Rasantes Vergessen

Monika Knoche über die Energiepolitik der Grünen und ihre Kritik an den Koalitionsverhandlungen der SPD

  • Monika Knoche
  • Lesedauer: 4 Min.

Die heutige Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bundestag, Katrin Göring-Eckardt, warb noch vor wenigen Wochen als damalige Spitzenkandidatin ihrer Partei für eine rot-grüne Regierungskoalition. Daraus wurde bekanntlich nichts. Nach dem 22. September ist die Ökologie, die die Grünen im Wahlkampf fast vergessen hatten, plötzlich als ihre Kernkompetenz wiederauferstanden. Soweit so gut. Jetzt aber macht die einstige Protestpartei Opposition gegen die Wunschpartnerin von gestern. Zugegeben, das ist keine leichte Aufgabe, selbst für eine gelenkige Parlamentarierin nicht. Mit ihrer jüngst vorgetragenen SPD-Schelte zur Energiepolitik hat Göring-Eckardt aber bereits den Auftakt im neuen Rollenspiel verpatzt.

Es ist etwa drei Wochen her, dass die Union ernsthafte Überlegungen anstellte, eine schwarz-grüne Koalition auf Bundesebene zu wagen. Die Grünen führten in konstruktiver Atmosphäre Sondierungsgespräche mit den Konservativen. Mit für diese neue Konstellation verlässlichen Parteivertretern. Schwarz-Grün wäre nicht an CDU und CSU gescheitert. Erinnert man sich?

War es nicht so, dass alle Grünen darin übereinstimmten, dass ein weiteres Wahldebakel nur verhindert werden könne, wenn sich die Partei auch andere Regierungsoptionen offen hält als bisher? Der grüne Ministerpräsident aus Baden-Württemberg, Winfried Kretschmann, warf alles, was strategische Machtpolitik von einer angepassten Partei verlangt, in die Waagschale, um für ein Bündnis mit der Union zu werben. Doch es half nichts. Partei- und Fraktionsspitze sagten nein. Zum jetzigen Zeitpunkt können die Grünen noch nicht auf CDU und CSU einschwenken, hieß es.

Die Grünen wollen es der SPD überlassen, mit den Christdemokraten genau das durchzusetzen, was bei den innerparteilichen Machtverhältnissen der Sozialdemokraten absehbar war: die Blockade der Energiewende. Um sie anschließend aus der Opposition dafür zu kritisieren. Nicht die Sache interessiert, sondern das vermeintlich vielversprechendere Image. Und das soll Göring-Eckardt am glaubwürdigsten verkörpern? Ausgerechnet sie, die sich in der rot-grünen Regierungszeit für Hartz IV stark gemacht hat, beklagt sich jetzt, dass mit der nordrhein-westfälischen Ministerpräsidentin Hannelore Kraft »die Kohlelobby am Verhandlungstisch Platz genommen hat«.

Wenn den Grünen die Energiewende so wichtig ist, dann hätten sie mit der Union koalieren müssen. Welch’ eine Chuzpe, der SPD vorzuwerfen, sie blockiere die Energiewende! Rot-Grün hat außer dem sozialpolitisch ungerechten Erneuerbare-Energien-Gesetz keine tragfähigen Strukturen für das Nachatomzeitalter geschaffen. Der Emissionshandel war umweltpolitisch komplett erfolglos. Er ist sogar kontraproduktiv: Die CO2-Belastung steigt an. Das Verkehrs- und Transportaufkommen weltweit ist auch einer Exportnation wie Deutschland geschuldet. Und jetzt soll die SPD plötzlich zur Sünderin in Sachen Ökologie erklärt werden? Das stimmt doch vorne und hinten nicht.

Es gibt keinen Grund, die SPD wegen ihrer Position bei den Koalitionsverhandlungen zu verteidigen. Doch wenigstens ist die SPD authentisch. Und glaubwürdig. Sie legte in der Zeit nach Schröder großen Wert auf die Heimkehr der Industriegewerkschaften in den Schoß der Sozialdemokratie. Deshalb macht die Partei Politik für die Kernbelegschaften der Konzerne. Wieso wird die SPD angeschwärzt, wenn sie nicht in regenerative Energien investieren will, weil sie das machtpolitisch teuer zu stehen käme? Grassiert überall rasantes Vergessen? Hofft man, dass die Wählerinnen die Zusammenhänge nicht kennen?

Es ist nicht die Aufgabe der SPD, grüne Umweltpolitik zu machen. Das müssen die Grünen schon selber tun, wenn die Chance dazu besteht. Die hatten sie, und sie haben sie vergeigt. Die Grünen haben eine Blockade in der Energiewende zu verantworten. Denn wer sich weigert, die Chance für Realpolitik zu nutzen, kann denen, die sie wahrnehmen, nicht ankreiden, dass sie es anders machen als man selbst.

Die Grünen wissen offenbar nicht mehr, wer sie sind. Mehr noch. Sie stehen nicht dazu, was sie geworden sind: kern- und konturlos, aber konformistisch. Oder meinen die Grünen etwa, sie stünden nach all ihren Wendungen, ihrer neoliberalen Regierungsphase und kriegsführenden Friedenspose noch links der Mitte und damit weit weg von den Unionsparteien?

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