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Raus aus der Diaspora

Auf dem dritten Queer-Tango-Festival in Berlin tanzt jeder mit jedem

  • Johanna Treblin
  • Lesedauer: 4 Min.

Die Heilig-Kreuz-Kirche in Berlin-Kreuzberg ist innen rot ausgeleuchtet. Die Stuhlreihen wurden entfernt, stattdessen tanzen im Kirchenschiff Tango-Paare zu einem Live-Orchester. Frauen in Abendkleidern führen, Männer im Anzug folgen, Frauen tanzen mit Frauen und Männer mit Männern: Die Milonga, wie Tangotanznächte genannt werden, ist die Gala-Night des dritten Queer-Tango-Festivals in Berlin.

Rund 200 Menschen haben von Donnerstag bis Sonntag an den Workshops im Tanzstudio »Phynix tanzt« und dem Nachbarschaftshaus Urbanstraße teilgenommen. Sie kamen aus Deutschland, Schweden, Australien und Neuseeland. Noch einmal so viele haben die abendlichen Milongas besucht. Die meisten Teilnehmer sind lesbisch, schwul oder bisexuell, rund ein Fünftel ist nicht queer. Die kommen, weil sie keine Lust an der traditionellen Rollenverteilung haben, die im argentinischen Tango auch auf Berliner Milongas noch immer vorherrscht: Der Mann führt nicht nur, er fordert auch auf.

»Wir machen das Wort ›queer‹ nicht am Geschlecht fest«, sagt Astrid Weiske, die das Festival im dritten Jahr organisiert. Seit sieben Jahren unterrichtet sie argentinischen Tango, zunächst in Berlin, seit ein paar Jahren auch weltweit. Rollentausch ist ein wichtiger Bestandteil ihres Unterrichts. Sie will vor allem Anfängern damit ein Verständnis für das Gegenüber vermitteln und die traditionelle Geschlechterordnung nicht zementieren. Denn: Die meisten Tänzer bleiben bei der Rolle, die sie zu Beginn gelernt haben. »Wenn sie von Anfang an beide Rollen zumindest im Ansatz lernen, dann fällt es ihnen später leichter, von einer in die andere zu wechseln«, sagt Weiske.

Auf dem Festival leitet sie drei Anfänger-Workshops. Die meisten Teilnehmerinnen sind Frauen. Tim lässt sich lieber führen, ihn überfordert, dass er als Führender nicht nur die Schritte vorgeben soll, sondern auch darauf achten muss, keine anderen Paare anzurempeln. Jo tanzt schon länger beide Rollen. Sie nimmt hauptsächlich wegen ihrer Freundin teil und will an ihren Verdopplungen arbeiten - rhythmische Schritte im doppelten Tempo. Allein die Hitze an diesem Wochenende macht ihr zu schaffen: »Bei mir zu Hause hat jeder Schweinestall eine Klimaanlage, ich verstehe nicht, warum die Tanzschulen in Berlin das nicht schaffen. So ein Ding kostet 2000 Euro.«

Kommunikation im Paar und in der Gruppe hält Weiske für elementar. Im Unterricht fordert sie die Schüler zwischen den Übungseinheiten auf, Feedback zu geben: wie sie sich mit den Übungen fühlen, auf welche Schwierigkeiten sie getroffen sind. Das Unterrichtskonzept hat sie von ihrer Lehrerin Brigitta Winkler übernommen, die die Berliner Tangoszene Anfang der 1980er Jahre mitgegründet hat, später den Tango nach New York brachte und heute in beiden Städten zu Hause ist und unterrichtet. Auf dem Festival leitet sie einen Workshop für Verzierungen. Ob sie mit hetero- oder queeren Schülern arbeitet, macht für sie keinen Unterschied. »Wenn die Folgenden nicht selbst aktiv sind und die Führenden ihnen kein Raum für ihre eigene Kreativität geben, dann ist das für mich kein Tango.«

Seit ein paar Jahren gilt Berlin als die zweitgrößte Tango-Metropole nach Buenos Aires. Jeden Abend tanzen die Tango-Begeisterten auf zwei bis zehn Milongas. Zu Pfingsten fand das 13. Internationale Tango Festival Berlin statt, daneben haben sich in den vergangenen Jahren mehrere weitere Festivals etabliert, darunter Festivalito, Tango High, Tango Europa Festival. Warum jetzt auch noch ein queeres Festival?

»Ich hatte auf den großen Festivals oft das Gefühl, ich sei als führende Frau in der Diaspora«, sagt Weiske. Auch auf anderen »heteronormativen« Tango-Veranstaltungen haben queere Tänzer oft das Nachsehen, meint die Lehrerin: Beim Partnertausch im Unterricht bekommen führende Frauen oft keine Partnerin ab. Das liege auch daran, dass Lehrer häufig noch immer von »Männern« und »Frauen« statt von »Führenden« und »Folgenden« sprechen. Gerade Männer scheuten sich außerdem häufig, andere Männer zu führen. Weiskes Beobachtung ist aber auch: Je besser die Tänzer, desto entspannter sind sie bezogen darauf, welches Geschlecht das Gegenüber hat. Letztlich zählt schließlich die Qualität des Tanzes, die Sympathie füreinander und das Zusammenspiel im Tanz.

Mit dem Festival will Weiske dazu beitragen, dass Vorurteile gegenüber führenden Frauen und folgenden Männern abgebaut werden. Im Mittelpunkt stehe die Begegnung mit anderen Tänzern. Letztlich solle das Festival queeren Lehrern auch eine Plattform bieten, sich und ihre Arbeit vorzustellen: Gleichgeschlechtliche Paare werden selten auf internationale Festivals eingeladen. »Man kann sie nicht einmal an einer Hand abzählen«, sagt Weiske. Weltbekannt sind in der Tangoszene lediglich die Argentinier Martin Maldonado und Maurizio Ghella.

Regelmäßige queere Tanzveranstaltungen gibt es in Berlin kaum. Weiske lädt einmal pro Monat zur Milonga, andere Tangoabende sind nach kurzer Zeit immer wieder eingeschlafen. »Die queere Tangoszene ist ein Spiegel der Bevölkerung: Wir stellen ungefähr sechs Prozent der Tänzer.« Bei 50 Menschen pro Abend lohnt sich der Aufwand für die Veranstalter kaum. Auf queeren Milongas kommen diejenigen eher zum Zug, die beide Rollen bedienen. Bevor der erste Schritt im Paar gemacht wird, muss zunächst geklärt werde, wer welche Rolle übernimmt. Das kann aber mitten im Tanz schon wieder wechseln.

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