Der gut beschützte Niedriglohn

Teil XI der nd-Serie zur Bundestagswahl

  • Marian Krüger
  • Lesedauer: 3 Min.
Welche Antworten die Bundestagsparteien auf umstrittenen politischen Themenfeldern geben, untersucht in ausgewählten Bereichen die nd-Serie »Systemvergleich«. Heute: Arbeitsmarktpolitik. Einige Parteien scheinen sich in den Programmen der jeweils linken Nachbarn zu bedienen.

Beim Thema Arbeit geht es im Wahlkampf vor allem um die Zukunft des Niedriglohnsektors, in dem gegenwärtig ein Viertel der deutschen Beschäftigten arbeitet. Die aktuelle Niedriglohngrenze beträgt nach dieser Definition 9,54 Euro pro Stunde. Die 7,3 Millionen Menschen, die gegenwärtig den Niedriglohnsektor bevölkern, tun dies im Ergebnis der rot-grünen Arbeitsmarktreformen. »Wir müssen einen Niedriglohnsektor schaffen, der die Menschen, die jetzt Transfereinkommen beziehen, wieder in Arbeit und Brot bringt« hieß es dazu in einer Regierungserklärung des damaligen Bundeskanzlers Gerhard Schröder (SPD). Seitdem geht die Arbeitslosigkeit zurück und die Armutslöhne nehmen zu. In manchen Branchen arbeiten fast nur noch Niedriglöhner. Das betrifft vor allem die Friseure, Taxifahrer, den Einzelhandel und das Gaststättengewerbe.

Auch Tarifverträge schützen schon lange nicht mehr vor Niedriglöhnen. Der am 1. August 2013 in Kraft getretene bundesweite Tarifvertrag für Mindestentgelte im Friseurhandwerk sieht für den Osten eine Eingangsstufe von 6,50 Euro, für den Westen von 7,50 Euro vor, bis August 2015 sollen einheitlich 8,50 Euro in Ost und West gelten. Das ist sicherlich ein Erfolg für die Gewerkschaften, aber auch Beweis genug, dass auch tarifpolitisch die Niedriglohngrenze nicht durchbrochen werden kann.

Die Arbeitsmarktpolitik der Parteien

CDU

● Einführung einer allgemein verbindlichen Lohnuntergrenze in Bereichen, in denen es keinen tarifvertraglich festgelegten Lohn gibt.

● Ablehnung des gesetzlichen Mindestlohnes.

● Für Leiharbeiter müsse der Grundsatz »gleicher Lohn für gleiche Arbeit« gelten.

● Sozialversicherungsbeiträge (Lohnnebenkosten) unter 40 Prozent halten

SPD

● Für einen gesetzlichen Mindestlohn von 8,50 Euro

● Gleicher Lohn bei gleicher Arbeit in der Leiharbeit

● Die Rahmenfrist für das ALG I soll von zwei auf drei Jahre erhöht werden.

● Die Arbeitslosenversicherung soll zur Arbeitsversicherung umgestaltet werden (Anspruch auf Weiterbildung)

● Zur Höhe der Hartz-IV-Regelsätze wie auch zur Sanktionsproblematik werden keine konkreten Aussagen getroffen.

● Öffentliche Beschäftigung fördern

● Minijobs müssen nach Tarif bezahlt werden, mindestens 8,50 Euro

LINKE

● Für einen gesetzlichen Mindestlohn von zehn Euro, der bis 2017 auf zwölf Euro steigen soll.

● Für Leiharbeiter soll das Prinzip gleicher Lohn bei gleicher Arbeit gelten, die Verleihdauer soll begrenzt und langfristig die Leiharbeit abgeschafft werden.

● Zustimmungspflicht des Betriebsrates

● Statt Hartz IV soll es eine sanktionsfreie Mindestsicherung geben, der Regelsatz auf 500 Euro erhöht werden

● Tarifverträge in Ost und West sollen angeglichen werden.

● Ein Verbandsklagerecht zur Einhaltung von Tarifverträgen für Gewerkschaften soll eingeführt werden

● Eine Sozialversicherungspflicht für alle Arbeitsverhältnisse, auch Minijobssoll eingeführt werden.

● Öffentlicher Beschäftigungssektor

Grüne

● Für einen gesetzlichen Mindestlohn von 8,50 Euro

● Gleicher Lohn bei gleicher Arbeit in der Leiharbeit

● Hartz-IV soll auf 420 Euro erhöht werden, wenn höhere Steuereinnahmen durch Mindestlohn zur Verfügung stehen.

● Die Sanktionen bei Hartz IV sollen überprüft werden.

● Minijobs sollen zurückgedrängt und durch reguläre Beschäftigungsverhältnisse ersetzt werden.

● Öffentlich geförderte Beschäftigung in einem »sozialen Arbeitsmarkt«

FDP

● Ablehnung des gesetzlichen Mindestlohnes

● Für Leiharbeit mit tariflichen Branchenzuschlägen

● Regelmäßige Anpassung der Grenze für Minijobs ( z.Zt. ) 450 Euro

● Aufwandentschädigungen für gesellschaftliches Engagement sollen nicht zu Abzügen bei staatlichen Leistungen führen.
 

Hingegen gibt es auf der Unternehmerseite genügend Möglichkeiten, die Löhne auch auf unter fünf Euro zu drücken. Deutsche und ausländische Werkvertragsarbeitnehmer werden auch für weniger beschäftigt. Zu den Betroffenen des »modernsten Niedriglohnsektors Europas« (Gerhard Schröder) gehören noch die ca. zwei Millionen (Schein)-Selbstständigen, von denen viele so wenig verdienen, dass sie nur mit Aufstockung vom Jobcenter finanziell überleben. Ohne die Milliardensubventionierung dieser Billigjobs durch die Bundesagentur für Arbeit und die drohenden Sanktionen der Jobcenter gegen Hartz-IV-Empfänger wäre dieses System nicht überlebensfähig.

Und diese Überlebensgarantie spricht das Wahlprogramm der Union aus, die es erfolgreich verstanden hat, sich mit kleineren Zugeständnissen bei Lohnuntergrenzen und der Leiharbeit das Image einer Partei, die auch Arbeitnehmerinteressen vertritt, zuschreiben zu lassen.

SPD und Grüne bieten dagegen eine Reform des Niedriglohnsektors an. Ein flächendeckender Mindestlohn, Equal Pay und Stärkung der Vetomacht der Gewerkschaften bei der Leiharbeit sind gewiss keine geringen Eingriffe in das Schrödersche Erbe. Kaum Bewegung lässt die SPD jedoch beim Thema Hartz IV erkennen. Das betrifft nicht nur die Höhe der Regelsätze, sondern vor allem die Sanktionen, mit der die Leistungsempfänger zur Annahme staatlich subventionierter Billigjobs gezwungen werden sollen. Die Grünen wollen das Sanktionsregime zumindest überprüfen. Beide sind sich in einer besseren sozialen Flankierung des Niedriglohnsektors mit dem DGB einig.

Bei der Linkspartei fällt auf, dass sie als einzige Partei einen gesetzlichen Mindestlohn fordert, der überhaupt über der derzeitigen offiziellen Niedriglohngrenze liegt. Selbst der DGB traut sich mit 8,50 Euro ebenfalls nicht, an der Grenze zu rütteln. Bei den Themen Leiharbeit und Werkverträgen kommen die Positionen der LINKEN denen des DGB am nächsten, ebenso beim Verbandsklagerecht. Der DGB hält sich jedoch anders als bei den Wahlkämpfen 2005 und 2009 auffällig zurück und lässt durchblicken, dass er mit einer Großen Koalition gut auskommen könnte.

Bei so vielen Schutzmächten auch außerhalb der CDU/CSU hat der Niedriglohnsektor wohl noch eine lange, wenn auch keine angenehme Zukunft vor sich. Es braucht hier auch keine neoliberale FDP für sein Fortbestehen, sondern einen großen Deal zwischen CDU und SPD. Bei diesem Thema wird auch die gesellschaftspolitische Bedeutung der rot-grünen Abgrenzung nach links klar erkennbar. Verhandlungen über die Beendigung des Sanktionsregimes und Mindestlöhne, die tatsächlich über der Niedriglohngrenze liegen, will derzeit bei SPD und Grünen niemand riskieren.

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