Göttinger Transplantationsskandal vor Gericht

Staatsanwaltschaft wirft Mediziner versuchten Totschlag und Körperverletzung mit Todesfolge vor

  • Reimar Paul
  • Lesedauer: 3 Min.

Der Skandal um Organtransplantationen an der Göttinger Universitätsklinik kommt vor Gericht. Vor der Schwurgerichtskammer des örtlichen Landgerichts muss sich ab Montag ein ehemaliger Oberarzt und früherer Leiter der Transplantationschirurgie verantworten.

Dem Mediziner wird versuchter Totschlag in elf sowie Körperverletzung mit Todesfolge in drei Fällen vorgeworfen. Der 46 Jahre alte Mediziner, der seit Januar in Untersuchungshaft sitzt, soll bei der Meldung von Daten seiner Patienten an die zentrale Vergabestelle von Spenderorganen Eurotransplant absichtlich falsche Angaben gemacht haben. Fünf dieser Patienten, so die Anklage, seien Eurotransplant gemeldet worden, obwohl die nach den Richtlinien der Bundesärztekammer vorgeschriebene Alkoholabstinenz von sechs Monaten nicht eingehalten war. Zudem seien in drei dieser Fälle unzutreffende Blutwerte angegeben worden.

Durch die Manipulationen seien diese Patienten auf der Warteliste so weit nach oben gerückt, dass ihnen in kürzester Zeit ein Spenderorgan zugewiesen und transplantiert wurde. Wegen der Knappheit von Spenderorganen ist laut Staatsanwaltschaft davon auszugehen, dass andere Patienten kein Spenderorgan erhielten und möglicherweise aus diesem Grunde verstarben. Weil der Angeklagte von dem Mangel wusste, habe er die Todesfälle zumindest billigend in Kauf genommen.

Den Vorwurf der Körperverletzung mit Todesfolge begründet die Staatsanwaltschaft so: Der Arzt habe Patienten Organe eingepflanzt, obwohl diese gar nicht so lebensgefährlich erkrankt waren, dass eine Transplantation notwendig gewesen wäre. So soll der Arzt an einer Frau, die stabile Leberwerte aufwies, aber eine andere gefährliche Vorerkrankung hatte, eine nicht erforderliche Lebertransplantation vorgenommen haben. Aufgrund der Vorerkrankung und in Verbindung mit der Transplantation sei es zu einer drastischen Verschlechterung des Gesundheitszustandes gekommen, die Patientin verstarb an den Folgen der Transplantation. Dem Beschuldigten sei bei Vornahme der Transplantation bekannt gewesen, dass diese nicht erforderlich und aufgrund der weiteren Erkrankung mit erheblichen Risiken verbunden war, so die Staatsanwaltschaft.

Bei einem Patienten mit Leberzirrhose, bei dem aber eine Lebertransplantation aufgrund stabiler Leberwerte nicht indiziert gewesen sei, habe der Beschuldigte ebenfalls eine Lebertransplantation mit einer nicht über die Warteliste, sondern im beschleunigten Verfahren vergebenen Leber vorgenommen. Infolge der Transplantation hätten sich Komplikationen ergeben, die eine weitere Transplantation erforderlich machten. Der Patient verstarb an chronischem Leberversagen. Dem Beschuldigten sei bei der Transplantation bewusst gewesen, dass diese keinerlei gesundheitliche Vorteile, wohl aber Risiken für den Patienten beinhaltete.

Nicht bestätigt sehen die Ermittler Vorwürfe der Bestechlichkeit und des Organhandels. Möglicherweise seien Geltungssucht oder Eitelkeit Motive des Arztes gewesen. Nach Bekanntwerden des Skandals war zunächst darüber spekuliert worden, dass bei der bevorzugten Behandlung bestimmter Patienten auch Geld geflossen sei.

Im Fall einer Verurteilung drohen dem Mediziner eine Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren sowie ein Berufsverbot. Abgetrennt hat die Staatsanwaltschaft Ermittlungen gegen vier weitere Mediziner aus der Göttinger Uni-Klinik, denen Beteiligung an den Manipulationen vorgeworfen wird. Für den Prozess in Göttingen sind vorerst 22 Verhandlungstage angesetzt.

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