Werbung

Dieser Text ist Teil des nd-Archivs seit 1946.

Um die Inhalte, die in den Jahrgängen bis 2001 als gedrucktes Papier vorliegen, in eine digitalisierte Fassung zu übertragen, wurde eine automatische Text- und Layouterkennung eingesetzt. Je älter das Original, umso höher die Wahrscheinlichkeit, dass der automatische Erkennvorgang bei einzelnen Wörtern oder Absätzen auf Probleme stößt.

Es kann also vereinzelt vorkommen, dass Texte fehlerhaft sind.

  • Politik
  • Zur Erinnerung an Heinz Zöger

Ein Riss durch die Seele

  • Peter Bender
  • Lesedauer: 6 Min.

Ein junger Mensch ohne Vater und Mutter, aufgewachsen bei schwierigen Adoptiveltern, die ihm immer fremder wurden. Ein Setzerlehrling, der leidenschaftlich las und bei jungen Kommunisten eine Heimat fand - nicht nur politisch. Mit 17 Jahren, 1933, entschloss Heinz Zöger sich zum Widerstand gegen die Nazis, an seinem 18. Geburtstag wur de er im Polizeigefängnis zusammengeschlagen, danach war das Zuchthaus Bautzen geradezu ein Hort der Sicherheit. Seine zweite Zuchthauszeit während des Krieges machte ihn mit dem Tod bekannt. Nicht wie seine Altersgefährten, die Soldaten, deren Nebenmann die Kugel traf. Heinz erlebte Sterbende, die wussten, dass sie sterben mussten, ihr Todesurteil hörten, zur Hinrichtung geführt wurden, ihre Schreie, ihr wildes Aufbäumen, ihre stumme Gefasstheit. Die Erinnerung hat ihn nie losgelassen.

Nach der Befreiung folgte eine kurze glückliche Zeit, zwölf Jahre. Er wurde belohnt, gebraucht und befördert zu Höhen, die sich der Setzerlehrling nicht einmal erträumt hatte: Chefredakteur der Kultur Zeitschrift des sozialistischen Deutschland. Heinz konnte stolz sein und war es auch: Nicht die DDR, nicht die SED aber Leute wie er gehörten zu den »Siegern der Geschichte«.

Bis man ihn wieder zum Aussätzigen machte, zu einem, der nicht dazugehören sollte. Gemeinsam mit Janka und Harich wurde er als »Partei- und Staatsfeind« verurteilt und wieder nach Bautzen geschickt, gefesselt an Händen und Füßen, als wäre er ein Schwerverbrecher. Die DDR-Haft war kürzer, aber schlimmer als die Nazihaft, vor allem für seine Seele: Die Nazis waren seine Feinde, aber die Kommunisten waren seine Freunde. Die Nazis forderten seine Standhaftigkeit bis zum Letzten heraus, aber dass er standhaft blieb, gab ihm Selbstbewusstsein für alle Zeit. Die Kommunisten aber zerstörten seinen Glauben und wollten ihm die Ehre nehmen, indem sie ihm aberkannten, »Opfer des Faschismus« zu sein.

Als er Ende 1959 nach seiner Entlassung aus Bautzen, in den Westen ging, war er heimatlos - nicht nur politisch. Der Sozialismus, den er verraten haben sollte, hatte ihn verraten, weil er das Ideal der Macht opferte. Aber die Bundesrepublik war Heinz Zöger fremd. Wo die meisten dort auf ein Immer-Besser, Schöner und Bequemer hinlebten, grübelte er über den Trümmern seiner Hoffnungen und suchte, wie einige seiner Schicksalsgefährten, nach einem Dritten Weg zwischen Sozialismus und Kapitalismus.

Schließlich fand er noch eine Stellung als Redakteur für Ostfragen im Westdeutschen Rundfunk. Zunächst war es nicht mehr als ein Gnadenbrot. Er wurde ein fleißiger, gewissenhafter und engagierter Redakteur, geachtet von denen, die ihn kannten, verehrt von jungen Redakteuren, die von ihm lernten, dennoch blieb er ein Außenseiter. Niemand warf ihm seine Vergangenheit vor, aber es war eine ganz andere Vergangenheit als die all seiner Kollegen. Das trennte.

Viele wären bitter geworden nach einem solchen Leben, zynisch oder böse. Andere wären Eiferer geworden, Hassermancher, der viel weniger erlitten hatte als er, wurde zum Berufs-Antikommunisten. Auch Heinz Zöger hat sich lange sehr erregt über das, was die SED aus seiner DDR machte, und wenn es um Politik gegenüber der DDR ging, konnte er zum Kalten Krieger werden.

Aber er blieb es nicht. Im letzten Abschnitt seines Lebens gelang ihm, was wenigen mit solchem Schicksal gelingt: Er erhob sich über die Gegensätze, er erhob sich auch über seine eigenen Gefühle. Er hielt sich fern von dem peinlichen Streit seiner Leidensgefährten, der Mitverur teilten von 1957 die sich nach der Wende gegenseitig diffamierten. Heinz Zöger wurde tolerant. Was schwer begreiflich, schwer entschuldbar war an der Politik seiner ehemaligen Genossen - er erklärte mehr, als er verurteilte. Er verstand, war um sie so wurden und vielleicht kaum anders werden konnten. Er erkannte im Rückblick, dass Bautzen ihn vor der Gefahr bewahrt hatte, zu werden wie sie.

Damit bin ich beim Wichtigsten, das über Heinz Zöger zu sagen ist: Er war ein Mensch. Wenn er Kommunist war, dann wirklich zur Erkämpfung des Menschenrechts, sonst wäre er nicht unter die Kritiker und Reformer der DDR geraten. Wenn er der Politik verfiel, so tat er es nie ganz. In seiner Zeit beim Leipziger Sender des Mitteldeutschen Rundfunks gab es junge Leute, die Angst vor ihm hatten; sie wussten nicht, welche Freude er an den erfreulichen Seiten des Lebens hatte. Wenn er Journalist war, ging er nie ganz im Tagesgeschäft auf, sondern sah oder suchte den größeren Zusammenhang. Und als er beim WDR in Pension ging, machte er Schluss mit dem Schreiben und widmete sich ganz seiner Leidenschaft, die Bildung zu erwerben, die ihm seine Herkunft ver sagt hatte. Heinz hat getan, was heute an jeder Ecke gepredigt wird, er lernte lebenslang und erstaunte manchen Jungen, der von der Universität kam. Sein Alter verbrachte er mit französischer Literatur sowie mit Ägyptern, Hethitern, Griechen und Römern. Die ideologischen Verrenkungen Honeckers und die Männer freundschaften Kohls betrachtete er mit dem Abstand von Jahrtausenden. Als ich ihn einmal fragte, ob Geschichte nicht eigentlich sehr langweilig sei, weil die Menschen aus den gleichen Gründen immer das Gleiche täten, stimmte er zu mit dem Lachen des Philosophen.

Es war immer etwas in Heinz Zöger, das nur er war, das nur ihm gehörte. Es war das, was ihn die Härten, Enttäuschungen, Rückschläge und Demütigungen überstehen ließ. Und das es ihm ermöglichte, seine - wie mir scheint größte Lebensleistung zu vollbringen: die Vollendung seiner Persönlichkeit im Alter und durch das Alter. Erst der alte Heinz Zöger wurde der ganze, der eigentliche Zöger - ein gelassener, heiterer Mann, der angenehmste und weiseste unter unseren Freunden.

Er wusste so viel vom Leben, dass er sich keine Illusionen machte und es dennoch, oder gerade deshalb, genoss. Heinz war souverän - gegenüber dem Leben und dem Tod. Als er fühlte, dass dieser kam, nahm er ihn an, starb schnell. Während wir noch berieten, ob man ihm die Wahr heit über seine Krankheit sagen solle, war er schon einen Schritt weiter- Er wusste sein Leben hinter sich und erzählte davon - von der großen Unbefangenheit und dem Schwung der Jahre in Leipzig und Berlin, von sehr frühen Zweifeln an dieser Art des Sozialismus, von einer Erfahrung mit Ulbricht, die ihm Respekt abnötigte, vom Inseldasein der Redaktion des »Sonntag«, wo damals noch viel möglich war, von seinem Urteil über Harich und Janka. Ich habe ihn nie zuvor so lange und offen über sein Leben reden gehört wie drei Tage vor seinem Tod am 21. März. Ich war gekommen, um ihm ein wenig Mut zu geben, aber er gab mir Mut. Vom letzten Gespräch mit dem Sterbenden kehrte ich erleichtert, fast fröhlich zurück.

Unser Autor, langjähriger WDR-Journalist und ARD-Korrespondent, unterstützte Willy Brandts Neue Ostpolitik (»Offensive Entspannung«, 1964, »Zehn Gründe für die Anerkennung der DDR«, 1968); jüngstes Buch: »Episode oder Epoche? Zur Geschichte des geteilten Deutschland«.

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.