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28 Jahre «Radikalenerlass»: Noch immer Berufsverbote!

  • Lesedauer: 3 Min.

Am 28. Januar 1972 fassten der damalige Bundeskanzler Brandt und die Ministerpräsidenten der Bundesländer den inzwischen als menschenrechtswidrig erklärten Beschluss, so genannte «Radikale» durch administrative Maßnahmen vom öffentlichen Dienst fernzuhalten oder zu entlassen.

11000 Berufsverbotsverfahren auf dem Hintergrund von 35000 Dossiers der Geheimdienste als Folge von 3,5 Mio. Über Prüfungen, 2200 Disziplinarverfahren, 256 Entlassungen und 1250 endgültig abgelehnte Bewerber waren die Folgen. Es traf Liberale, Pazifisten, Sozialdemokraten, Kommunisten und verunsicherte eine ganze junge Generation.

An diesen Jahrestag muss im 52. Jahr der «UNO-Deklaration der Menschenrechte» erinnert werden, auf deren Grundlage mittlerweile rund 60 völker rechtlich verbindliche Vereinharungen zum Menschenrechtsschutz entstanden sind. Für Europa ist die wichtigste die «Europäische Menschenrechtskonvention» (EMRK), über deren Einhaltung der Europäische Menschenrechtsgerichtshof in Straßburg wacht.

Die Berufsverbotspolitik wirkt bis heute in der BRD fort, obwohl mittlerweile die «Enkel» eines der Urheber regieren und der Kalte Krieg, dessen Kind die Berufsverbote sind, vorbei ist. Willy Brandt schreibt in seinen Erinnerungen dazu: «Der Extremistenerlass ist ohne die Ostpolitik und die Schlacht, die um sie geführt wurde, nicht zu verstehen. Seine Handhabung wurde einem Stück absurden Theaters entlehnt» und spricht von «Irrtum» und «Fehler». Die Warnung Herbert Wehners bewahrheitete sich: Er befürchtete einen «Dauerbrenner» deutscher Politik. «Allerdings sind die Folgen jener Sünden gegen den demokratischen Geist der Rechtsstaatlichkeit bis heute noch nicht überall korrigiert. Auch heute... müssen ... immer noch Gerichte bemüht wer den, um Menschen zu ihren Grundrechten zu verhelfen», so die Bundesjustizministerin Herta Däubler-Gmelin, SPD, (Süddeutsche Zeitung vom 20. 3. 98). Denn auch die rot-grüne Bundesregierung weigert sich, aus dem Urteil des Straßburger Menschenrechtsgerichtshofes vom 26. 9 95 Konsequenzen zu ziehen. Es stellte fest, dass durch die Entlassung der Lehrerin Dorothea Vogt der Art. 10 (Meinungsfreiheit] und 11 (Vereinigungsfreiheit) der EMRK verletzt worden war, und die Bundesrepublik den Schaden wieder gutmachen müsse. Der Bundesminister des Innern weigerte sich noch im März 1999- «Das Urteil gibt keine Veranlassung, andere Beamte, die ebenfalls ... aus dem öffentlichen Dienst entlassen worden sind, generell wieder einzustellen. Das Urteil stellt auch keinen Grund zur Wiederaufnahme eines abgeschlossenen Disziplinarverfahrens dar.» Und dies, obwohl nach EMRK in Art. 53 die Staaten sich verpflichteten, sich nach den Entscheidungen des Straßburger Gerichts zu richten und Art. 50 EMRK sie zur innerstaatlichen Wiedergutmachung verpflichtet.

Dabei weiß diese Bundesregierung ganz genau, wovon die Rede ist: Hat doch Bundeskanzler Schröder vor seiner Zeit als niedersächsischer Ministerpräsident eben Dorothea Vogt als Anwalt vertreten, ist Joschka Fischer auf Pressekonferenzen der Anti-Berufsverbotsbewegung protestierend an die Öffentlichkeit getreten und hat Heidi Wieczorek-Zeul unserem Ar beitsausschuss angehört.

So ist es kein Wunder, dass sieben damals Entlassene jetzt in Straßburg klagen: Irmelin Schachtschneider (Oldenburg), Ulrike Marks (Varel), Karl-Otto Eckhartsberg (Garbsen), Gerda Seelig (Düsseldorf), Gustav Steffen (Hamburg), Herbert Bastian (Marburg) und Hans Apel (Berlin). Ein Dutzend weiterer Verfahren ist bei Gerichten in der BRD anhängig.

Der Arbeitsausschuss der Initiative Weg mit den Berufsverboten fordert aus Anlass des Jahrestages von der Bundesregierung, den damals begangenen Irrtum zu korrigieren, die Gewährung der Menschen- und Grundrechte durch Beendigung der Berufsverbotspolitik endlich wieder herzustellen. Er appelliert an die Öffentlichkeit, dies ebenfalls zu fordern.

Horst Bethge

Initiative Weg mit den Berufsverboten

22393 Hamburg

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