Auf Merkel folgt Merkel

Regiert wird immer, auch ohne Mehrheit

  • Jürgen Reents
  • Lesedauer: 2 Min.
Nach den Wahlen am Sonntag steht die Frage nach möglichen Koalitionen im Raum. Die SPD diskutiert sowohl im Bund als auch in Hessen über eine Große Koalition. Rechnerisch wäre ein rot-rot-grünes Bündnis in beiden Fällen machbar, doch die Chancen dafür stehen schlecht. Eine Regierungsbildung dürfte noch auf sich warten lassen.

Der neue Bundestag wird das erste Mal am 22. Oktober zusammentreten. Auf der Tagesordnung dieser Konstituierung steht traditionell nur die Eröffnungsrede des Alterspräsidenten sowie die Wahl des Bundestagspräsidiums. Gewöhnlich wird auf der folgenden Sitzung das Regierungsoberhaupt gewählt. In bislang drei Ausnahmen fand diese Wahl erst in der dritten Sitzung statt: 1949, weil noch eine Sitzung mit der Vereidigung des Bundespräsidenten eingeschoben wurde; nach der Bundestagswahl 1990, weil der alte und neue Kanzler Kohl das Parlament zuvor auf den US-Angriff zur »Räumung Kuwaits« einstimmen wollte; und 2005, als der SPD-Schwenk von Rot-Grün zur CDU die Koalitionsverhandlungen etwas länger dauern ließ.

Nun kann es die vierte Ausnahme geben. Denn derzeit sieht es weder danach aus, dass SPD oder Grüne der Union eilig zur fehlenden Mehrheit verhelfen, noch sind SPD, LINKE und Grüne gleichermaßen willens, ihre Mandatsmehrheit in eine alternative Koalition münden zu lassen. Wer aber regiert, wenn es absehbar keine neue Koalition gibt? Die einfache Antwort: Angela Merkel.

Laut Grundgesetz (Art. 69) endet das Amt der Kanzlerin zwar mit der Konstituierung des neuen Bundestages, jedoch wird sie sofort vom Bundespräsidenten beauftragt werden, ihre Geschäfte bis zur Kanzler(in)-Wahl fortzusetzen. Das ist einerseits Verpflichtung, andererseits Brauch seit 1949 - und auch verfassungsgemäß, um eine regierungslose Zeit auszuschließen. Die Dauer eines solchen »Interregnums« schränkt das Grundgesetz nicht ein.

Wenn die amtierende Regierungschefin jedoch - wie jetzt - keine Parlamentsmehrheit hinter sich hat, also einer Minderheitsregierung vorsitzt, eröffnen sich spätestens mit der Debatte um den Haushalt für 2014 praktische Probleme. Denn der Etat ist die materielle Handlungsgrundlage der Regierung. Findet er keine Mehrheit, kann die Regierung nur sehr eingeschränkt Ausgaben tätigen. Das ist einer der Gründe, weshalb die CDU-Chefin die Notwendigkeit einer »stabilen Mehrheit« betont - und im Falle erfolgloser Koalitionsgespräche spätestens im Frühjahr / Frühsommer mit Neuwahlen zu rechnen wäre.

Übrigens bleiben mit der Kanzlerin zunächst auch alle Minister im Amt. Doch gäbe es hinsichtlich jener der FDP ein Vorbild guter Tischsitten: Als die sozialliberale Koalition 1982 ausein᠆anderbrach, wurden die vier FDP-Minister entlassen und ihre Ressorts von der SPD mit verwaltet. Das war damals indes nur für zwei Wochen nötig, bis Union und FDP ihre Reihen für eine Abwahl von Helmut Schmidt zugunsten von Helmut Kohl geordnet hatten. Eventuell noch monatelang deutlich abgewählte FDP-Minister im Kabinett zu lassen, wäre sehr unappetitlich.

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