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Wie halten: es Linke mit privatem Wohneigentum ?

Den Wunsch vieler nicht einfach beiseite schieben

  • Lesedauer: 6 Min.

Nicht selten trifft man in linken Kreisen auf die Diskrepanz zwischen verbalem Bekenntnis zur Gleichberechtigung aller Wohnformen und der Ablehnung praktischer Schritte zur Förderung selbstgenutzten Wohneigentums. Meine Initiative zur Wohngeldanhebung durchlief einstimmig und problemlos die Bundestagsfraktion. Der Antrag, der unter anderem die Erhöhung der Eigenheimzulage für den Er werb von Wohneigentum aus dem Bestand vorsah, führte zu ausgiebiger Debatte und erhielt nur knapp die Mehrheit. Doch betrachtet man das Verhalten vieler PDS-Mandatsträger, stellt man fest: Die eigenen vier Wände wer den gleichermaßen angestrebt wie in der «normalen» Bevölkerung. Um die 70 Prozent der Menschen wollen im eigenen Haus oder in der eigenen Wohnung leben.

Kapitalverwertungsinteressen sind nicht sonderlich geeignet, soziale Anliegen zu regeln. Wenn ein Hausbesitzer Wohnungen ver mietet, um damit Profit zu erzielen, wird es problematisch; noch heikler, wenn es nicht «der Hausbesitzer», sondern eine anonyme Kapitalgesellschaft ist, die aus Verwertungssicht ihr Geld in Immobilien anlegt. Dem entgegen steht das Ziel des Nutzers, möglichst preiswert Wohnraum zu mieten. Es besteht also ein Interessenkonflikt zwischen Eigentümer und Mieter, bei dem häufig der Mieter der Unterlegene ist. Beim selbstgenutzten Wohneigentum dagegen sind Eigentümer und Nutzer eine Person. Die Interessen stimmen überein.

Die Wohnung als wirtschaftliches wie soziales Gut hat eine «Haltbarkeit» von etwa 100 Jahren, weit über eine Generation hinaus. Entsprechend hoch ist ihr Erstellungs- und Erhaltungsaufwand. Aber Einkommen und Ver mögen sind so ungleich verteilt, dass die meisten Menschen zu keinem Zeitpunkt ihres Lebens die erforderlichen Mittel für die eigene Wohnung aufbringen können, obwohl sie mit der Miete, verteilt über das ganze Mieterleben, deren Aufwand zwei- bis dreifach zahlen. Daraus folgt, dass die Gesellschaft für diesen Bevölkerungsteil Wohnraum zur Verfügung stellen und als Ganzes die erforderlichen Summen aufbringen muss. Das heißt. Bei anderweitiger Verteilung von gesellschaftlichem Einkommen und Vermögen wäre prinzipiell jeder Haushalt finanziell in der Lage, aus eigener Kraft Wohneigentum zu erwerben. Sicher würden es aus vielerlei Gründen auch unter solchen Bedingungen nicht alle wollen. Aber die Übereinstimmung von Wunsch und Wirklichkeit wäre für einen weitaus größeren Kreis zu ver wirklichen.

Obere Einkommensschichten kommen häufiger und früher zu Wohneigentum, mittlere und untere Schichten haben kaum eine Chance. Selbst bei Vorhandensein des notwendigen Eigenkapitals, bleibt die Refinanzierung langfris-

Christine Ostrowski

Wohnungspolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion der PDS

ND-Foto: Burkhard Lange

tiger Zahlungsverpflichtungen: Lebensrisiken, teils gesellschaftlicher (Arbeitslosigkeit), teils sonstiger Natur (Krankheit, Tod, Ehescheidung), sind nicht planbar. Von der Förderung profitieren also jene, die bereits überdurchschnittliches Einkommen haben. Wohneigentumspolitik muss daher vom Kopf auf die Füße gestellt werden. Ins Zentrum gehören Haushalte mit durchschnittlichem, nicht mit oberem Einkommen.

Individuelles Wohneigentum assoziiert zwangsläufig hohen Flächenverbrauch. Jedoch nur das freistehende Haus, für die weitaus meisten niemals bezahlbar, hat einen signifikant höheren Flächenbedarf. Einfache Typenhäuser senken Kosten und haben im Reihenhausbau - entgegen üblichen Vorstellungen - eine so intensive Flächennutzung wie im Geschosswohnungsbau. In Ballungszentren realisiert, bewirken gerade die Sekundäreffekte wie Eindämmung der Stadtflucht und Konzentration auf innerstädtisches Bauen eine insgesamt geringere Flächeninanspruchnahme. Wohneigentum ist auf dem Land - im Gegensatz zum Eigentum in Städten und deren Speckgürteln - traditionell die verbreitete, gar dominierende Wohnform und kaum Angriffspunkt kritischer Diskussion. Doch auf dem Land ist höherer Flächenbedarf wesentlich leichter realisierbar. Das Problem ist, dass Städter im Grünen leben, aber nach wie vor im vollen Umfang städtische Infrastruktur in Anspruch nehmen wollen. Der Preis ist ein höheres Verkehrsaufkommen mit allen seinen negativen Folgen. Um weitere Stadtflucht zu verhindern, ist er schwingliches Wohneigentum in Ballungszentren daher wichtig.

Bleibt die Wohnfläche pro Kopf: Sie steigt bei Ein- und Zweifamilienhäusern, während sie im Geschosswohnungsbau niedriger ist und sinkt. Also braucht es Mechanismen, die der Wohnflächenzunahme entgegen wirken, beispielsweise darf die Neubau-För derung generell nur bis zu einer bestimmten Flächen- und Kostengrenze erfolgen. Eine an Flächenund Kostengrenzen orientierte Förderpolitik macht im Übrigen erhebliche Mittel für mittlere und untere Einkommensschichten frei.

Mieter zahlen lebenslang eine tendenziell steigende Miete, die in der Summe ein Mehrfaches der Herstellungskosten der Wohnung ausmacht. Besitzer von Wohneigentum zahlen ebenfalls lange Zeit an kreditierende Banken. In dieser Zeit liegt ihre finanzielle Belastung über dem Niveau der Mieterhaushalte. Im Altersquerschnitt aber dreht sich die Relation. Wer im Rentenalter im entschuldeten Wohneigentum lebt, benötigt nur fünf bis zehn Prozent seines Einkommens für das Wohnen. Die im Alter Mieter sind, geben fast 20 bis 25 Prozent des Einkommens für die Monatsmiete aus. Noch drastischer folgender empirischer Fakt: Im Rentenalter besitzen Eigentums- gegenüber Mieterhaushalten nicht nur ihr erworbenes Grundvermögen, sondern im Schnitt ein zehnmal höheres Geldvermögen. Der Hauptgrund ist ein unterschiedliches Sparverhalten. Mieter wie Wohneigentümer mit vergleichbaren Einkommen sparen etwa gleich viel, obwohl Letztere Tilgung und Zins noch extra aufbringen. Nun ist Wohneigentum keine Gelddruckmaschine. Aber die langfristige Lebensplanung beeinflusst es offensichtlich. Wenn auch unter anderem dadurch, dass betroffene Haushalte, gerade Schwellenhaushalte, relativ risikobereit planen und durch hohe Eigenleistungen ein Art Selbstausbeutung betreiben. Allerdings, und das ist der Kern: auf Grund eigener Entscheidungen, mit hoher Motivation.

Gegen selbstgenutztes Wohneigentum wird eingewandt, dass es «immobil» macht. Aber Mobilität «an sich» ist nur bedingt ein Eigenwert. In den Wünschen der Menschen sind Mobilität und Sesshaftigkeit gleichwertige, sich ergänzende, zeitlich nacheinander unterschiedlich gewichtete Güter. Die heute durch das reale Arbeitsplatzangebot erzwungene Mobilität entspringt selten dem freiwilligen Wollen der Betroffenen. So verließen über zwei Millionen Menschen die neuen Länder und siedelten sich in den alten an; vor allem, weil sie der Arbeit hinterher wanderten. Ein dramatischer Überhang an leerstehenden Wohnungen ist die Folge - Gebäude sind immobil. Bei einer ausgewogenen gesellschaftlichen Situation, regionale Wirtschaftskreisläufe vorausgesetzt, sind individuelles Wohneigentum und Mobilität keine unüberwindlichen Gegensätze.

Das Resümee: Selbstgenutztes Wohneigentum ist weder die Lösung der Wohnungsfrage noch verhindert es diese. Es verschärft einige strukturelle Probleme im Bereich Infrastruktur und Flächenversiegelung. Dagegen steht der ausgeprägte Wunsch vieler Menschen nach Wohneigentum, den auch linke Wohnungspolitik nicht einfach beiseite schieben kann. Selbstgenutztes Wohneigentum schaff* freiwillig eingegangene gesellschaftliche Stabilität und trägt tendenziell zur Altersvorsorge auf individueller Basis bei. Von daher sollte persönliches Wohneigentum weder ver teufelt noch besonders bevorzugt werden. Linke Wohnungspolitik muss sich vorrangig um die Ver sorgung breiter Bevölkerungsschichten mit angemessenem Wohnraum sorgen und das genossenschaftliche sowie gemeinwirtschaftliche Wohnen stützen, bei dem soziale Probleme und individuelle Risiken solidarisch am besten beherrscht werden. Aber linke Wohnungspolitik muss ebenso erkennen, dass seli stgenutztes Wohneigentum neben der Befriedigung individueller Wohnbedürfnisse auch eine Form der Über windung von Kapitalmaximierung und Profitdominanz auf dem Wohnungsmarkt ist.

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