Ein verpasstes Betriebsjubiläum

Das größte Bücher herstellende Unternehmen Europas im thüringischen Pößneck will weiter wachsen

  • Peter Liebers
  • Lesedauer: 7 Min.
Pößneck ist eine Hochburg der »Schwarzen Kunst.« Damit sind weder Magie noch obskurer Okkultismus gemeint, sondern die hohe Kunst des Buchdrucks, die hier seit über einem Jahrhundert beheimatet ist und derzeit von der GGP Media GmbH gepflegt wird.
Der Weg zur Geschäftsführung gerät zu einem Schnellkurs über die Geschichte des Buchdrucks. In den langen Fluren lässt sich die Entwicklung von der mittelalterlichen Werkstatt Johannes Gutenbergs, dem Erfinder der beweglichen Lettern, die Massendrucke erst möglich gemacht haben, bis zur Gegenwart verfolgen. Die Rasanz der Entwicklung in den vergangenen Jahrzehnten illustriert exemplarisch einer der Setzpulte, wie sie noch vor nicht allzu langer Zeit in allen Druckereien standen, um aus einzelnen Lettern Druckformen für den Bleisatz zusammen zu setzen. In Pößneck hatten neue Technologien das Alte so rasch verdrängt, dass auch das letzte Pult entsorgt worden war. So musste für die Darstellung der eigenen Geschichte eines der vormals dutzendweise vorhandenen Möbel erst wieder erworben werden.

Komplette Erneuerung nach 1989
Geschäftsführer Christian Schantz versucht, dem Besucher das umfangreiche Firmengeflecht der arvato AG zu erläutern, zu der die GGP Media zählt. Der zum Bertelsmann Konzern gehörende internationale Mediendienstleister hat 260 Töchter in 35 Ländern, beschäftigt weltweit rund 42 000 Menschen und weist für 2004 einen Jahresumsatz von 3,8 Milliarden Euro aus. Er unterhält ein eigenes Softwarehaus, gehört zu den führenden Produzenten von DVD und CD, betreibt einen Handy-Reparaturversand und hat Druckereien in sieben Staaten.
In Pößneck verdienen rund 1000 Menschen ihr Brot in dem Unternehmen. Damit entspricht die Belegschaftsstärke fast der zu DDR-Zeiten. Damals war das »Karl Marx Werk« das größte Bücher herstellende Unternehmen der DDR. Heute kann es für sich in Anspruch nehmen, das größte Europas zu sein. Es gehört damit zu den wenigen Unternehmen im Osten, die nach der deutschen Vereinigung einen Wachstumsschub erfuhren und nicht zu verlängerten Werkbänken verkamen oder ganz untergingen.
1989 stieg Bertelsmann in Pößneck ein und krempelte das Werk gründlich um. Das Unternehmen sei fast komplett erneuert worden, sagt Schantz. Dabei verlor es auch seinen Namen. Der einstige taucht nur noch in der Anschrift auf. Die GGP Media hat ihren Sitz in der Karl-Marx-Straße. Die Druckbogen an den Rollenoffsetmaschinen lassen erkennen, dass Deutsch nicht die einzige Sprache ist, in der hier gedruckt wird. Nur 70 Prozent der Kunden kommen aus Deutschland. Das Exportgeschäft ist weit gefächert und reicht von Großbritannien und Frankreich über die skandinavischen Länder und Polen bis nach Russland. Bis 1998 war die Sowjetunion der größte Auftraggeber. Über Jahrzehnte ließ sie einen großen Teil ihrer Schulbücher in Pößneck drucken. Ursache für den kompletten Abbruch dieses Geschäfts war offenbar die Währungsumstellung. Moskau hätten wohl die Devisen gefehlt, vermutet Schantz.

Harry Potter und die Steinlaus
Zur Firmenphilosophie gehört es Schantz zufolge auch, den Nachwuchs selbst auszubilden. Derzeit lernen 50 jungen Leute in vier Berufen. Deren Inhalte haben sich in den vergangenen Jahrzehnten allerdings gründlich geändert. Nicht nur der Winkelhaken, in dem der Bleisatz Zeile für Zeile zusammengesetzt wurde, sondern auch die Setzmaschinen haben ausgedient. Die Setzer nennen sich heute Mediengestalter. In der einstigen Setzerei stehen heute Computer, auf denen die Druckformen entstehen, die dann per Lichtsatz auf die Druckfolien für die Offsetmaschinen übertragen werden. Die vormalige Setzerei mutierte so zur Druck-Vorstufe.
Der Weg durch das Werk wird buchstäblich von Büchern gesäumt. Ganze Wände sind daraus gestaltet. Anderen Orts präsentieren Vitrinen Ausschnitte aus dem umfangreichen Druckprogramm. Das reicht von Micky-Maus-Heften über Mark Twains »Huckleberry Finn« und »Das Leben Schillers« bis zu wissenschaftlichen Werken wie dem Etymologischen Wörterbuch der Botanik oder dem medizinischen Fachwörterbuch »Pschyrembel.« Schantz schlägt ein Exemplar auf. Unter dem Buchstaben »S« wird auch die Steinlaus beschrieben. Die gibt es gar nicht, schmunzelt der Geschäftsführer. Ein Spaßvogel habe die wohl einst in das Manuskript geschmuggelt. Bisher habe niemand den Scherz getilgt.
Schantz präsentiert eindrucksvolle Zahlen. Bis zu 270 000 Bücher können täglich gedruckt werden. Außerdem etwa 600 000 Broschüren. Das Maximum seien etwa eine Million Druckerzeugnisse. Damit das reibungslos funktioniert, müsse der Belegschaft eine hohe Flexibilität abverlangt werden, räumt der Geschäftsführer ein. Da habe man in Pößneck viel Glück gehabt, fügt er anerkennend an. Die Mitarbeiter seien notfalls von einer Stunde auf die andere einsetzbar. Mitunter sei es nötig, sie tags über nach Hause zu schicken und dafür nachts zu bestellen, um im letzten Augenblick eingehende Aufträge termingerecht erledigen zu können.

Größter Arbeitgeber der Stadt
Glück ist aber offensichtlich nicht der einzige Schlüssel für die Flexibilität. Alles, was an Arbeitsverträgen möglich sei, werde genutzt, um die nötige Handlungsfähigkeit zu haben, berichtet Personalchefin Adelheid Künzel. Das reiche von der traditionellen Festanstellung bis hin zu Teilzeitbeschäftigungen. Begründet sei das durch die Schwankungen der Auftragslage. Die könne bis zu 20 Prozent betragen, sagt Schantz. Das entspreche immerhin der Leistung von 200 Beschäftigten. Da könne man sich nur mit größter Flexibilität in dem harten Wettbewerb behaupten. Vor allem vor Buchmessen gehe es mitunter um Stunden. Aber auch Kataloge könnten ordentlich Stress verursachen, wenn kurz vor dem Anlaufen der Maschinen beispielsweise noch Preise geändert werden müssen.
In die Schlagzeilen geraten war die Druckerei mit den Harry-Potter-Geschichten, deren deutsche Ausgabe mit einer Auflage von zwei Millionen an den Start ging. Schantz mag nicht leugnen, das das für eine Druckerei kein schlechtes Geschäft ist, weil immer wieder einmal Nachauflagen laufen. Bisher wurden die Geschichten in Pößneck in neun Sprachen für neun Länder gedruckt. Zu den Rennern unter den in Pößneck gedruckten Büchern gehört Frank Schätzings Öko-Bestseller »Der Schwarm.« Seinem Inhalt gemäß wird der auf Papier aus nachhaltiger Waldwirtschaft gedruckt. Für derartige Aufträge besitzen die Pößnecker ein spezielles Zertifikat. Das entsprechende Papier findet sich immer unter den 110 000 Tonnen Papier, die in einer riesigen Halle lagern.
Seit der Übernahme durch Bertelsmann wurde in Pößneck kräftig aufgerüstet. Der Maschinenpark sei seither fast komplett erneuert worden, sagt Schantz. Mit Zahlen ist er vorsichtig. Auf eine dreistellige Millionen-Euro-Summe beliefen sich die Investitionen, formuliert er salomonisch. Drei neue Hallen mit 15 000 Quadratmetern, zwei Druckmaschinen und eine Bindeanlage gehören unter anderem zur Neuausstattung. Weitere Maschinen sollen folgen. »Wir werden weiter wachsen«, versichert Schantz zuversichtlich.
Über all den Umbrüchen wurde 1991 das 100. Gründungsjubiläum glatt verpasst. »Da hatten wir andere Sorgen«, sagt die Personalchefin. Damals sei sehr viel Neues auf das Werk und seine Beschäftigten eingestürmt, auf das sie sich einstellen mussten. Für die Historie sei da keine Zeit geblieben. Dafür sei dann im vorigen Jahr die 15-Jährige Zugehörigkeit zum Bertelsmann Konzern gebührend gefeiert worden. Da war auch ein Exponat aus den Gründerjahren präsent. Bei Renovierungsarbeiten war vor Jahrzehnten zufällig ein wertvoller Schreibtisch geborgen worden. An dem repräsentativen Büromöbel saß einst der Firmengründer Carl Gustav Vogel, der in Pößneck einen der führenden technischen Fachverlage aufgebaut hatte. Nach dem Zweiten Weltkrieg war die Gründerfamilie nach Würzburg gegangen und hatte dort ein neues Unternehmen gegründet, das heute allein in Deutschland über 1200 Mitarbeiter beschäftigt. Die Vogel Mediengruppe umfasst inzwischen 40 Firmen und Beteiligungen in 20 Ländern, weist einen Jahresumsatz von 359 Millionen Euro aus.
Als größtes Unternehmen, dass in der Stadt die meisten Arbeitsplätze bietet, bekenne sich GGP auch zu sozialer Verantwortung, betont der Geschäftsführer. Unter anderem wird das Wohnheim der Berufsschule für Medienberufe unterstützt, die von jungen Leuten aus ganz Deutschland besucht wird. Dass die einstige Berufsschule für die Ausbildung des grafischen Nachwuchses der DDR überlebt hat und zur bundesweiten Ausbildungsstätte wuchs, ist auch dem Umstand zu danken, dass mit der Großdruckerei der Medienstandort erhalten geblieben ist. Jüngst richtete GGP im Internat ein Internet-Café ein. Auch die Stadtbibliothek profitiert davon, dass sich vor ihrer Haustür eine Druckerei befindet. Die finanzielle Unterstützung der traditionellen Autorentage auf der benachbarten Burg Ranis sieht Schantz als Beitrag zur eigenen Zukunftssicherung. Wenn es viele Autoren und Leser gibt, müssen schließlich auch viele Bücher gedruckt werden.
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