Vabanquespiel an der Schranke

Bahn beklagt zunehmenden Leichtsinn an Bahnübergängen - zum Beispiel in Meerbusch (NRW)

  • Frank Christiansen, dpa
  • Lesedauer: 2 Min.
Hunderte Millionen Euro fließen in Tunnel und Brücken, um Bahnübergänge zu beseitigen. Doch die Zahl der Unfälle bleibt seit Jahren unverändert hoch. Ursache sei der Leichtsinn, sagen Bahn-Mitarbeiter. Viele Menschen ignorierten die Gefahr.

Meerbusch. »Erst heute hat wieder einer sein Rad quergestellt und unter der Schranke durchgeschoben«, berichtet Gabriele Reckin-Samolak (49). Sie ist seit über 30 Jahren Fahrdienstleiterin der Deutschen Bahn. Was sie in ihrem Stellwerk in Meerbusch bei Düsseldorf »tagtäglich« beobachtet, bestätigt den Trend: »Es ist schlimmer geworden. Regeln werden nicht mehr eingehalten. Die Leute klettern sogar mit Kinderwagen unter der Schranke durch.«

Immer häufiger beobachten Bahn-Mitarbeiter und Polizisten leichtsinniges Verhalten an den bundesweit noch 19 200 Bahnübergängen. Obwohl jeder dritte Bahnübergang in den vergangenen 20 Jahren verschwunden ist und dafür viel Geld ausgegeben wurde, stagniert die Zahl der Unfälle an den restlichen Übergängen seit Jahren bei über 200 im Jahr. Davon ist jeder vierte Unfall tödlich.

Mit einer Kampagne für Schüler und Fahrschüler haben Bahn, Polizei und ADAC in dieser Woche in Meerbusch bei Düsseldorf auf die besonderen Regeln und Gefahren an den Übergängen hingewiesen. Nach Angaben der Bahn gehen 95 Prozent der Unfälle auf falsches Verhalten von Autofahrern und Fußgängern zurück. Nur in fünf Prozent der Fälle liege der Fehler bei den Bahn-Mitarbeitern. So hat eine Infas-Umfrage ergeben, dass fast jeder Vierte rotes Blinklicht an den Übergängen fälschlich mit Gelblicht an der Ampel gleichsetze.

Besonders schlimm seien Eltern, die bei Rotlicht oder an verbotenen Stellen mit ihren kleinen Kindern die Schienen kreuzten - manchmal liefen die Kinder zehn Meter hinterher, berichtet Reckin-Samolak. Sie sei in solchen Situationen machtlos: »Der Zug hat einen Kilometer Bremsweg.« Manche kletterten auch auf den Schrankenbaum und unterschätzten dabei die Sogwirkung eines schnellen Zuges. Einer Kollegin von ihr sei der Weg zum Dienst im Stellwerk schon durch Leichenteile blockiert gewesen.

Plötzlich stutzt die Fahrdienstleiterin: »Was ist das?« Ein Arbeiter schneidet dicht an den Gleisen mit einer Säge das Grün an der Böschung zurück und ist dabei in den Blick einer der Überwachungskameras geraten. Die 49-Jährige zieht die Augenbrauen hoch: »Ohne Warnweste.«

Jörg Ackmann von der Bundespolizei hat da ebenfalls schon Einiges erlebt: »Einmal hat eine ganz langsame Rangierlok ein Auto erfasst. Die Puffer der Lok steckten trotz Tempo 10 bis zur Mittelkonsole im Wagen.«

Inzwischen hat die Fahrdienstleiterin tatsächlich einen Ernstfall und muss die Strecke sperren: Der Arbeiter mit der Säge hat sich ins Bein geschnitten und muss aus dem Gelände geborgen werden.

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