Versicherer zahlen nicht freiwillig

Kapitallebensversicherungen

  • Lesedauer: 5 Min.
Trotz einiger Urteile des Bundesgerichtshofs müssen Versicherte, die vorzeitig ihre Lebensversicherung kündigten, selber aktiv werden.

Die Verbraucherzentrale Hamburg hat Abmahnungen an mehrere Versicherungskonzerne verschickt. Es geht um gekündigte Kapitallebensversicherungen in Milliardenhöhe und um Kunden, die nicht von sich aus über unzulässige Klauseln informiert werden.

Der Fall betrifft Millionen von Versicherten

Im Juli 2012 hatte der Bundesgerichtshof (BGH) zunächst gegen den Versicherer Deutscher Ring entschieden, dass die nahezu von der gesamten Branche verwendeten Klauseln

- zur Kündigung,

- zur Beitragsfreistellung und

- zum Stornoabzug

bei Kapitallebens- und privaten Rentenversicherungen unwirksam sind. In den Folgemonaten urteilten die Karlsruher Richter ebenso gegen die Unternehmen Ergo, Generali und Signal Iduna sowie mittelbar auch gegen die Allianz.

Der Bundesgerichtshof stellte in einem weiteren Urteil am 11. September 2013 (Az. IV ZR 17/13) klar, dass Kunden, die bis 2007 eine Lebensversicherung abgeschlossen und später gekündigt haben, zumindest die Hälfte ihrer eingezahlten Prämien als Rückkaufswert zusteht. Für ab 2008 abgeschlossene Lebensversicherungen gilt eine gesetzliche Regelung. Der nd-ratgeber berichtete mehrfach (Nr. 1087, 1097, 1109). Den Assekuranzkonzernen drohten nunmehr Rückzahlungen von mehreren Milliarden Euro.

Die Prozesslawine hatte maßgeblich Edda Castello von der Hamburger Verbraucherzentrale ins Rollen gebracht. Dem Aufruf der Verbraucherschützer, die Korrespondenz mit den Versicherungskonzernen den Hamburgern für eine Auswertung zur Verfügung zu stellen, folgten Zehntausende.

Demnach erhielten lediglich 25 Prozent der Verbraucher, die ihren Anspruch anmeldeten, eine Nachzahlung. Diese betrug im Schnitt 733 Euro pro Vertrag. In nur acht Prozent der untersuchten Fälle wurden auch die zu erstattenden Zinsen gezahlt. Gemeint sind Zinsen aus »gezogener Nutzung«: Die Unternehmen konnten mit dem ihren Kunden zustehenden Geld auch nach der Kündigung weiter wirtschaften und Gewinne erzielen. »Dabei geht es nicht um Kleckerbeträge«, so Edda Castello, »in einem Fall waren es immerhin mehr als 1500 Euro.«

Versicherer argumentieren mit Verjährungseinwand

20 Prozent der Verbraucher bekamen kein Geld, weil sich das Versicherungsunternehmen auf Verjährung berief. Dabei hätten häufig Betroffene ihre Ansprüche fristgerecht in unverjährter Zeit angemeldet - und wurden trotzdem abgewimmelt. Verbraucherschützer und Anwälte sehen im Vorgehen der Versicherer einen klaren Rechtsmissbrauch.

Fazit: Ein Jahr nach den Urteilen der Bundesrichter erfolgen die Nachzahlungen der Versicherungswirtschaft zu zögerlich, sie seien oft unzureichend und in der Regel nicht nachvollziehbar:

● Alle Versicherer beriefen sich - wenn möglich - auf Verjährung und behalten damit Millionen von Euro ein.

● Die überwiegende Mehrheit der Versicherer zahle ihren Kunden nicht die ihnen zustehenden Zinsen aus.

● Alle Versicherer verweigerten eine nachvollziehbare Abrechnung.

Und vor allem erregt die Verbraucherschützer:

● Kein einziger Versicherer reguliere den Schaden von sich aus, ohne dass Verbraucher ihren Anspruch ausdrücklich geltend machen!

Die Versicherungsbranche sieht das natürlich anders. »Unsere Mitglieder haben ihre Kunden nicht getäuscht«, sagte ein Sprecher des Versicherungsverbandes GDV. Vielmehr hätten sich vereinzelte Klauseln erst Jahre nach Vertragsabschluss als unwirksam erwiesen. Daraus schlussfolgern die Versicherer unausgesprochen, sie müssten ihre früheren Kunden nicht selber benachrichtigen.

Nun hoffen Verbraucherschützer auf die Folgen eines Urteils des Berliner Kammergerichts (Az. 5 U 112/11). Darin verpflichteten die Richter die Firma Flexstrom: Der Stromversorger müsse Kunden schriftlich aufklären, dass sie nach einer Preiserhöhung nur dann weiter beliefert werden könnten, wenn sie dem ausdrücklich zugestimmt haben. Flexstrom muss nun mit einem Schreiben eine zuvor verschickte Mitteilung korrigieren. In der waren Kunden über angeblich weiter günstige Preise informiert worden. Dass die Preise tatsächlich erhöht wurden, versteckten die Verfasser. Zudem bauten sie in ihre Mitteilung einen Satz ein, der nach Auffassung der Richter gegen das Wettbewerbsrecht verstößt: »Wenn Sie nach Ablauf der Kündigungsfrist weiterhin günstigen Flexstrom beziehen, behandeln wir dies als Zustimmung ihrerseits zu den neuen Vertragspreisen.« Das Schweigen der Empfänger könne nicht als Zustimmung gewertet werden, so die Berliner Richter.

In diesem Urteilsspruch sieht die Hamburger Verbraucherzentrale ein überaus nützliches Instrument in ihrer Dauerfehde mit Versicherern. Die Nordlichter wollen nun auch das Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb - neben dem Unterlassungsklagengesetz - ins Feld führen. »Indem wir beide rechtlichen Regelkreise kombinieren, könnten wir einen effektiveren Hebel für den Verbraucherschutz erhalten«, sagt Rechtsanwalt Joachim Bluhm, der die Verbraucherzentrale berät. Das Berliner Urteil fülle den sogenannten Folgebeseitigungsanspruch mit Leben, der die Kundenrechte ausweitet.

Nicht auf die Justiz warten - Ansprüche selbst anmelden

Für Versicherte heißt dies: Das Unternehmen muss sein rechtswidriges Handeln nicht nur unterlassen, sondern auch Nachteile für Kunden wieder gutmachen! Die Verbraucherzentrale hat nun erste Abmahnungen an Versicherungsunternehmen verschickt: Sie sollen Millionen Kunden von sich aus über unzulässige Klauseln informieren.

Versicherte und Ex-Versicherte sollten aber nicht auf die Justiz warten. Sie müssen selber aktiv werden! Ansprüche sind beim jeweiligen Versicherer formlos anzumelden. In Frage kommen Kapitallebensversicherungen und privaten Rentenpolicen, die in den Jahren 2001 bis 2007 abgeschlossen wurden.

Hermannus Pfeiffer

Tipp: Weitere Hinweise für Versicherte und die ausführlichen Ergebnisse der Zwischenbilanz können auf der Webseite der Verbraucherzentrale Hamburg (www.vzhh.de) abgerufen werden. Dort finden Sie auch einen Musterbrief, um Ansprüche gegenüber den Versicherungsunternehmen geltend zu machen.

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