Fremder Planet Merapi

Leben am gefährlichsten Vulkan der Welt

  • Marlene Göring
  • Lesedauer: 6 Min.
Der Merapi auf der Insel Java ist einer der gefährlichsten Vulkane der Welt. Indonesiens Regierung will seine Bewohner umsiedeln, doch die wollen bleiben. Und sie bekommen immer häufiger Besuch.

»Hello Sir, picture please?« Mit lächelnden Augen streckt ein alter Mann einen Fotoband von sich. Er steht vor einer von vielen bunten Hütten entlang der unbefestigten Straße, die sich träge durch den Tropenwald bergauf windet. Gleich nebenan gibt es Erfrischungen, Tabak, motorisierte Mieträder, Sonnenhüte - alles, was Asientouristen so brauchen könnten. Die kümmern sich aber kaum um das kleine indonesische Dorf und seine Bewohner. Angestrengt blicken sie in die Ferne. Sie suchen die Naturgewalt, die den Ort Kinahrejo zwischen dem 26. Oktober und dem 6. November 2010 fast ausgelöscht hätte.

Der, um den es geht - er zeigt sich nicht. Merapi, der knapp 3000 Meter hohe »Feuerberg« von Java und einer der gefährlichsten Vulkane der Welt, versteckt sich hinter dichtem Nebel. Oder sind es doch heiße Rauchschwaden aus dem Innersten der Erde? »Nein, im Moment hustet der Berg nicht«, versichert der Guide Manto. In sicherem Abstand von vier Kilometern Luftlinie startet er seinen Jeep, eng besetzt mit echten »Bule« - Weiße aus dem Westen.

Bis auf den Gipfel kommt man seit dem größten Ausbruch seit 1872 von dieser Seite nicht mehr - jedenfalls als Tourist. Nur noch von Nordwesten darf man ihn laut Gouvernementverordnung besteigen. Trotzdem erlebt Kinahrejo seit diesem Jahr einen Besucherboom. Der Ausbruch hat den Berg weltberühmt gemacht. Man will sehen, wo damals eine 800 Grad heiße Asche spuckende Hölle tobte, die über 300 Menschen tötete. Und den riesigen Riss, der seitdem im Kegel klafft - in Richtung der nur 35 Kilometer südlich gelegenen Millionenstadt Yogyakarta.

Jederzeit kann Merapi wieder ausbrechen. 2010 entdeckten Geologen ein gigantisches Magmareservoir unter der Erdoberfläche. Groß genug, um den gesamten Krater in die Luft zu sprengen, an dessen Ausläufern 1,1 Millionen Menschen leben. Zum Super-Gau kam es damals nicht. Der schwer berechenbare Vulkan verhält sich seit längerem unauffällig - und nach und nach öffnet die Lokalregierung die Gegend für Besucher.

Mit den Touristen werden auch die Verkaufsstände mehr, die Kinahrejo heute hauptsächlich ausmachen. Wo sie aufhören, beginnt die Zerstörung. Zwischen jungem, aber schon meterhohem Grün blitzen dunkel Ruinen ohne Dächer auf. Darin verkohlte Reste von Schränken und Betten. Der Dschungel holt sich nach und nach zurück, was die Menschen Merapi abgerungen hatten. Und er ihnen wieder genommen hat.

Nur etwas weiter ist die Erde schwarz. Vulkanischer Schutt lagert über dem Mutterboden, hier kann nichts wachsen. Die Fahrt ruckelt durch tiefe Schluchten, die die Lahare, Lawinen aus Geröll und Schlamm, in den Boden gebrochen haben. Immer wieder muss der Jeep um wuchtige Lkw herum manövrieren. Sie bauen Asche ab - ein gefragter Baustoff. Eine Million Rupiah oder 65 Euro ist eine Ladung wert. Der Fahrer verdient 2,50 Euro, bis zu drei Ladungen schafft er pro Tag. Ein gutes Geschäft. Ein einfacher Holzarbeiter bekommt nicht halb so viel.

Weiter oben auf einem Plateau klingt der Baggerlärm nur noch dumpf nach. Hier, wo einst der Kern von Kinahrejo war, ist - nichts. Aufnahmen vom Mond sind Disneyland gegen die allumfassende Schwärze. Merapi ist ein Stratovulkan, nicht von Magma, sondern von pyroklastischen Strömen stammt die Verheerung: Explosionswellen aus Gas und Gestein, die Schallgeschwindigkeit erreichen können. An manchen Stellen steigt heißer Dampf aus der nach oben gespuckten Erdkruste. Wie Fremde auf einem unwirtlichen Planeten stapfen Urlauber durch die Ödnis - und treffen unverhofft auf eine Oase aus Sonnenschirmen. Darunter sitzen alte Mütterchen und verkaufen Selbstgebackenes und Cola. Abends werden sie von ihren Schwiegersöhnen wieder eingesammelt.

Jeepfahrer Manto grüßt die Damen lachend von seinem Sitz aus. Er ist glücklich, seine Gäste sind aufgeschlossen, können zum Teil die Landessprache. So dreht er eine Extrarunde an seinem Haus vorbei. Vom simplen Bretterbau aus reicht seine Frau Guaven aus dem eigenen Garten. Sein Land ist Mantos ganzer Stolz. Und keine Selbstverständlichkeit. 2012 kündigte die Regierung an, die Menschen vom Merapi umzusiedeln. 200 000 verloren beim Ausbruch ihr Zuhause. Geld gibt der Staat nur denen, die sich auf die Pläne einlassen. Die meisten kehren trotzdem lieber in die Nähe ihres Heimatdorfes zurück - selbst wenn sie dort nur temporäre Hütten und keine festen Häuser bauen dürfen, so wie Manto.

Die Gemeinschaft organisiert sich selbst. Ausschließlich die eigenen Jeeps der Dorfbewohner dürfen Touristentouren fahren, keine von Unternehmern von außerhalb. Das verdiente Geld geht an den Fahrer und den Jeepbesitzer, der größte Teil aber an die Kommune. Einen Tag in der Woche ist Manto Reiseführer, an zwei anderen übernimmt er Verwaltungsaufgaben. Wie den meisten Bauern hier gehört ihm auch der Grund, den er bewirtschaftet.

Das Land um den Feuerberg ist gefährlich - aber viel wert. Der Ascheregen macht die Böden fruchtbar, das feuchte Klima ist gut für die Landwirtschaft. Der schnell nachwachsende Wald liefert Holz. Und nun kommen auch Feriengäste. Die Umsiedlungspläne der Regierung sehen vor, die Grundstücke der 2700 Familien aus der gefährlichsten Zone III rund um den Krater in den Nationalpark einzugliedern - und ein Tourismus- und Naherholungsgebiet aufzubauen.

Umsiedlungspolitik hat in Indonesien eine lange Tradition, schon seit der niederländischen Kolonialherrschaft. Auf Java, das nur sieben Prozent der Landesfläche ausmacht, leben 60 Prozent der Bevölkerung. Noch vor einigen Jahren forderte die Landesführung deutlich: Weniger bewohnte Gegenden wie auf Sulawesi und Kalimantan müssten mit den Bauern der Insel »javanisiert« werden. Auch jeden Ausbruch des Merapi nutzt die Regierung, ihre Resettlement-Programme bei der Bevölkerung beliebt zu machen. Was nichts nützt, wie etliche ethnologische Untersuchungen bescheinigen.

Auch Miyono möchte auf keinen Fall weg. Er ist auf dem Weg nach oben auf den Berg, wo er Gras für sein Vieh schneiden will. Seine fünf Rinder konnte er beim Ausbruch nicht retten. Jetzt hat er zwei auf Kommission, die er mit zukünftigen Kälbern zurückzahlt. »Wir wollen unser einfaches Leben behalten«, sagt er. »Was sollen wir woanders denn tun?« Seine Angst, die Heimat verlassen zu müssen, ist genauso so groß wie die vor dem Berg. Der 43-Jährige, seine Frau und zwei Kinder wurden 2010 evakuiert. Viele andere sind umgekommen. Auch Mbah Maridjan, der geistige Führer der Region und der Wächter des Vulkans. Am Nachmittag des 27. Oktober wurde er von einer Aschewolke überrascht. Asche, die in Sekunden alles verbrennt und in Lungen zu Beton wird. Erst einige Tage später wurde er in seiner kleinen Hütte am Rand von Kinahrejo gefunden, auf den Knien betend. Bis zum Schluss hatte er ein gutes Ende prophezeit.

Miyonos Gesicht wird steif, als er davon erzählt. Er zupft an seinem Hemd und reißt Gräser aus der Wiese. Der Ausbruch - er kostete nicht nur Leben und zerstörte Existenzen. Er verursachte auch eine spirituelle Krise bei den Überlebenden. »Batin« - das Wort bezeichnet die tiefe Verbundenheit der Bewohner mit ihrem Berg, eine Seelenverwandtschaft. In Indonesien ist der Islam die bestimmende Religion, der Glaube aber ist animistisch. Im »Kejawen« ist der Vulkan lebendig. Er spielt eine herausragende Rolle im Mystizismus der Region: Eine Linie verbindet ihn mit dem Meer, in dem Nyi Roro Kidul herrscht, die Königin der Südsee. Feuer und Wasser, Gott und Göttin, männlich und weiblich. Genau in der Mitte der Geraden liegt der Palast von Yogyakarta. Erst vor kurzem hat der Sultan einen neuen Maridjan bestimmt, den Sohn des vorherigen. »Er muss noch viel lernen«, meint Miyono, als er zurück auf den schmalen Pfad Richtung Krater tritt. Ganz Javaner will er aber positiv denken: Nur alle hundert Jahre bricht der Merapi in so einem Ausmaß aus wie 2010. Sagt die Legende.

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