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  • Politik
  • Nach über 50 Jahren wieder erschienen. »Goethe und Dachau« von Nico Rost

Ein Leben, das in kein Schema passt

  • Ursula Püschel
  • Lesedauer: 8 Min.

Todesgefahr ist wohl ein harmloses Wort für den Dauerzustand in einem KZ. Der Zustand konnte verschärft werden durch verbotenes Tun. Nico Rost hat in Dachau Tagebuchnotizen geschrieben, die die SS nicht sehen durfte, ver steckt, auf Fetzen Papier. Tapferkeit, um dem Aufgeben der Persönlichkeit, worauf das psychische und physische Mordsystem angelegt war, zu widerstehen.

«Goethe in Dachau», so hieß das Buch, das 1948 veröffentlicht worden ist. Ich muss es etwas später entdeckt haben, an die unerhörte Aufregung, in die es mich versetzte, erinnere ich mich genau. Solche Berichte gaben der nachkommenden Generation, die es besser machen wollte, Fragen auf und die Verpflichtung, Antworten zu suchen. Ich suchte damals in den Büchern. Diese Notizen aus der Grenzzone zwischen Tod und Leben haben mich wie keine andere Lektüre bestärkt in meinem Glauben an die Kraft der Literatur- Menschen, die vernichtet wer den sollten, ihre Bestimmung mit den grausig entstellten Leichen täglich vor Augen hatten, vertieften sich in die Werke der Dichter, suchten nach dem Sinn des Lebens, fanden so Kraft zum Widerstand. Von Nico Rost wusste ich nicht mehr, als dass er ein Widerstandskämpfer gewesen ist - folglich ein Held. Noch reichten für mein Weltbild die Farben Schwarz und Weiß. Wie fühlte ich mich geehrt, als dieser Mann mein erstes Buch zur Kenntnis nahm. Es ging um Bettina von Arnim, ihr wurde die Autorschaft der Polenbroschüre bestritten, die 1849 anonym erschienen war- Ihr weitsichtiges politisches Engagement störte die Verharmlosung als «Kobold der Romantik». Jetzt habe ich den Grund wiederentdeckt, warum ich 1952 im Bettina-von-Arnim-Archiv zu arbeiten ‹anfing. Ich hatte noch nichts“vörf ihr gelesen, aber in «Goethe in Dachau» stand: «Als die berühmten Weberaufstände ausbrachen, ließ Bettina dem König durch Humboldt sagen: >Bauen Eure Majestät den Dom nicht in den Berliner Lustgarten, bauen Sie ihn in Hütten auf, dort in Schlesien!<» Das war mir aus dem Herzen gesprochen, des Domes wegen und wegen der Weber. Staunenswerte Kenntnisse, die Nico Rost einem österreichischen Mithäftling verdankte. Emil Alphons Rheinhardt - verendet in der Typhusbaracke.

Trotz solcher geistigen Aussteuer war mir entgangen, dass Rost, Kenner der deutschen Romantik, 1950 für den Ar nimschen Nachlass in Wiepersdorf bestellt worden war. Der Grundbesitz war enteignet worden, im Schlösschen gab s eine Arbeits- und Erholungsstätte für Schriftsteller, Bibliothek und Manuskripte waren unverwahrt. 1952 befand sich das Archiv in der Obhut der Akademie der Künste schon in Berlin.

Rosts Buch war im Oktober 1949 von Susanne Kerckhoff in der «Berliner Zeitung» angegriffen worden wegen «polenfeindlicher Tendenzen». Das ist im Nachhinein bedeutender, als es vermutlich damals war, als es noch offene Polemiken in der Presse gab. Dass das Buch in der DDR nicht mehr erscheinen durfte, wusste nur ein kleiner Kreis, ebenso, dass Nico Rost im März 1951 die DDR verlassen musste - mit seiner Frau, aber ohne seine Habe.

Rost starb 1967 da war er beinahe ver gessen. Seinen Landsmann Hans Olink, einen Journalisten des Jahrgangs 1949 trieb Neugier auf das widerspruchsvolle Leben dieses Mannes, der zwei Mal aus Deutschland ausgewiesen worden war. Er fragte Leute, die noch was wissen konnten, unternahm Erkundungen in den Kisten des Nachlasses in der Universität Leiden - 1997 erschien in den Niederlanden seine Rost-Biografie: «Der Mann, der Deutschland liebte». Davon konnte Wilfried F Schoeller profitieren, als er «Goethe in Dachau» nun mit ergänzenden Dokumenten und einem Nachwort neu herausgegeben hat.

Nicolaas Rost wurde 1896 in Groningen in einer wohlhabenden jüdischen Familie geboren, mit der er früh gebrochen hat. Er führte ein Literatenleben, das Romanische Cafe in Berlin war sein Lebensmittelpunkt. Doch selbst solche Plätze blieben von dem, was die Oktoberrevolution ausgelöst hatte, nicht unberührt. Der Kultur korrespondent niederländischer Zeitungen begab sich auf Reportage in die neue Welt, die Sowjetunion. Freundschaften mit deutschen.Schriftstellern verschiedener Richtungen, besonders aber mit linken, entstanden; er begann, ihre Werke zu übersetzen - fünfzig seien es gewesen, resümierte er einmal. Als die Nazis an die Macht kamen, saß er zwei Wochen im KZ Sachsenhausen, kam frei durch Interven- Foto: ND-Archiv

tion eines Vereins der Auslandspresse und wurde bald darauf aus Deutschland ausgewiesen. Er lebte in Brüssel, beteiligte sich an antifaschistischen Aktivitäten, an der Formierung der Volksfront gegen den Faschismus, half deutschen Emigranten, war 1937 Reporter im spanischen Bür gerkrieg. Als Teilnehmer am Internationalen Schriftstellerkongress 1937 in Spanien verurteilte er Andre Gides Absage an die Sowjetunion und verfasste ein Pamphlet gegen einen anderen niederländischen Teilnehmer, Jef Last, der zu Gide hielt. Rost machte Trotzkismus aus, weil die beiden Schriftsteller homosexuell und somit disziplinlos seien. «Wo Trotzkisten sind», so wird Rost von Olink zitiert, «ist die Gestapo nicht weit». Es ist derselbe Rost, der sich in Dachau unter anderem mit Thomas von Aquino (1225-1274) beschäftigte und fand, es sei eine «Bereicherung, neben dem Marxismus noch eine andere Art des Denkens zu beherrschen.» - 1943 war er verhaftet worden, 1944 landete er in Dachau.

Nach der Befreiung: Welcher Neuanfang war in einer veränderten Welt für einen wie ihn möglich? Zuerst arbeitete er an seinem Dachau-Buch, es erschien 1947 Seine Frau hat es übersetzt, in Ostdeutschland wurde es ein großer Erfolg.

In seiner Heimat verlangte offenbar nichts und niemand nach ihm, aber hier wurde er gebraucht. Auch in Polen, in Ungarn, in der Tschechoslowakei war er gefragt, konnte mit seinen Kenntnissen zu freundschaftlichen Verhältnissen zwischen den Völkern beitragen. Offenbar bereiteten ihm die Methoden und das Verbrecherische des Nachkriegsstalinismus keine Konflikte. Zu Stalins 71. Geburtstag, 1950, hielt er einen Vortrag in Cottbus über «den größten marxistischen Theoretiker und Praktiker, den bedeutendsten Philosophen der Gegenwart, den bedeutendsten Militärstrategen der Epoche». Da hatte er sein Domizil bereits in Wiepersdorf.

Gab es für seine Ausweisung im März 1951 einen Grund? Einen individuellen offenbar nicht. Prominente Freunde - unter ihnen Johannes R. Becher - haben sich dagegen gewandt. Die Staatssicher heit konstatierte ein halbes Jahr später, es seien «keinerlei konkrete Anhaltspunkte einer Spionagetätigkeit» festzustellen. Bestand ein Zusammenhang mit dem denunziatorischen Artikel von Susanne Kerckhoff? Rost hatte ihren Angriff gelassen zurückgewiesen. Heftiger reagierte Stephan Hermlin in der ersten öffentlichen Entgegnung. Aber als eine Anfrage des ZK der SED bei Paul der Groot, erster Mann in der niederländischen KP anlangte, tauchten in der Antwort ihre Beschuldigungen wieder auf; es wurden auch Gerüchte kolportiert, er könne in Dachau bzw. schon in Brüssel für die Nazis gearbeitet haben. In einer Atmosphäre des Misstrauens und der Agentenfurcht konnte die Preisgabe durch die zuständige Partei für einen Intellektuellen aus einem westlichen Land das Aus bedeuten. Nachkriegsstalinismus und Kalter Krieg waren zwar nicht identisch, aber bedingten einander.

Eine Affäre des Kalten Krieges: Bereits am 24. April 1945 lag ein amerikanischer Bericht über das KZ Buchenwald vor. Ein Angehöriger des Hauptquartiers der 12. Armee macht in der Vorbemerkung Linie: «Weil der Bericht deutlich werden läßt, daß bei unserer Suche nach den anständigen demokratischen Elementen, denen wir in Deutschland vertrauen können, wir nicht nur auf das Äußere hin all die Menschen akzeptieren können, die sich den Nazis und dem Faschismus widersetzt haben und dafür inhaftiert wor den sind.» Die konsequenteste Formation unter den Gegnern des Nazismus, die Kommunisten, sollten ausgeschaltet wer den. Erste Zielscheibe waren die «roten Kapos». In Buchenwald als einzigem KZ hat es so etwas wie eine Häftlingsselbstverwaltung gegeben, die in der Lage war, in dieser Mord-Fabrik die Existenz der Gefangenen zu organisieren. Das haben die Kommunisten geschafft, nicht ohne Disziplin und Härte. Solche Leistung hat offenbar Feinden wie Freunden Angst gemacht - nicht nur amerikanische, auch sowjetische Geheimdienstler haben er mittelt.

Besagter Bericht vom 24. April, zunächst ein Geheimdokument, wurde bekannt durch seine Verwendung von David B. Robinson, Militärhistoriker bei Eisenhower, in der Zeitschrift «American Mer cury», Oktober 1946. Seine Verbreitung in Deutsch besorgte ein Informationsdienst der SPD Titel: «Kommunistische Grausamkeiten in Buchenwald». Ab April 1947 wurde dann kommunistischen Kapos aus dem Lager Buchenwald in Dachau ein Prozess gemacht; die Angeklagten mussten freigesprochen werden.

Hier sind wir wieder bei «Goethe in Dachau»: Enthüllungen 1999 Ines Geipel, Jahrgang 1960, weiß, dass das Erscheinen des Buchs 1948 «mitnichten ein Zufallsprodukt» war, sie kennt auch «den eigentlichen Adressaten» von Hermlins Replik auf Kerckhoffs Beschuldigungen, «...nämlich eine größere Zahl der kommunistischen Polit-Prominenz im Osten Deutschlands, die sich nach Kriegsende wichtige Positionen zu sichern wußten. Deren Hauptinteresse lag zu dieser Zeit im Verdecken bzw. Leugnen der eigenen Ver brechen.» Rosts Buch von 1948 wurde für den 1947 bevorstehenden Prozess in Dachau gegen kommunistische Kapos «in Ostdeutschland gerade deswegen lanciert», so Geipel, weil hier ein holländischer Kommunist die besondere Lage in Dachau durch die «willkürlichen Grausamkeiten polnischer Kapos» deutlich machen konnte. Ob diese Argumentation anstrengend war? Aber vielleicht fällt die neue Indoktrination leicht, seit das Ver ächtlichmachen von Kommunisten die Kehrseite des Schönredens der SS, der Nazis und des Nazismus geworden ist.

1955 hat Nico Rost Dachau besucht, sein Bericht, der die Sprache verschlägt, ist in der Neuausgabe von «Goethe in Dachau» zu finden. Er sah das hirnlose und das bewusste Auslöschen der Erinnerung an die Untaten Deutscher. Muntere Geschäftsreklame und Heinis Bunte Bauernbühne an Orten des Grauens, Zustände, die Schoeller in peinlichem Amtsdeutsch «Umwidmung» nennt. Rost hat schließlich die Einrichtung einer Gedenk statte bewirkt. Er hatte von «Undankbar keit gegenüber den Besten aller Nationen» geschrieben. Ach - die Besten, die ihr Bestes gaben - wer wagt zu widersprechen? Die Farben Schwarz und Weiß reichen nicht aus, um Leben im Widerstand und in Konzentrationslagern zu begreifen.

Lehrstücke gibt es nicht mehr, Lernen ist anstrengend, aber Ehrfurcht und Respekt wollen wir beibehalten.

Nico Rost. Goethe in Dachau. Ein Tagebuch. Aus dem Niederländischen von Edith Rost- Blumberg. Herausgegeben, mit Materialien und mit einem Nachwort versehen von Wilfried F Schoeller. Verlag Volk & Welt. 464 Seiten, gebunden, 48 DM.

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