Stromkonzerne rasseln mit Säbeln

E.on, RWE und EnBW drohen mit Stilllegung von Kohle- und Gaskraftwerken

  • Benjamin von Brackel
  • Lesedauer: 3 Min.
Stromkonzerne drohen damit, Kraftwerke stillzulegen, weil sie sich nicht mehr rentieren würden. Gehen nächsten Winter die Lichter aus?

Das stellt die Sache auf den Kopf: Jahrelang haben die Betreiber von Atomkraftwerken erbittert dafür gekämpft, dass ihre Meiler länger laufen. Jetzt drohen sie damit, sie früher als geplant abzuschalten. Der Grund: Sie rentieren sich nicht mehr. Laut einem Bericht der »SZ« am Dienstag könnte ein Fünftel der Gesamtkapazität der konventionellen Kraftwerke in Frage stehen. E.on, RWE und EnBW planen demnach die Stilllegung vor allem zahlreicher Kohle- und Gaskraftwerke. Auch Stadtwerke sehen Handlungsbedarf: Zuletzt warnte Sven Becker, Chef des Stadtwerkeverbunds Trianel, dass ohne eine rasche Reform des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) der Markt kollabiere und eine Kraftwerkslücke entstehe. »Auch fossile Kraftwerke müssen ihr Geld verdienen können«, sagte Becker, dessen Verbund vor allem Gas- und Kohlekraftwerke betreibt.

Das Problem: Immer mehr Ökostrom wird ins Netz eingespeist, der an der Strombörse die Preise drückt. Der Markt für konventionelle Kraftwerke schrumpft. Vor allem Gaskraftwerke erreichen zunehmend weniger Betriebsstunden. »Das ist betriebswirtschaftliche Realität«, sagt Hauke Hermann, Energieexperte vom Ökoinstitut. Neu ist das Problem nicht. Politiker aller Parteien beschwören seit langem die Notwendigkeit, für einen Ausgleich zu sorgen, wenn die Sonne mal nicht scheint. Weil die Erneuerbaren ein Viertel des Strombedarfs decken, verschärft sich der Handlungsdruck. Der Netzausbau stockt und innovative Energiespeicher verharren in der Erprobungsphase.

Dass die Stromkonzerne das Thema zwei Monate vor der Bundestagswahl vorantreiben, ist kein Zufall: Jetzt gilt es, sich in Stellung zu bringen, wenn nach der Wahl das EEG reformiert wird. Etwa eine Prämie für Reserveenergie könnten die Konzerne anvisieren.

Dafür spricht auch, dass zumindest abgeschriebene Kohlekraftwerke derzeit keinesfalls dahindarben, sondern boomen - auch weil der Emissionshandel am Boden liegt. »Dieser Wegwerfstrom, der die deutschen Treibhausgasemissionen erstmals seit mehr als 20 Jahren wieder steigen lässt, führt gleichzeitig dazu, dass hochflexible und hocheffiziente Kraftwerke still stehen«, sagt Jürgen Trittin, Spitzenkandidat der Grünen bei der Bundestagswahl.

Schon warnt die Stromindustrie davor, dass in manchen Teilen des Landes die Lichter ausgehen, sollte sie mit ihren Drohungen wahr machen. Energieexperte Hermann hält die Drohkulisse für aufgebauscht. Bisher brauche es die Winterreserve eher dafür, um den Export von Braunkohlestrom nach Frankreich im Winter abzusichern. Um lokale Defizite wie in Süddeutschland auszugleichen, müsste man, so schlägt er vor, den Strom im Süden höher vergüten. »Hinter dem Problem steckt eher eine Designfrage als eine Kapazitätsfrage.«

Zumal die Bundesregierung vor einem Monat bereits die Reservekraftwerksverordnung beschlossen hat: Gibt es einen Bedarf für Ausgleichsstrom, dann wird dieser ausgeschrieben und Betreiber können ihre Anlagen als Reservekraftwerke anbieten, die sie eigentlich hätten stilllegen wollen - so die Theorie. Der Anreiz: Für den Reservestrom bekommen sie mehr Geld gezahlt, wofür die Stromkunden aufkommen. Will ein Betreiber eine systemrelevante Anlage stilllegen, so muss er nach dessen Anmeldung ein Jahr warten. Das soll über die Zeit helfen bis zu einem neuen Strommarktdesign. »Das ist eine kurzfristige Lösung für die nächsten ein, zwei Jahre«, sagt Hermann.

Um Stromengpässe in der Zukunft zu vermeiden, lässt sich das Problem nicht nur über den Kapazitätsmarkt angehen: Statt nur darauf zu achten, dass genügend Energie im Angebot ist, könnten sich auch die Abnehmer anpassen. Etwa eine Aluschmelze könnte die Leistung ihrer Anlage nach Bedarf drosseln, wenn es an Energie im Netz mangelt. Doch in der politischen Diskussion spielt das bisher nur eine untergeordnete Rolle.

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