Bedingungslose Kapitulation

Konzert in der Volksbühne: Vor Kat Frankies Stimme geht der härteste Hund auf die Knie. Eine Hymne

  • Martin Hatzius
  • Lesedauer: 3 Min.

Sinéad O’Connor, Fiona Apple und PJ Harvey sind Sängerinnen, deren Stimmbänder als Kletterseile in emotionale Hochlagen taugen. Auf dem Weg nach dort oben bleibt das wonnige Frösteln nicht aus, das weiß man vorher. So hoch hinaus wie am Dienstagabend geht es indessen sonst nie. Wer Kat Frankie bei ihrem Konzert im großen Saal der Volksbühne zuhören durfte, kam auf dem Everest an. Vor der gigantischen Stimme und Musikalität dieser noch viel zu wenig bekannten Ausnahmekünstlerin werden die größten Namen aus der Popwelt klein wie die Hütten im Tal.

Kat Frankie hören, das ist, als ließe sich der Ort, an dem sich die Seele befindet, mit einem Mal exakt bestimmen: Die Seele ist ein Resonanzraum, der sich zwischen Schläfe und Magen auftut, durchspannt von einer Saite. Wenn Frankie singt, hebt diese Saite so heftig zum Schwingen an, dass der Brustkorb noch Stunden später zittert, als rüttle das Herz an seinen Käfigstäben.

Berlin ist hässlich, laut und dreckig. Aber man muss dieser Stadt einmal danken. Denn ohne Berlin würde Kat Frankie wohl noch heute eine oberflächenglatte Existenz als Designerin fristen. 1978 in Sidney geboren, gehörte ihre Leidenschaft schon als Kind dem Folk. Das teure Leben und die wenigen Auftrittsmöglichkeiten in Australien versperrten ihr jedoch den Weg in die Musik. Statt als Singer-Songwriterin durchzustarten, landete sie in einem Innenarchitektur-Büro.

Ein Auslandsjahr in Berlin korrigierte zum Glück die Richtung. Dass Kat Frankie heute zuständig für die Einrichtung und Umgestaltung ganz anderer Innenräume ist, verdanken wir Berlin, der Stadt, die 2004 noch bezahlbaren Wohn- und Probenraum bot und mit kunstsinnigen Selbstverwirklichern so vollgestopft war und ist wie eine Dropstüte mit Bonbons. Kat Frankie pulte sich die besten heraus, hing ihr altes Leben an den Nagel und blieb. In Uli M. Schueppels Film »BerlinSong« (2007) ist sie eine von sechs Protagonisten aus verschiedenen Ländern, die Kreuzberg als Startloch für ihre Musikerlaufbahn ausgemacht haben. Für den Film schrieb sie den Song »The Faint-Hearted Ones«, der von der Stadt als freizügiger, unwiderstehlicher Verführerin erzählt, die den sich in ihr verwirklichenden Kreativen fast unbemerkt ihre Jugend stiehlt.

Inzwischen hat Kat Frankie drei Alben herausgebracht, die vom steten Anwachsen ihres Könnens, ihrer musikalischen Bandbreite und, vor allem, der Magie ihrer Stimme zeugen. Auch für das jüngste, »Please Don’t Give Me What I Want« (2012), schlug sie Label-Angebote aus und blieb ihre eigene Frau. Gleichzeitig öffnet sie ihre Musik immer wieder verschiedensten Instrumentalisten und Vokalisten. So auch in der Volksbühne, wo Miss Kenchichi ein passables Vorspiel bot und Kat Frankie mit Band und Gastmusikern (Drums, Bass, Gitarren, Computer, Flügel, Oboe, elektronische Tasten, E-Cello, Background-Gesang) durch die verschiedensten Musikstile variierte.

Dies Viele wäre wenig ohne Kat Frankies Stimme, die manchmal binnen Sekunden vom leisesten Flüstern ins rauste Röhren ausbricht und wieder abschwillt, immer aufs engste angeschmiegt an die Poesie der Texte. Wie bewusst und punktgenau diese Künstlerin Sprache phrasiert, Silben verzögert, Vokale verschleift oder tanzen lässt, wie sie Klangfarben durch den Abstand zum Mikrophon steuert oder indem sie momentweise zur Seite singt, ist eine Wucht. Höhepunkt: zwei A-capella-Solo-Songs, in denen Frankie ihre Stimme mit Hilfe eines Loop-Geräts vervielfältigt und dosiert übereinanderschichtet, bis ein genial arrangierter, unfassbar schöner Chor jeden Winkel des Raums bis unter die Decke ausfüllt. »Frauen verlassen« heißt eines dieser Stücke. Man kann es sich im Internet anhören, bis sich die nächste Gelegenheit ergibt, Kat Frankie live zu erleben. Und wäre dumm, das nicht zu tun.

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