»Wir werden bleiben, bis Mursi geht«

Die Demonstranten in Ägypten zeigen sich entschlossen für einen langen Widerstand

  • Sofian Philip Naceur, Kairo
  • Lesedauer: 3 Min.
Bei den Protesten in Ägypten wurden bis Montag nach Angaben des Kairoer Gesundheitsministeriums mindestens 16 Menschen getötet. Der Zorn der Demonstranten auf die Regierenden ist damit nur noch gewachsen.

Millionen Menschen ziehen in allen Landesteilen Ägyptens euphorisch auf die Straße, um gegen die Regierung und Staatspräsident Mohammed Mursi zu protestieren. Dafür steht beispielhaft das Foto auf dieser Seite vom Sonntag aus Akexandria. Der Muslimbruderschaft, aus dessen Reihen der Staatschef stammt, hat nach der Revolution von 2011 die politische Macht monopolisiert und durch ihre konfrontative Innen- und verfehlte Wirtschaftspolitik nun erst recht den Zorn der Bevölkerung auf sich gezogen.

»Brot, Freiheit und soziale Gerechtigkeit« und »Wir wollen den Sturz des Regimes« skandierten Hunderttausende auch gestern auf dem Tahrir-Platz und vor dem Präsidentenpalast in Heliopolis im Osten Kairos. Die Leitung der Rebellionkampagne, einer von Oppositionellen initiierten Unterschriftenaktion, sagt, sie habe bereits 22 Millionen Unterschriften gegen Mursi gesammelt.

Der Präsident habe seine Legitimität verloren. »Schau dich um, heute sind noch viel mehr Menschen auf die Straße gegangen als bei der Revolution 2011«, sagt eine Demonstrantin vor dem Palast zu mir. »Wir werden erst wieder gehen, wenn Mursi gestürzt ist.« Tausende Menschen hielten rote Pappkarten in die Höhe und zeigten ihm damit symbolisch die Rote Karte. »No Mursi, no cry« war auf einem Transparent zu lesen.

In Kairo war eine gewisse Nervosität der Menschen schon seit Wochen zu spüren. Ein Anzeichen dafür: Hamsterkäufe, man deckt sich für alle Fälle mit dem Nötigsten ein. Die Opposition rückte zusammen und stellte ihre Differenzen hintan, um geschlossen für das erklärte gemeinsame Ziel, den Sturz des Präsidenten, kämpfen zu können. Auf kleineren Kundgebungen vergangene Woche, bei denen sich viele schon mal warm machten für den 30. Juni, waren keinerlei Parteifahnen zu sehen. Einzig die ägyptische Nationalfahne und Transparente mit den Gesichtern getöteter Revolutionäre wurden geschwenkt. Am Sonntag versanken der Tahrir-Platz und Heliopolis in einem Meer aus ägyptischen Fahnen.

Die Sternmärsche, die in mehreren Teilen der ägyptischen Hauptstadt beginnen und dann in Richtung Tahrir und Präsidentenpalast durch die Stadt ziehen, haben allein in Kairo Hunderttausende mobilisiert. Wie immer sind sie gut organisiert. Am Tahrir und in Heliopolis tummeln sich Tausende Straßenhändler, die Getränke wie Wasser und Tee, ägyptische Straßenkost wie geröstete Maiskolben, aber auch Fähnchen und andere Revolutionssymbole feilbieten.

Ein Grund für den Unmut vieler Menschen über Mursis Politik ist die Wirtschaftskrise, gegen die die seit einem Jahr amtierende Staatsführung nicht ansatzweise etwas tun konnte. Die Regierung beschuldigt nun die Opposition, mit den ständigen, andauernden Protesten der Wirtschaft zu schaden. »Sicher locken die Proteste die Touristen nicht zurück, aber sollen wir deshalb für einen Hungerlohn schuften und die Diktatur hinnehmen?«, so eine 18-Jährige.

Einige jedoch haben inmitten der Wirtschaftskrise sogar neue Einnahmequellen gefunden, um über die Runden zu kommen. »Die einzigen Gewinner der Rebellion sind die Straßenhändler, sie verdienen gut dieser Tage«, so Anwar Hanfy, ein Ingenieur aus Shubra. An Mursis Amtssitz waren vor den Protesten die Sicherheitsvorkehrungen verstärkt worden. Dennoch sind Militär und Polizei auffallend um Zurückhaltung bemüht. Lediglich an einer Zufahrtstraße zum Palast waren am Montag Panzer und Soldaten zu sehen. Eine kleine Menschentraube protestierte lautstark vor dem Tor gegen den Einfluss der Armee auf die Politik. Andererseits brandete immer wieder Jubel auf, wenn Militärhelikopter die Menge überflogen. Bereits seit dem Morgen patrouillierten sie über der Stadt.

Viele fordern wie schon nach dem Sturz Husni Mubaraks eine zeitweilige Machtübernahme der Streitkräfte. Andere verurteilen dies scharf. »Die Armee arbeitet eng mit dem Präsidenten zusammen, sie ist genauso verantwortlich für die Misere, in der das Land steckt.«

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