Hausfee sucht neues Leben

Eine Berlinerin will endlich raus aus Hartz IV

  • Fabian Lambeck
  • Lesedauer: 7 Min.
Seit 16 Jahren hatte Sabine Neumann keinen richtigen Job mehr. Jetzt will die Ostberlinerin sich selbstständig machen. Doch das ist schwerer als gedacht.

Wer erwartet, dass die Wohnung eines Menschen, der seit 1997 keinen regulären Job mehr hatte, verwahrlost wirken könnte, sollte Sabine Neumann besuchen. Ihre Zwei-Zimmer-Wohnung im Berliner Stadtteil Lichtenberg ist liebevoll eingerichtet. Im Wohnzimmer steht ein grünes Ledersofa, an den Wänden hängen Fotos und Drucke. Nichts deutet daraufhin, dass die Besitzerin keine Arbeit hat.

Doch Sabine Neumann hat genug. Genug von einem Leben auf Hartz-IV-Basis. Genug von den Absagen, die stets auf ihre Bewerbungen folgten. Genug von der Gängelung durch das Jobcenter mit seinen Eingliederungsvereinbarungen. Genug von arroganten Behördenmitarbeitern, die sie immer wieder spüren lassen, wer hier Herr und wer Bittstellerin ist. Sabine Neumann will sich selbstständig machen. »Ich werde als Hauswirtschafterin und Ernährungsberaterin arbeiten«, erklärt die zierliche Berlinerin. Einen Namen für ihr kleines Unternehmen hat sie auch schon: »Die Hausfee für Ihr Wohlbefinden«. Morgens will sie als Hauswirtschafterin Menschen beim Putzen, Einkaufen und Aufräumen helfen. Nachmittags über gesunde und bewusste Lebensmittel aufklären. Das Konzept steht. Dafür hat die Berlinern einen Businessplan erarbeitet, »der auch für gut befunden wurde«, wie die 47-Jährige betont. Zudem hat sie einen Existenzgründerkurs besucht.

Von Minijob zu Minijob

Eigentlich könnte es nun losgehen mit dem neuen Leben. Doch Sabine Neumann hat das Gefühl, dass ihr Elan vom Jobcenter ausgebremst wird. Was sie stört, ist vor allem das Misstrauen, das man ihr dort entgegenbringt. Für ihre Selbstständigkeit ist sie auf eine Anschubfinanzierung angewiesen. Eigene Ersparnisse hat sie nicht. Kein Wunder, konnte Sabine Neumann doch seit 1997 nirgendwo mehr in Vollzeit arbeiten. In der DDR lernte sie den Beruf der Bekleidungsfacharbeiterin und war beim VEB Berliner Damenmoden angestellt. Im Jahre 1989 kam die Tochter zur Welt. Mit der Wende begannen die Schwierigkeiten. Dabei sah es anfangs noch ganz vielversprechend aus. Die junge Mutter arbeitete als Näherin in einer Kindertagesstätte. »Ich war ja im öffentlichen Dienst beschäftigt. Das gab mir Sicherheit.« Doch dann kam 1997 der Schock: Sabine Neumann wurde entlassen. »Ich bin damals in ein tiefes Loch gefallen, schließlich kannte man so etwas wie Arbeitslosigkeit in der DDR nicht«, blickt Neumann zurück. »Ich verbrachte nach der Kündigung viel Zeit mit meiner Tochter und versuchte nebenher, berufsmäßig wieder auf die Beine zu kommen.«

Dafür tat sie einiges. So absolvierte sie zwei Ausbildungen. »Im März 2012 habe ich meine Prüfung zur Ernährungsberaterin mit einer Eins bestanden«, freut sie sich. Zuvor hatte sie sich bereits zur Kauffrau im Gesundheitswesen und zur Hauswirtschafterin ausbilden lassen. Doch auf dem ersten Arbeitsmarkt konnte sie nicht Fuß fassen. Ab und zu ergatterte sie einen Nebenjob. Etwa als Kaltmamsell bei der Bayerischen Landesvertretung in Sichtweite vom Brandenburger Tor. Auch als Ein-Euro-Jobberin war sie schon unterwegs. »Da gab es wenig zu tun.« Eigentlich habe sie dort nur ihre Zeit absitzen müssen. Weil sie stets nur Minijobs bekam, war sie trotz Arbeit auf das Geld vom Amt angewiesen.

»Im Endeffekt blieb mir nur die Selbstständigkeit. Auch mein damaliger Arbeitsvermittler hat mir zu diesem Schritt geraten«, erinnert sie sich. Obwohl Neumann beobachten musste, dass die Jobcenter viele Erwerbslose in die Selbstständigkeit schicken, ohne dass die Betroffenen überhaupt eine Idee hatten, was sie denn machen könnten. Für die Ämter hat das einen Vorteil: Wer auf eigene Rechnung tätig ist, fällt aus der Arbeitslosenstatistik. Derzeit erhalten beinahe 130 000 Selbstständige zusätzliche Hartz-IV-Leistungen, weil ihre Einkünfte so niedrig sind, dass sie nicht zum Leben reichen.

Sabine Neumann will wirklich auf eigenen Füßen stehen. Dafür hat sie sich professionelle Beratung geholt, die sie sogar teilweise aus eigener Tasche zahlen musste. Das sogenannte Gründercoaching wird von der örtlichen IHK und der KfW-Bank angeboten und soll Neulinge in wirtschaftlichen und organisatorischen Fragen unterstützen. »Das Ganze kostet 4000 Euro und ich muss davon zehn Prozent als Eigenanteil übernehmen.« Derart gut vorbereitet wollte Neumann dann im Januar einen Antrag auf Zuschuss beim Jobcenter abgegeben. Daraufhin meinte der Berater vor Ort, sie müsse noch einen Gründerkurs absolvieren. »Dabei hatte ich doch schon alles fertig. Meinen Businessplan und meinen Finanzplan.« Aber es half alles nichts: »Von März bis Juni musste ich auf Drängen des Jobcenters noch einmal eine Fortbildung durchlaufen, obwohl doch schon alles klar war«, ärgert sie sich. Natürlich gab das Amt keine Ruhe und schickte ihr während dieser Zeit gleich vier Stellenangebote.

Ärger mit den Zuschüssen

Sabine Neumann verweigerte den Gehorsam und lehnte die Angebote ab. Schließlich war sie auf dem Weg in die Unabhängigkeit. »Wenn man, wie ich, erfolglos mehrere hundert Bewerbungen abgeschickt hat, dann weiß man, dass hier nur Zeit verschwendet wird.«

Einige Wochen fürchtete die angehende Ernährungsberaterin, dass man sie sanktionieren könnte, also ihren Regelsatz kürzt. Wer nicht spurt, der wird bestraft. Aber das Amt zeigte sich gnädig. Das Geld kam weiterhin in voller Höhe und die Firma, bei der sie noch einmal auf die Selbstständigkeit vorbereitet wurde, bescheinigte ihr, dass die Geschäftsidee von der »Hausfee für Wohlbefinden« tragfähig ist.

Diese »fachkundliche Stellungnahme« kam nicht etwa von der örtlichen Industrie- und Handelskammer, sondern von einer Firma namens EWU, die vom Jobcenter mit der Beurteilung der Geschäftsideen beauftragt ist. Nicht alle hätten von der EWU grünes Licht bekommen, sagt Neumann. Etwa eine alleinstehende Frau mit drei Kindern. Ihr traute man nicht zu, einen eigenen Imbissstand zu führen. »Meine Idee wurde jedenfalls ohne Beanstandungen und Einschränkungen durchgewinkt«.

Während des Kurses riet man ihr, einen Zuschuss beim Amt zu beantragen. Für all die Dinge, die sie für ein eigenes Geschäft benötigt. Damit begannen neue Unannehmlichkeiten. So wurde ihr im Juli vom Sachbearbeiter eröffnet, dass sie für den Antrag auf einen Zuschuss die Kreditabsagen dreier Banken benötige. »Da ich aber nur zwei hatte, verschob sich alles.« Dabei hätte sie die dritte Absage auch nachreichen können. Zumal es ohnehin mehr als unwahrscheinlich ist, dass private Banken einer ostdeutschen Langzeitarbeitslosen Kredite gewähren.

Dann der nächste Rückschlag: Einen Zuschuss, der nicht zurückgezahlt werden muss, erhalten nur Kunden mit SCHUFA-Eintrag. Sprich: Wer bereits Schulden hat, dem wird Geld geschenkt. Wer aber wie Sabine Neumann immer vorsichtig gewirtschaftet hat, erhält nur ein Darlehen. Und das muss zurückgezahlt werden. »Was für eine Ungerechtigkeit.« Sabine Neumann ist die Wut über den behördlichen Irrsinn anzumerken.

Doch damit nicht genug: Für jeden Artikel, den sie benötigt und vom Amt bezuschussen lassen will, muss Sabine Neumann Angebote von drei verschiedenen Anbietern einholen. Das mag bei einem Computer noch sinnvoll sein, doch auch für den Stempel, der ihre Briefe zieren soll, musste sie drei Anbieter finden. Zudem sperrte sich das Amt, ihr einen Laptop zu finanzieren. »Mir wurde unterstellt, ich würde diesen auch privat nutzen.«

Was Sabine Neumann besonders ärgert: »Das Geld für die Anschaffungen wird mir nicht ausgehändigt, sondern vom Amt direkt an die Verkäufer überwiesen.« So erfährt auch die Druckerei, die ihre Werbezettel herstellt, dass sie Hartz-IV-Empfängerin ist, fürchtet Neumann.

Zudem sollte sie eine Abtrittserklärung unterschreiben. Somit könnte man ihr jederzeit die Sozialleistungen kürzen, wenn sie in Verzug geriete bei der Rückzahlung des Darlehens.

Doch Sabine Neumann hat genug: Per Brief fordert sie nun vom Amt, dass man ihr einen Zuschuss gewährt, der nach erfolgter Prüfung auf ihr Konto überwiesen werden soll. »Sollten Sie mir statt Zuschuss ein Darlehen bewilligen, dann begründen Sie mir das mit allen Rechtsgrundlagen.« Zudem drängt die resolute Ost-Berlinerin darauf, dass ihr endlich eine Antwort auf ihre Beschwerde vom Februar zugeschickt wird. Damals hatte sie sich per Brief über die miese Behandlung durch ihren Sachbearbeiter beklagt: Einerseits zeige der Mann keinen Respekt vor dem Kunden, also ihr, andererseits würden von den Betroffenen aber Respekt und Gehorsam erwartet. »Das ist kein Miteinander, sondern ein Gegeneinander«, schrieb Neumann damals. Eine Reaktion vom Amt blieb aus.

Querulantin und Dauerkundin

Dabei verfügt jedes Jobcenter über ein Beschwerdestelle, die sich hinter dem sperrigen Begriff »Kundenreaktionsmanagement« verbirgt. »Wahrscheinlich gelte ich dort intern auch schon als Querulantin oder Dauerkundin«, lächelt Neumann und nimmt einen tiefen Schluck aus der Kaffeetasse. Erst vor wenigen Wochen hatte »nd« aufgedeckt, dass interne Weisungen des Jobcenters Lichtenberg jene Kunden, die sich an die Beschwerdestelle wenden, als »Querulanten« oder »Dauerkunden« abstempeln. »Bin ich eben eine Querulantin«, sagt Neumann und zuckt mit den Schultern. Auf den ersten Blick wirkt die ehemalige Bekleidungsfacharbeiterin vom VEB Damenmode etwas schüchtern. Doch das täuscht. »Ich lasse mir jetzt nichts mehr gefallen«, sagt sie und lächelt dabei.

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