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Als Sträfling zu Gast im Knast

Erlebnislokal in einem alten Gefängnis im thüringischen Meiningen

  • Lesedauer: 2 Min.

Von Stefan Tesch

Die Gäste sitzen in Sträflingskleidung hinter Gittern. Einige der Hungrigsten warten schon am Klappfenster auf den Wärter. Der kommt auch Schlüssel klappernd daher und lässt sie mit strenger Miene antreten und durchzählen. Dann gellt das ersehnte Kommando durch den in fahles Licht getauchten Gang: «Heraustreten zum Essenfassen!» Im Gänsemarsch geht es zur Ausgabestelle, um die Blechnäpfe zu füllen.

Dieser Art spielt sich eine der härteren Varianten im Lokal «Knasthaus» ab, das Friedrich Prox in der verwinkelten Meininger Altstadt betreibt. Auf Wunsch erfolgt die Verwahrung auch im Hochsicherheitstrakt, der 35 Delinquenten fasst. Besonders «schwere Jungs» können zudem in Ketten gelegt werden. Überdies richtete der Gastronom einen Weiber und einen Männerknast, einen Jugendarrest sowie eine noble Al-Capone-Zelle im Stil des Chicago der 20er Jahre ein. Für zartere Gemüter versah er indes jede Zelle auch mit Telefon, um damit zur «Henkersmahlzeit» zu läuten.

Selbstverständlich stellte Prox nur geeignetes Personal mit entsprechend mimischem Talent ein, das den Part des Ker kermeisters auch überzeugend zu spielen vermag. Der doppeldeutige Name ist dabei Programm. Knast in Gestalt von Hunger sollen die Gäste schon mitbringen, und im ehemaligen fürstlichen Gefängnis, der neogotischen Fronfeste von 1840, entstand das ungewöhnliche Lokal. Bei der Renovierung der bis in die 60er Jahre als Haftanstalt genutzten Festung ließ Prox detailgetreu Ur-Interieur einbauen - Gitter, Pritschen, Holzbänke und so weiter.

Der findige 50-Jährige, der bereits in Arnstadt mit Gattin Anke einen gastronomischen Erlebniskomplex aufbaute, führte auch schräge Gags sowie kuriosdeftige Speisen für seinen Zellentrakt ein: von Wasser und Brot bis zu «Gehacktem Gendarmensack». Die meist kalten Speisen, etwa kleine Holzplatten, baumeln auf Wunsch an einem Galgen. Im scharfen Kontrast dazu das in schwerem Eichenholz und rustikalem Kalksandsteinmauerwerk gehaltene Untergeschoss der Feste. Sie profilierte Prox in Richtung gehobene altdeutsche Küche. Thüringer Klöße dürften sicher nicht fehlen, meint er, sollen aber nicht seine Hausspeise sein. Hier

sucht er nicht das Gutbürgerliche, sondern eher vergessene Speisen.

Das «Knasthaus» von Meiningen

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