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Der Glaube an die Lauferstehung

Im Kino: »Sein letztes Rennen« mit Dieter Hallervorden

  • Hans-Dieter Schütt
  • Lesedauer: 4 Min.

Für den Lauf der Dinge mag der Mensch trainieren, so viel er mag: Er wird am Ende doch nur - hecheln. Das Leben gibt Startschüsse, aber der Tod sitzt in der Rennleitung und versagt die entscheidende Antwort: Bist du für Sprint, Mittelstrecke oder Marathon eingeteilt?

Was nun geschieht, wenn ein baldiger Friedhofskandidat den läuferischen Aufruhr probt? Und zwar fürs Diesseits, nicht fürs Jenseits. Paul Averhoff, einst Marathon-Legende, Olympiasieger 1956, ist jetzt Altersheimer (klingt wie Alzheimer und meint's auch so, denn: Vergiss dein Leben!, sagt der Staat gewöhnlich dem, den er »pflegend« übernimmt).

Averhoff wirft sich in Stirnband und Trainingsanzug wie in eine Rüstung. Lechzt, läuft, leidet. Liegt flach. Läuft weiter. »Sein letztes Rennen«, Regie: Kilian Riedhof. Ein wenig erinnert der Film an Bernd Böhlichs »Bis zum Horizont, dann links«. Letzte Lustsprünge über Grabesränder. Abschiedsfete fürs Leben - mit einem Reservekanister Adrenalin.

Die strahlend ordnungskalte Oberschwester der Katrin Sass - wahrlich eine höhere Sachbearbeiterin, die irrtümlicherweise auf Menschen losgelassen wird. Und die so blutjung doch schon so altjüngferlich vermooste und vergottesdienstete Alten-Animateurin der Katharina Lorenz. In beiden Gestalten haben Staat und Christentum zu rasant gemeinsamer Entsorgungskapazität gefunden - schön, wenn Paul Averhoff nach einem Trainingslauf sein Schweißhandtuch übers Kapellenkreuz hängt. Als würde er einer falschen Verheißung die Prediger-Augen zuhängen. Averhoff lässt sich nicht ans Kreuz der Bravheit schlagen, er glaubt an die Lauferstehung. Sarkastisch präzis, wenn's von der jungen Therapeutin am Ende heißt, sie sei für die Aktion »Kinderdorf« nach Afrika gegangen, ein Pfleger kommentiert: »Und ich dachte immer, die hätten in Afrika genug Probleme.«

Alte, die so brüchig sind, dass sie keine Wohnung halten können, aber noch so lebendig, dass sie nicht ins Heim wollen; Kinder, die Eltern- mit Eigenliebe versöhnen müssen; im Heim dann Gemeinschaftsrituale, die jedes Ich erwürgen, Menschen also, die nur noch heimlich träumen, saufen, lachen, lästern - also Leben bloß simulieren. Und da hinein also die Lauf-Legende Paul Averhoff, der sein todesmutig trotziges Berlin-Marathon-Training gegen das Basteln von Kastanienmännchen setzt. Dem die Frau stirbt - fast auch sein eigenes Todesurteil. Seine Tochter, weltläufige wie die unglückliche Dubai-Stewardess - Heike Makatsch einfühlsam besorgt wie brennend genervt. Unter den Darstellern der Rentner-Riege: Otto Mellies ein Kalfaktorbösewicht mit toller Wandlung ins Gute, Annekathrin Bürger als heitere Zynikerin.

Der Film spitzt sein Thema unverhohlen zu - um dann umso begehrlicher zu versöhnen. Er weint, um sich aufs happy-endliche Lachen zu freuen. Er wendet die Tragödie stets wieder in die Komödie wie den Eierkuchen in der heißen Pfanne. Aber er betreibt das in gut abgestimmtem Rhythmus: Drama, Rührstück, Romanze, Rührstück, Satire, Rührstück.

Was wahrlich ergreifend und bezwingend von der Leinwand strahlt: die Kunst des Dieter Hallervorden. Wie ausdauernd lange war er nur die komische Urknolle, prädestiniert für Sätze wie: »Ich hätt' gern 'ne Flasche Pommes.« Seit dem TV-»Nonstop Nonsens« war doch die Schublade scheinbar zugeknallt - und wollte er sie öffnen, klemmte sie boshaft ausdauernd. Loriot für die Akademiker, Hallervorden für die Bauarbeiter. Geboren als Dieter, lebendig begraben im Didi. »Palim, Palim«. Mit dem TV-»Spottlight« erfolgte die sanft-entschiedene Wiederannäherung ans weniger Grobe. Das er freilich weiter mit Grandezza beherrschte. Etwa als »Zebralla«, ein Alt-Achtundsechziger mit Politologie-Träumen; ein Urnenhuscher aus der großen Freakshow, die Leben heißt.

Nun dieser Film. Wie da ein, ja sagen wir: in Lustigkeits- bis Lächerlichkeitsreflexen verbrauchtes Hallervorden-Gesicht zum Spiegel eines großen Welt-Erschreckens wird, wie große wässrige Ungläubigkeitsaugen diese Welt nicht mehr begreifen - das ist ein Ereignis jenseits aller derben Assoziationen zum klischiert festgefrorenen Bild vom tollen Blödheini.

Man neigt bei diesem Spieler zum vorsätzlichen Frühbescheid: nicht tauglich zu Leidensstoffen - und trifft auf eine mimische Regungslandschaft zwischen Urkraft und Unsicherheit, nackter Angst und hochgeschlossener Unnahbarkeit gegen ein aufseherisches Regime, das Alte in die Unmündigkeit zwängt. Was etwa einem Otto Waalkes wohl unmöglich wäre, nämlich die Verwandlung einer Hochqualitätsmarke in einen tief erfassten Charakter - Dieter Hallervorden erhebt es zum Erlebnis.

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