel mit der Inschrift »Den Menschen, die für Demokratie und Sozialismus kämpften und Opfer des stalinistischen Terrors wurden« verschwand nach kurzer Zeit. Im Gebäude am Höchstädtplatz residiert heute der TÜV Österreich. Geblieben ist das vor dem einstigen KPÖ-Domizil aufgestellte, von Alfred Hrdlicka geschaffene Denkmal für die Opfer faschistischer Gewaltherrschaft und Krieg sowie eine Stele, die an den KP-Vorsitzenden Johann Koplenig erinnert.

Auch in der KPÖ hat es eine heftige Debatte um die Gedenktafel an die Stalinopfer gegeben. Damals, vor nunmehr bereits über zwanzig Jahren, waren die Namen von ca. 200 Emigranten aus Österreich bekannt, die den »Großen Terror« nicht überlebt hatten. Das in der vergangenen Woche in Wien vorgestellte Gedenkbuch von Barry McLoughlin und Josef Vogl verzeichnet die Namen von 731 österreichischen Männern und 65 Frauen, die in Leningrad, Charkow, Gorki, Rostow am Don, Tscheljabinsk, Saratow und anderen russischen Städten verhaftet worden sind - darunter 185 Mitglieder des sozialdemokratischen Schutzbundes, 89 Mitglieder der KPÖ und 221 Wirtschaftsemigranten. Neben prominenten Persönlichkeiten wie Peter Demant (Schriftsteller), Franz Schillinger (Schöpfer der sowjetischen Nationalparks) oder Alexander Weißberg (Physiker) wird vieler unbekannter Menschen gedacht.

Im Unterschied zu Alexander Vatlin, der in seinem Buch »Was für ein Teufelspack« die sogenannte Deutsche Operation des NKWD untersuchte, (s. »nd« vom 2. April 2013), stützen sich die österreichischen Autoren nicht nur auf die im Staatsarchiv der Russischen Föderation überlieferten Strafakten der Gebietsverwaltung des NKWD für Moskau und Umgebung, sondern auch andernorts lagernde Akten. Sie kommen wie ihr russischer Kollege zum Schluss, dass es sich nicht um eine ethnische »Säuberung« gehandelt hat. Die in ihrem Buch dokumentierte Anklage lautete in 378 Fällen auf »Spionage«, in 147 Fällen »antisowjetische Agitation« und in 91 Fällen »Mitgliedschaft in konterrevolutionären Organisationen«. Vor dem Hitler-Stalin-Pakt wurden 95, danach 92 Personen ausgewiesen bzw. an Nazideutschland ausgeliefert. 237 Österreicher wurden in der Sowjetunion zum Tode verurteilt, 83 überlebten den Gulag nicht.

Bereits während der 2005 begonnenen Recherchen zum Buch standen die Autoren mit den auch zu dessen Präsentation in Wien gekommenen Angehörigen in Kontakt. Sie berichteten im Anschluss an die Buchvorstellung über das Schweigen der Eltern, ihre jahrelangen Bemühungen, Details über das Schicksal ihrer Angehörigen zu erfahren, die sie - wenn überhaupt - nur von Fotos kannten, sowie von familiären Konflikten im Zuge ihrer Recherchen. Einige wollten nicht glauben, was ihren Angehörigen in der UdSSR widerfahren ist. Doch alle, die sich auf die Suche begaben, taten dies in der Hoffnung, ein Grab zu finden, um dort der Ermordeten zu gedenken. Viele fanden nicht mal ein solches. Es ist ein Vorzug dieses Buches, dass Familiengeschichten erzählt werden.

Die Information über die in der Berliner Gedenkstätte Deutscher Widerstand (noch bis 14. Juli) gezeigte Ausstellung »›Ich kam als Gast in euer Land gereist …‹ Deutsche Hitlergegner als Opfer Stalins« stieß bei den Besuchern der Buchpremiere in Wien auf großes Interesse. In der Tat gibt es viele Schnittpunkte in den Viten deutscher und österreichischer Opfer Stalins. Wer beispielsweise mehr über die Leidensgefährten von Lorenz Lochthofen, die dessen Sohn Sergej in seinem Buch »Schwarzes Eis« erwähnt, wissen will, wird im österreichischen Gedenkbuch fündig. Das Buch von Barry McLoughlin und Josef Vogl ist eine weitere wichtige und gewiss nicht die letzte Publikation zu Schattenseiten in der Geschichte der kommunistischen Bewegung, denen sich gerade Linke stellen müssen.

Barry McLoughlin/ Josef Vogl: »... Ein Paragraf wird sich finden«. Gedenkbuch der österreichischen Stalin-Opfer (bis 1945). Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes, Wien 2013. 622 S., geb., 24,50 €.

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