Wenn Fiktion auf TV-Wirklichkeit trifft

NSA-Schnüffeleien: Edward Snowden als Krimi-Serienfigur?

  • Jürgen Amendt
  • Lesedauer: 4 Min.

Der Politikberater Michael Spreng, ehemals Chefredakteur der »Bild am Sonntag«, ehemals Wahlkampfleiter des Kanzlerkandidaten der Union Edmund Stoiber, macht sich Sorgen. Ohnmächtig müsse derzeit Angela Merkel dabei zusehen, wie der US-Geheimdienst NSA »das deutsche Volk und die ganze Welt im Internet ausspäht«. Die Kanzlerin wisse nicht einmal, »ob sie selbst abgehört und ausgespäht wird«, schrieb Spreng dieser Tage im Online-Magazin »Carta«. Merkel sei »nur ein Spielball amerikanischer Sicherheitsparanoia«. Für die politische Opposition im Bundestag könnte diese Tatsache zu einer Steilvorlage im derzeitigen Wahlkampf werden, mutmaßt Spreng

Könnte, allerdings ist der Erfolg einer solchen Kampagne nicht gesichert. Es gibt seit der Enthüllung durch den ehemaligen NSA-Mitarbeiter Edward Snowden, dass sein Ex-Arbeitgeber massenhaft die elektronische Kommunikation ausspäht - und zwar weltweit! - eine Diskrepanz zwischen der medialen Verarbeitung des Abhörskandals und der Wahrnehmung der Bevölkerung. Während Medien und Datenschützer teilweise entsetzt reagieren, nehmen die Bürger dieses Landes die Meldungen zur Kenntnis - mehr aber auch nicht. Während selbst Medien wie der traditionell der US-Politik freundlich gesonnene Berliner »Tagesspiegel« in Leitkommentaren von »einem millionenfachen Rechtsbruch« schreibt und die Bundesregierung vor zu viel Nachsicht mit den »amerikanischen Freunden« warnt, weil ansonsten der Verlust von Wählerstimmen drohe, bleibt außerhalb politisch interessierter und organisierter Milieus der Protest aus.

Darin liegt ein politischer Instinkt, der dem Volk sagt, dass die politisch Klasse in den westlichen Demokratien mittlerweile die staatlichen Apparate, die sie selbst geschaffen hat, nicht mehr kontrollieren kann - möglicherweise es gar nicht mehr will. Dieser Instinkt fußt wiederum auf einer Erkenntnis, die das Volk als TV-Konsument in den letzten zwei Jahrzehnten nach und nach selbst gewinnen konnte. Serien wie »Homeland«, »24«, »Navy CIS« oder »Criminal Mind« nebst ihrer zahlreichen Ableger präsentieren uns eine Welt, in der es vollkommen normal ist, dass Ermittlungsbehörden ohne richterlichen Beschluss Verdächtige wochenlang per Video, Satellit und Richtmikrofonen überwachen, en passant dienstlich die privaten E-Mails unbescholtener Bürger hacken, DNA-Proben nehmen, digitale Bewegungsprofile erstellen und sich einen Dreck um Grundrechte scheren.

Der fiese Trick bei all diesen Serien ist, dass ihre Figuren nie unsympathisch sind. Geltendes Recht brechen sie nicht, weil sie keine Moral besitzen, sie tun es, um der Gerechtigkeit willen. Ihre Gegenpole sind Politiker und Regierungsvertreter, Staatsanwälte und Rechtsanwälte, die als korrumpierte, skrupellose Figuren dargestellt werden, denen persönliches Machtstreben wichtiger als Recht und Gesetz ist. Die unterschwellige Botschaft lautet: Nicht mehr die gewählten Politiker und die Vertreter des Rechtsstaats schützen die Grundrechte, sondern militärisch ausgebildete Kriminalisten und Sicherheitsexperten.

Dass US-Krimiserien keine pure Fiktion sind, dafür bürgen die Drehbuchautoren, die mit Fug und Recht als die Besten der Branche gelten. »In den USA arbeiten meist mehrere Autoren in einem Writer›s Room an einem gemeinsamen Projekt, in Deutschland ist das leider nicht üblich, weil es teuer ist, sagt der deutsche Drehbuchautor Marc Terjung, der u.a. für Sat.1 die Figur der Rechtsanwältin Danni Lowinski erfand und entwickelte. Das Erfolgsgeheimnis von US-Drehbuchschreibern besteht aber auch darin, dass sie die Realität in die Serien holen, indem sie sich mit Wissenschaftlern und anderen Experten besprechen. Während beispielsweise deutsche Science-Fiction-Serien wie «Raumschiff Orion» in den 1960er Jahren auf puren Phantastereien basierten, hatten schon die ersten Folgen von «Raumschiff Enterprise» physikalisch plausible Grundlagen. Die Drehbuchschreiber der US-Krimis dürften ebenfalls sich vor dem Schreiben sicherheitspolitischen Sachverstand eingeholt haben.

Mit ein wenig Phantasie könnte man sich auch Edward Snowden als Figur in einer Serie vorstellen, in der ein Ex-NSA-Agent aussteigt und gegen seinen ehemaligen, mächtigen Arbeitgeber zu Felde zieht. Eigentlich gibt es dieses Format schon. Seit Anfang Juni dieses Jahres läuft auf RTL2 die US-Serie «Nikita». Vorbild ist der Film «Codename: Nikita» von Luc Besson aus dem Jahr 1990, in dem der Auftraggeber der Filmheldin noch eine Sonderabteilung des Geheimdienstes ist. Die Serie, die seit September 2010 im US-Fernsehen gezeigt wird, macht dort weiter, wo Bessons Film endet. Hauptfigur ist eine junge Frau, die von einer geheimen Organisation namens «Division» zur Killerin ausgebildet wurde. Diese Organisation hat ein Eigenleben entwickelt, operiert längst unabhängig von politischer und institutioneller Kontrolle. Zu Serienbeginn bekommt Nikita Skrupel an ihrem Tun, taucht unter und setzt alles daran, die «Division» zu Fall zu bringen. Ihr zur Seite steht ein CIA-Agent, ein Datenanalyst, der entdeckt hat, dass es innerhalb der CIA eine Organisation gibt, die so geheim ist, dass nicht einmal offizielle Regierungsstellen von ihr wissen.

Zu früheren Zeiten konnte man im Abspann von TV-Krimis lesen: «Die Handlung und alle handelnden Personen sind frei erfunden. Jegliche Ähnlichkeit mit lebenden oder realen Personen wären rein zufällig.» Diesen Hinweis kann man sich heutzutage sparen.

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