Festnahmen bei Flüchtlingsdemo

Hamburg: Anlass für Proteste waren Personenkontrollen / Schutzsuchende harren weiter in Kirche aus

  • Reinhard Schwarz, Hamburg
  • Lesedauer: 3 Min.
Nach Polizeikontrollen von Mitgliedern der Gruppe »Lampedusa in Hamburg« ist es zu Protestaktionen und anschließenden Festnahmen gekommen. Die Afrikaner leben derzeit in der St. Pauli-Kirche.

»Kein Mensch ist illegal!« Dieser Spruch prangte am Wochenende kurzzeitig am geschlossenen Eingang des Hamburger Rathauses. Demonstranten hatten dort ein Transparent angebracht. Polizeibeamte entfernten das Spruchband und nahmen bei einer anschließenden Demonstration elf Teilnehmer fest. Anlass der Aktionen war eine polizeiliche Personenkontrolle von Mitgliedern der Gruppe »Lampedusa in Hamburg« - afrikanische Wanderarbeiter, die während des Bürgerkrieges 2011 in Libyen auf die Mittelmeerinsel geflüchtet waren. Italienische Behörden hatten ihnen Ende 2012 ein Touristenvisum sowie Geld zur Ausreise gegeben und nahe gelegt, das Land zu verlassen. In Libyen hatten die Afrikaner Arbeit, so berichten sie, und seien von Rebellen gezwungen worden, mit nicht seetauglichen Booten das Land zu verlassen.

Seit Mai leben rund 80 Männer dieser Gruppe in der St. Pauli-Kirche. Sie wollen von den Hamburger Behörden als Bürgerkriegsflüchtlinge anerkannt werden. Unterstützung kommt aus dem Stadtteil sowie von Teilen der Hamburger Politik. Innensenator Michael Neumann (SPD) verlangt indes, die Flüchtlinge müssten sich bei der Ausländerbehörde registrieren lassen, damit diese ihre Identität feststellen und das Asylbegehren prüfen kann. »Die behördlichen Kontrollen dienen allein dem Zweck, eine faire und umfassende Einzelfallprüfung zu ermöglichen«, erklärte der Bürgerschaftsabgeordnete Arno Münster (SPD). »Anhand der festgestellten Identität und des geschilderten Verfolgungsschicksals können alle Gründe für ein mögliches Aufenthaltsrecht geprüft werden.«

Das klingt schön und stimmt optimistisch. Doch kürzliche Äußerungen von Senator Neumann sind eindeutig und zielen auf Abschiebung. Entsprechend dem Dublin-II-Abkommen müsse die Lampedusa-Gruppe nämlich dorthin zurück, woher sie gekommen sei: nach Italien. Derweil kritisierten Parteien die Polizeiaktion. »Die Kontrollen und die Ignoranz setzen eine Haltung fort, die kaltherzig, unbarmherzig und gegen die Solidarität der vielen Menschen aus St. Pauli ist«, sagte Bürgerschaftsabgeordnete Christiane Schneider (Linkspartei). Ihre Kollegin von den Grünen, Antje Möller, erklärte: »Nach so vielen Monaten Aufenthalt ist das ein politisch unerträgliches Handeln.« Sie fordert den Senat zum Dialog auf und verlangte für die Gruppe eine Bleiberechtslösung. Pastor Sieghard Wilm, einer der beiden Geistlichen der St. Pauli-Kirche, kritisierte: »Letzte Woche haben wir noch die vielen Toten beim Untergang eines Flüchtlingsbootes beklagt, und heute werden traumatisierte Überlebende gehetzt.«

Noch am vergangenen Mittwoch hatte die Lampedusa-Gruppe zusammen mit Unterstützern in der Innenstadt für ihr Anliegen demonstriert - unbehelligt von der Polizei, die lediglich den Verkehr regelte. In den vergangenen Wochen drehte sich wegen des nahenden Winters die Debatte um die Aufstellung von beheizbaren Wohncontainern auf drei Kirchengrundstücken in St. Pauli und in Altona. »Wir haben unsere Bauvoranfrage im Bezirksamt Altona gestellt«, sagte Pastor Wilm. »Nach unseren Informationen wollen alle Parteien den Antrag positiv bescheiden.«

Die Bezirksversammlung Altona will am 24. Oktober über die Aufstellung der Container entscheiden, sagte Bezirksfraktionschef Robert Jarowoy von der LINKEN. Unklar ist derzeit die Position der Altonaer SPD, die noch Beratungsbedarf hat. Gesche Boehlich vom grünen Koalitionspartner sprach Klartext: »Wir sind der Auffassung, dass der Staat in der Pflicht ist, Menschen vor dem Erfrieren zu bewahren.«

Doch dem Staat scheint das egal zu sein. Neumann hatte gegenüber Pastor Wilm angekündigt, der Senat werde im Falle einer Genehmigung durch den Bezirk die Entscheidung an sich ziehen (»evozieren«) und die Aufstellung der Container verbieten. »Mir hat der Innensenator persönlich gesagt: In Hamburg hat nur einer was zu sagen, und das ist Olaf Scholz«, berichtete der Geistliche. Die betroffenen Afrikaner verfolgen die über ihre Köpfe hinweg geführte Debatte mit Unverständnis. »Wir bitten hier in Deutschland nicht um viel«, erklärte Affo Tchassei, einer der Sprecher der Gruppe »Lampedusa in Hamburg«. »Wir wollen über zwei Jahre nach dem NATO-Krieg in Libyen nur endlich wieder ein normales Leben führen können. Doch stattdessen sollen wir wieder verscheucht werden wie Hunde. Gelten die Menschenrechte in Deutschland etwa nicht für schwarze Menschen?«

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