Die Reichen müssen vorangehen

Das Herbst-Drama der Lieferengpässe bei Medikamenten ist nicht neu. Es braucht aber neue Lösungen. Ein Kommentar

Auch Corona-Impfstoffe werden zum Beispiel in einer Anlage des Beijing Biological Products Institutes von Sinopharm in der VR China hergestellt.
Auch Corona-Impfstoffe werden zum Beispiel in einer Anlage des Beijing Biological Products Institutes von Sinopharm in der VR China hergestellt.

Lieferengpässe bei bestimmten Arzneimitteln gehören mittlerweile zu den erwartbaren Themen im Herbst. Erneut warnt auch in diesem Jahr der Apothekerverband davor und verweist – wie schon in den Jahren zuvor – wieder auf Antibiotika-Säfte für Kinder, ein Asthma-Mittel und Medikamente, die bei der Aufmerksamkeitsstörung ADHS helfen. Immerhin sei die Versorgung mit Fieber- und Erkältungsmitteln sowie Hustensäften sicher. Wie bereits in den Vorjahren wird auf die Abhängigkeit von Produktionsstätten außerhalb Europas verwiesen.

Produktionsprobleme anderswo scheinen aber nicht vorhersagbar. Mit mehr als 100 000 behördlich zugelassenen Arzneimitteln in Deutschland ist hierzulande jedoch eine Versorgung auf hohem Niveau möglich. Und es ist sowieso unmöglich, all diese Medikamente selbst zu produzieren, vermutlich wäre das selbst in der gesamten Europäischen Union allein nicht zu schaffen.

Der Blick sollte jedoch über den Tellerrand gehoben werden. Wenn einzelne Staaten wünschen, dass ihre Bevölkerung jederzeit mit einer Reihe grundsätzlicher Medikamente versorgt wird, dann lassen sich diese Bedürfnisse bündeln. Eine Liste der unentbehrlichen Medikamente gibt es seitens der Weltgesundheitsorganisation (WHO) seit 1977, auch in mehreren Varianten. Aktuell enthält sie rund 500 Arzneimittel. Das ist ein Mindeststandard für ein Basis-Gesundheitswesen. An der Zahl ist erkennbar, auf welchem Niveau sich Deutschland als eines der reichen Industrieländer inzwischen bewegt. Diese Staaten könnten sich auch in Sachen Patentrecht dafür verwenden, dass die Grundausstattung überall auf der Welt zur (bezahlbaren) Verfügung steht.

Ernsthafte Arbeit an diesem Thema könnte als Nebeneffekt Kooperationen bei Lieferengpässen einfacher möglich machen. Und vielleicht auch irgendwann das Verständnis für die wirklichen Ungerechtigkeiten in der Versorgung verbessern. So viel scheint sicher: Aufheben lassen sich diese nur in einer gemeinsamen, globalen Aktion, bei der gerade die reichen Staaten vorangehen müssten.

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