Drei Jahre jünger als Schmidt

Warum die 1922 geborene Ruth Hering aus Potsdam nun doch in die SPD eintrat

  • Wilfried Neiße
  • Lesedauer: 4 Min.

Sie ist mit ihren 91 Jahren noch ganze drei Jahre jünger als Helmut Schmidt. Aber sie kenne ihn persönlich, erzählt sie stolz. Seit Mittwoch dieser Woche hat Ruth Hering mit dem sozialdemokratischen Altkanzler etwas gemeinsam: Sie ist Mitglied der SPD geworden. In ihrer Wahlheimat Potsdam.

Die Malerin Hering ist bettlägerig und hat vor drei Wochen ihren Mann verloren. Nach rund 70 Ehejahren. Danach hat sie einen Entschluss gefasst, von dem sie wollte, »dass er in der Zeitung steht«, wie sie Journalisten verschmitzt erklärt. Nachdem sie Zeit ihres Lebens SPD gewählt habe, wolle sie nun Mitglied dieser Partei sein. Und dazu kam es auch. Klara Geywitz, Generalsekretärin der brandenburgischen SPD, überreichte ihr das rote Mitgliedsbuch. Die Dame Hering ist nunmehr Nummer 229 im Potsdamer SPD-Ortsverein Mitte/Nord.

Warum sie das getan hat? »Ich will, dass es gerecht zugeht«, erklärte die frischgebackene Genossin Ruth Hering den Journalisten, die in ihrem Wohnzimmer Zeuge dieser politischen Willensbekundung geworden sind. Es sei doch nicht damit getan, alle vier Jahre zur Wahl zu gehen. Gerade jetzt, wo viele wegen der sich anbahnenden großen Koalition austreten oder mit Austritt drohen, wolle sie mitgestalten. Nicht, dass die SPD in die Bundesregierung eintrete, sei die Frage, sondern, inwieweit sich ihre Ziele dort wiederfinden. Neben ihr auf dem Nachttisch liegt ein alter Aufkleber in Postkartengröße. »Willy wählen« steht darauf. »Ich bin froh, dass mir dieser Gedanke gekommen ist.« Dann wieder berichtet sie von ihren Zweifeln: »Mache ich das richtig? Jetzt könnte es doch heißen, was will die Alte in der SPD, will sie da Unruhe stiften?«

Und die alte Frau hat politisch konkrete Erwartungen: Es könne doch nicht sein, dass Frauen bei gleicher Arbeit weniger verdienen als Männer. Für gleiche Arbeit müssen alle den gleichen Lohn bekommen, sagt sie aufgeregt. Unpolitisch sei ihre Großmutter nie gewesen, fügt Enkelin Sarah Zalfen hinzu. Die Schwiegermutter von Ruth Hering habe der KPD angehört.

Wie die berühmte Granma Moses in der USA begann die neue SPD-Genossin erst im Rentenalter mit dem Malen. Ihre sorgfältig ausgeführten Stillleben und Aquarelle umgeben das Bett, in dem sie gepflegt wird. Vor einigen Jahren kam Ruth Hering, die verheiratet war mit dem Maler und Bildhauer Bernd Hering, nach Potsdam. Geboren wurde sie in Bremen, gelebt hat sie lange in Hamburg.

In Potsdam lebt sie seit 2010 inmitten ihrer Nachkommenschaft in einer grünen Oase der Innenstadt an der Hegelallee. Das Bild des Philosophen Hegel begrüßt an der Wand jeden, der das Vier-Generationen-Haus betritt. Das Verpflanzen des alten Baumes habe geklappt, zeigt sich die Enkelin sicher. In Westdeutschland sei es um die alten Leute zuletzt immer einsamer geworden. Das schöne Potsdam könne die alte Dame nur noch im Rollstuhl genießen. Aber das tue sie auch. Sieben Personen seien sie jetzt, die nach dem Ableben des Urgroßvaters unter einem Dach wohnen - jede Generation in ihrem eigenen, abgetrennten Bereich. Es sei gut, dass nun alle vereint sind, sagt Enkelin Sarah. »Wir haben nicht immer so zusammengehalten.«

Ruth Hering ist die bislang älteste Brandenburgerin, die sich dazu entschlossen hat, in die SPD einzutreten. Im Maßstab der gesamten Bundesrepublik ist diese Entscheidung eines hochbetagten Menschen jedoch gar nicht so ungewöhnlich. »Wir hatten schon Parteieintritte von Bürgern in höherem Alter«, erklärte SPD-Sprecher Julian Lange. »Vor einiger Zeit ist ein Mann mit Ende 90 eingetreten.« Die Sozialdemokraten sollen in einem Mitgliedervotum entscheiden, ob die SPD als Juniorpartner der CDU in die Bundesregierung geht, so wie vor acht Jahren. Das beabsichtigte Votums führte offenbar dazu, dass mehr Menschen in die Partei eintreten als üblich. In Nordrhein-Westfalen, dem mit 122 000 Mitgliedern größten SPD-Landesverband, sind im Oktober etwa 700 Neuzugänge gezählt worden. Doch auch im September, also bereits vor der Bundestagswahl, registrierte die nordrhein-westfälische SPD 850 Eintritte.

Rund um Wahltermine ist dies bei der SPD üblich, wissen die Sozialdemokraten. Auch andere Landesverbände melden Zugänge. Die SPD Brandenburg mit ihren rund 6000 Mitgliedern muss dabei kleinere Brötchen backen als andere. 27 Eintritte hat es seit der Wahl gegeben, sagte Generalsekretärin Geywitz. Das sind immerhin ungefähr doppelt so viele wie in einem normalen Monat. Allerdings: 1990 zählte die SPD bundesweit knapp eine Million Mitglieder. Jetzt sind es nur noch 470 000.

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