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Lieber »Wutbilder« malen als sich zu prügeln

Kunst kann heilen: ein Modellprojekt mit Grundschülern

  • Lesedauer: 4 Min.

Von Marina Mai

Sieht mein Baum nicht schön aus?» Die elfjährige Susanne zeigt Maren Theel stolz ihr Bild. Anerkennung erfährt Susanne, Schülerin einer Berliner Schule für Lernbehinderte, nicht allzu oft. Verhaltensauffälligen Kindern Beachtung und Anerkennung zu geben, ist eines der Ziele eines Modellprojektes, das derzeit an zwei Grundschulen im Berliner Bezirk Köpenick erprobt wird. Drei Künstlerinnen malen dort einmal in der Woche mit verhaltensauffälligen Kindern.

Jedes Kind der aus sechs bis neun Schülern bestehenden Kleingruppe wird von Maren Theel und Berit Molau, den beiden Künstlerinnen, mit Händedruck zur Übungsstunde begrüßt. Farben und Blätter bringen ihnen die Frauen zum Platz. «Diese Art der Zuwendung genießen die emotional unterversorgten Kinder unserer Gruppen,» berichtet die Mixmediäkünstlerin und gelernte Kunsttherapeutin Maren Theel. Am Anfang führe das zu einer Verschwendung des Materials, die sich jedoch rasch gebe. Die Kinder können nicht nur die Motive, sondern auch Techniken und Blattformate frei wählen.

Bei verhaltensauffälligen Kindern, die Gewalttäter von morgen sein könnten, setzt das vom Bezirksamt Köpenick finanzierte Projekt in der Grundschule an, er läutert Heike Meves von der Fachhochschule für Sozialarbeit und Sozialpädagogik «Alice Salomon». Meves begleitet das Projekt wissenschaftlich und will beweisen, dass «kunsttherapeutische Gruppenarbeit bei verhaltensauffälligen Kindern möglich ist». Für das nächste Schuljahr hat Meves jedenfalls eine Förderung des Modellprojektes beim Senat beantragt. Zugleich will sie das Projekt ausweiten. 16 Künstler und Künstlerinnen sollen an den 18 Grundschulen in Köpenick pädagogisch aktiv werden.

Die Kinder lernen beim Malen eine Möglichkeit kennen, ihre Aggressionen auf eine ungefährliche Art auszuleben. Wenn sich etwa zwei Jungen in der Gruppe prügeln, schlagen die Betreuerinnen einem der Kampfhähne vor, ein «Wutbild» zu malen. Der andere kann später mit seinem «Wutbild» antworten. Die Kinder, deren Fähigkeiten zur verbalen Auseinandersetzung oft unterentwickelt sind, ler nen eine gewaltlose Form der Kontaktaufnahme kennen. Viele der Kinder seien nach ein bis zwei Jahren Arbeit mit den Künstlerinnen innerlich ruhiger gewor den, ihre schulischen Leistungen haben sich verbessert, sagt Meves.

In ihren Augen ist es besonders wichtig, dass Künstler und nicht etwa Pädagogen mit den Kindern arbeiten: «Sie sind schließlich auch gesellschaftliche Außenseiter, aber sie haben sich mittels ihrer Kreativität eine besondere Stellung er kämpft.» Ganz nebenbei erarbeiten sich die Künstlerinnen einen Zusatzverdienst - einen geringen allerdings. Das Stundenhonorar beträgt gerade mal 19,27 Mark.

Nach der Erfahrung der Betreuer dauert es etwa sechs Monate, bis die Kinder die Möglichkeiten entdecken, mittels Malen eigene Gefühle und unangenehme Er lebnisse auszudrücken. Der elfjährige David etwa malt einen Köndombaum, an dem auch Fernsehgeräte mit Pornoszenen hängen. Auf dem Bild des gleichaltrigen Jonas haben die Palmen die Formen eines Penis. Und die zehnjährige Maria hat ihre Lieblingspuppe mitgebracht, die sie mit Liebe fürs Detail aufs Bild bringt.

In der abschließenden Runde haben die Kinder Gelegenheit, über ihre Bilder zu sprechen. Auf Sebastians Bild ist eine Feuerwehr zu sehen, dazu sagt er- «Ich habe Frau Theel gemalt, die hat einen Herzschlag bekommen und ist von- der Feuerwehr totgefahren worden.» Die Kunsttherapeutin bleibt indes ganz gelassen: «Ich weiss, dass sich seine Aggression nicht gegen mich, sondern gegen sich selbst richtet.» Wie jedes Kind wolle auch Sebastian Sozialkontakte aufbauen, doch er bediene sich dazu ungeeigneter Mittel. «Wäre ich ausgerastet, hätte ich seine bisherigen sozialen Erfahrungen bestätigt,» glaubt Theel.

Jugendstadtrat Dirk Retzlaff (PDS) ist von dem Erfolg diese Projektes zur Gewaltprävention überzeugt. «Allein, dass diese Kinder über viele Monate Interesse am Malen haben und dabei konzentriert arbeiten, ist für ihre psychische Stabilität wichtig.» Bei einer Ausstellung der Bilder der Kinder im vergangenen Herbst sind dem Stadtrat, wie er sagt, die stolzen Augen der Kinder und ihre innige Beziehung zu den Künstlerinnen aufgefallen. «Diesen Kindern fehlen normalerweise Erfolgser lebnisse und Sozialkontakte.» Beim Malen bekommen sie beides.

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