Multis machen sich Gesetze selbst

Bericht kritisiert Einflussnahme großer Firmen auf EU-Expertengruppen

  • Katharina Strobel, Brüssel
  • Lesedauer: 3 Min.
Auch die EU macht ihre Gesetze nicht allein. Wie groß die Einwirkung von Interessengruppen aber ist, offenbart nun ein Bericht.

Zu groß ist die Einflussnahme multinationaler Unternehmen auf die Gesetzesentwürfe der EU-Kommission, zu undurchsichtig die Entstehung der Gesetze – so lautet das Fazit eines am Mittwoch in Brüssel vorgestellten Berichts. Ein Jahr lang untersuchte die ALTER-EU (Allianz für Lobby-Transparenz und ethische Regeln) die Zusammensetzung von Expertengruppen der Kommission.

Jetzt fordert die Allianz dringend Veränderung und macht auch gemeinsam mit LobbyControl Druck. Noch bis 11. November läuft eine Online Petition für ein verpflichtendes Lobbyverzeichnis. Der Lobbyismus in Brüssel soll transparenter gemacht werden, eine Begrenzung von Parteispenden der Käuflichkeit von Demokratie entgegen wirken.

Bereits vor zwei Jahren lenkten Europa-Abgeordnete aller Fraktionen den kritischen Blick auf die sogenannten Expertengruppen. Dabei handelt es sich um ein von der EU-Kommission oder ihren Dienststellen zur Beratung oder zur Vermittlung von Fachwissen eingesetztes Gremium. In der Regel kommen die Experten zu Beginn der Gesetzgebung zusammen und können die Richtung entscheidend mitgestalten.

Um sich durchsetzen zu können, froren die Abgeordneten das Budget für die Expertengruppen der EU-Kommission einfach ein. Die Kommission gab nach. Sie sagte zu, die vier Forderungen der Parlamentarier beim Aufstellen des Expertengruppen künftig zu beherzigen: keine Dominanz multinationaler Unternehmen, keine Lobbyisten unter dem Deckmantel unabhängiger Berater, offene Ausschreibungen für alle Gruppen und volle Transparenz.

»Nichts davon ist passiert«, sagt Pascoe Sabido, der den Bericht für die ALTER-EU verfasst hat. Ein Jahr lang untersuchte er mit seinem Team die Zusammensetzung diverser, im vergangenen Jahr entstandener Expertengruppen der Kommission. Vor allem in den Abteilungen Steuern und Zollunion und Unternehmen und Industrie sei die Dominanz der Multinationalen deutlich geworden, so Sabido. »Aber das Problem betrifft alle Generaldirektionen der Kommission.«

Mehr als 80 Prozent der Experten der Generaldirektion Steuern und Zollunion, die nicht für ihre Regierungen in den Beratungsgremien sitzen, seien Vertreter großer Unternehmen gewesen, weiß Pascoe Sabido. Die Kommission findet nichts Anstößiges daran: »In dieser Statistik liegt keine Kontroverse«, erklärt Pressesprecherin Emer Traynor, »für uns ist es wichtig, mit den Akteuren zu sprechen, die am meisten von unseren Maßnahmen betroffen sind«.

Für Sabido sind das Unternehmen, die fast vollständig dieselben Interessen vertreten – und zwar die, die nicht im Sinne der Gesamtbevölkerung sind: »Steuern sind ein sensibles Thema in Zeiten der Eurokrise.« Ihm ist nicht klar, weshalb den 80 Prozent der Vertreter großer Unternehmen nur drei Prozent Vertreter kleiner und mittlerer Unternehmen gegenüberstanden, obwohl sie in Europas Wirtschaft eine wesentliche Rolle spielen.

Ein weiteres großes Problem sieht Sabido in den »unabhängigen« Beratern. In über 70 Prozent seiner analysierten Fälle stünden diese in direktem Bezug zu großen Unternehmen und ihren Interessen. »Für normale Bürger ist überhaupt nicht ersichtlich, ob die Sachverständigen unabhängig sind oder nicht«, glaubt Sabido. »Das Vertrauen in die zentralen Institutionen der EU und die Brüsseler Gesetze gewinnt die Kommission so nicht zurück«, urteilt er.

Dass kein Vertreter der Kommission der Vorstellung seines Berichts beiwohnen wollte, wertet Pascoe Sabido als ein weiteres Zeichen dafür, dass sie sich den Kritikpunkten nicht stellt und weitermacht wie bisher. Was tun? »Wichtig ist, dass die Europa-Abgeordneten den Druck aufrecht erhalten und ihre Forderungen durchsetzen. Das Thema darf bei der Wahl der neuen Kommission im nächsten Jahr auf keinen Fall unter den Tisch fallen«, schließt Pasceo Sabido.

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