Im Erschießungskommando von Treblinka
TV-Dokumentation über die Beteiligung von über 200 Schweden an Aktionen der deutschen Waffen-SS Schweden
Von Gregor Putensen
Eine dreiteilige TV-Dokumentation über die »Taten« von über 200 Schweden in den Reihen der SS hat so viel Staub aufgewirbelt, dass Premier Göran Persson gleich zu Beginn seiner Reichstagsrede am Mittwoch darauf einging.
Die schnelle Reaktion des schwedischen Ministerpräsidenten auf die TV-Dokumentation hat gewiss auch damit zu tun, dass am Freitag kommender Woche auf seine Einladung eine große internationale Holocaust-Konferenz in Stockholm stattfinden soll. Mit der Teilnahme höchster staatlicher Repräsentanten aus ganz Europa wird gerechnet. Neben einer von der schwedischen Regierung organisierten und finanzierten landesweiten Aufklärungskampagne über die Untaten des deutschen und internationalen Faschismus soll die bevorstehende Holocaust-Konferenz auch eine konsequentere gesellschaftliche Auseinander Setzung mit dem Neonazismus befördern, der in Schweden in den letzten Monaten mit zahlreichen Gewaltakten die Öffentlichkeitt schockierte.
Letzteres ist bitter notwendig. Dies mag erstaunlich scheinen, da Schweden als neutraler Staat nicht unmittelbar vom militärischen Goschehen dos Zweiten Weltkrieges betroffen war. Aber prodeutsche und profaschistische Sympathien und Verbindungen zum Nazi-Reich innerhalb der politischen Klasse und militärischen Elite Schwedens (einschließlich des Königshauses) waren zu keinem Zeitpunkt während des Krieges und nach dem Kriegsende ein Geheimnis.
Was allerdings der Öffentlichkeit in Schweden allem Anschein bis vor kurzem verborgen geblieben war, ist die angeblich erst jetzt aktenkundig gewordene Beteiligung von 260 schwedischen Freiwilligen und Offizieren an den Aktionen der deutschen Waffen-SS. Als Dunkelziffer wird sogar von mehr als 500 schwedischen SS- Leuten ausgegangen. Dieses für Schweden nach gut sechzig Jahren überaus bestürzende Ergebnis haben die Recherchen des jungen Historikers Bosse Schön zu Tage gefördert. Eine von ihm und Rolf Wagnert produzierte dreiteilige Filmdokumentation unter dem Titel »Schweden, die für Hitler kämpften« der letzte Teil wur de Anfang dieser Woche von der größten schwedischen TV-Station gesendet - hat die öffentliche Debatte nicht nur über die Renaissance der Ideologie der Nazis und die zunehmenden Umtriebe ihrer geistigen Nachfolger erheblich zugespitzt. Auch zuvor kaum gestellte Fragen nach den (möglicherweise absichtsvollen?) Ver säumnissen der politischen Verantwor tungsträger im Schweden der Nachkriegsära sind geweckt worden.
Immerhin kommen von den jetzt noch lebenden 42 schwedischen SS-Angehörigen in dieser Filmdokumentation zehn mehr oder minder ausführlich zu Worte, in der einige mit erschütternder Offenheit über ihre Motive zum Eintritt in die SS, ihre Rolle und (Un-)Taten in den Divisionen Wiking bzw. Nordland berichteten. Einer von diesen schwedischen SS-Leuten, Harald Sundin, berichtete um den Eindruck einer späten menschlichen Läuterung bemüht von seiner Tätigkeit als Wächter im KZ Treblinka (mehr als dreißigmalige Teilnahme an Erschießungen von KZ Häftlingen wegen Fluchtversuchs oder Lebensmittol-»Diebstahls«). Er wolle mit seinem öffentlichen Eingeständnis dazu beitragen, dass sich Derartiges nie nochmals wiederhole.
Die schwedische SS-Debatte wird nicht ohne Folgen bleiben. Erste Forderungen nach Absetzung oder Verlegung der inter nationalen Holocaust-Konferenz von Stockholm an einen Ort oder in ein Land, wo wirkliche Aufarbeitung der faschistischen Vergangenheit stattgefunden hat, haben begreiflicherweise bei den Planern dieser Veranstaltung Irritationen ausgelöst. Andere Forderungen nach gerichtlicher Aburteilung der noch lebenden schwedischen SS-Leute stehen den Ver jährungsregeln der schwedischen Strafgesetzgebung entgegen, da der Gesetzgeber in Schweden angeblich anders als in den meisten Staaten Europas und der Anti-Hitler-Koalition nicht von einer Beteiligung seiner Staatsbürger an den faschistischen Verbrechen (Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit usw.) ausgehen konnte.
Während die schwedische Justizministerin Laila Freiwalds eine nachträgliche Einführung der Nichtverjährbarkeit für Nazi-Verbrechen in Schweden unter Ver weis auf die Rechtssicherheit und den Rechtsfrieden des Landes ablehnte, hat Premier Persson in seiner Parlamentsrede am Mittwoch einen gegenteiligen Standpunkt vertreten. Er sprach sich für eine grundsätzliche Aufhebung aller Verjäh- Nach dem Mord an Gewerkschafter Björn Söderberg: Presseaktion gegen Neonazis Foto: dpa
rungsfristen im Zusammenhang mit den von den Nazis wie auch von anderen später begangenen Verbrechen gegen die Menschlichkeit aus. Zugleich äußerte Persson, er werde alles in seinen Kräften Stehende tun, um eine umfassende Aufklärung über die Rolle Schwedens und seiner Bürger im Zweiten Weltkrieg im Hinblick auf die Beziehungen zu Nazi- Deutschland zu gewährleisten.
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