Die Sache mit dem politischen Frühling

Ein rot-grünes Manifest und die noch unbeantwortete Frage, wo eigentlich die »große Erzählung« der Linken ist

  • Tom Strohschneider
  • Lesedauer: 4 Min.

Wahlkampfzeiten sind Manifestzeiten. Da werden dann Appelle formuliert, die den Anspruch erheben, gute und wichtige, ja sogar drängende Gründe für die Wahl einer oder mehrerer Parteien aufzulisten. Solche Aufrufe sollen Glaubwürdigkeit produzieren, den symbolischen Wert von Parteien erhöhen, politische Credibility durch Namen stiften. Je prominenter die Unterzeichner oder je überzeugender sie in einem bestimmten Milieu verankert sind, desto größer die erhoffte Wirksamkeit dieser Manifeste.

Seit dieser Woche ist die Liste dieser Papiere nun um eines länger geworden: um ein rot-grünes. Das macht schon etwas Besonderes her, immerhin atmet bereits die Kombination etwas von einem »Projekt«. Auf luftig gestalteten zehn Seiten versuchen die Autoren zu begründen, »warum unser Land einen politischen Frühling braucht«. Es sei nämlich »Zeit, dass sich was bewegt«.

Da klingt Großes an, zu Großes: Zuletzt war gesellschaftliche Aufbruchstimmung als Jahreszeit dort bezeichnet worden, wo tatsächlich alte Regime mit ihren Strukturen an die Grenzen ihrer Macht stießen – im arabischen Raum oder in der Türkei. Steht das hierzulande bevor? Und wären wirklich Sozialdemokraten und Grüne die Träger solch eines Aufbruches? Oder der ostentative Hinweis auf »Bewegung«, dieser verheißungsvolle Begriff, den sich das Manifest wie eine Marke angeklebt hat, obwohl es doch eigentlich um die Wahl einer Partei in ein Parlament geht. So kommt als politisch aufrichtige Kraft von unten daher, was eigentlich in der Liga spielt, von der immer mehr Leute meinen, es handele sich um ein heillos verkrustetes System der Selbstbedienung und der Selbstblockaden.

Nein, hier soll nicht die aberhundertste Kritik an rot-grüner Regierungsvergangenheit geübt werden. So richtig er sein mag, der linke Dreisatz »Schröder, neoliberale Wende, Agenda«; so apolitisch wäre es, die Möglichkeit von rot-grüner (Selbst-)Veränderung für ausgeschlossen zu halten. Dass SPD und Grüne den vielleicht schwersten Angriff auf die soziale und politische Lage von Erwerbslosen zu verantworten haben, entbindet die Kritiker nicht von der Anstrengung, sich genau anzuschauen, was die Steinbrücks und Trittins heute planen. Auch nicht davon, genau anzuschauen, welcher Instrumente sich Rot-Grün dabei bedient.

Denn dieses »Manifest« zielt ja in Wahrheit nicht darauf ab, mit Konkretisierungen oder Änderungen die Diskussion über das Wahlprogramm von SPD und Grünen noch einmal aufzumachen. Es geht auch nicht darum, die Forderungskataloge der beiden Parteien in eine massenkompatible Kurzform zu bringen. Es geht ein bisschen darum, ein paar neue Töne in den medialen Dauersound von Pannen-Steinbrück und Rot-Grün-Schwäche einzuspeisen. Es geht vor allem aber um die »große Erzählung«, auf die sich ein auf Macht und Mehrheit orientiertes politisches Zweckbündnis stützen könnte: nachhaltige Industriegesellschaft, erneuerbare Zukunft, solidarisches Land, lebendige Demokratie, europäisches Deutschland und so fort.

Nicht diese Formeln, aber diese Form ist etwas, nach dem auch in der Linken immer mal wieder gesucht wird. Nicht nur in der gleichnamigen Partei. Aber ein Kooperationsangebot in diese Richtung ist dieses Manifest sicher nicht. Die Initiatoren – hinter der Aktion stehen die Politiker Kerstin Andreae und Hubertus Heil sowie die Strategen Peter Siller und Tobias Dürr – sind nicht dafür bekannt, irgendwelchen Neigungen gegenüber der Linkspartei anzuhängen. Das Manifest ist vor dem Hintergrund der Umfragewerte auch keines, das sich wirklich um gesellschaftliche Anschlussfähigkeit im Sinne einer hegemonialen Ausweitung bemüht, also auch andere Akteure – Bewegungen, Verbände, Parteien – einlädt, Strategien und Zielsetzungen in ein Verhältnis zueinander setzt, sodass sich die Teile immer wieder neu zusammensetzen – und doch ein gemeinsames Ganzes bleiben. Nein: Sofern Parteilose (von denen einige schon beweisen haben, dass sie keineswegs Parteiferne sind) als Unterzeichner des Manifestes auftreten, und es sind dies immerhin ein Drittel, dann tun sie dies hier als Wahlkämpfer für SPD und Grüne.

Das ist aber kein Vorwurf, nur ein Hinweis darauf, dass man die Frage, »warum unser Land einen politischen Frühling« braucht, nicht schon deshalb als abgegolten betrachten sollte, weil SPD und Grüne eine Antwort für sich reklamieren. Es muss jetzt auch nicht gleich ein linkes, die Widersprüche von Parlamentsarbeit und Veränderungschancen, zwischen Apparatelogik und Alltagspraxis sowie den Interessen unterschiedlicher Milieus herausarbeitendes und wirklich bewegungsorientiertes Manifest hinterher geworfen werden. Aber doch drängt nach dem Lesen des rot-grünen Wahlappells wieder diese alte, unbeantwortete Frage: Wo ist die »große Erzählung« der Linken?

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