Wolfgang Scheffelmeier will Gerechtigkeit. Sein Sohn Samuel, genannt Sammy, ist tot. Seit nunmehr vier Jahren. Und die, die an seinem Tod Schuld tragen, so sagt der verzweifelte Vater, gingen bislang straffrei aus. Also wird er in dieser Woche abermals ein Gericht bemühen.
Die 124er Fregatten haben eine neue Ära der maritimen Luftraumverteidigung eingeläutet. Konzipiert als Mehrzweckschiff können sie mit ihren innovativen Sensoren ein umfassendes Luftlagebild erstellen und Angriffe aus der Luft wirksam abwehren. Modernste Informationssysteme erlauben außerdem ihren Einsatz als schwimmende Führungsplattform bei übergreifeneden globalen Operationen.
Zu den drei maritim-militärischen Wunderwerken gesellt sich demnächst ein ganzes Rudel neuer Korvetten. Die Deutsche Marine ist wieder da! Wer redet da noch von den alten 123ern? Vater Scheffelmeier! Er will, dass die Marine, die ihre High-Tech-Waffen so überschwänglich preist, zugibt, dass sie junge Menschen in Gefahr und sogar umbringt, nur weil ihr Waffen und deren elektronische Zielauffassung wichtiger sind als funktionierende Rettungsmittel und verantwortungsvolle Kommandanten.
6. März 2002 unweit Rügen. Mehr als 20 Minuten hat der 21-jährige Marinesoldat Samuel Scheffelmeier im drei Grad kalten Wasser der Ostsee getrieben - panisch um Rettung winkend. Als die Retter ihn endlich bergen, ist der junge Hauptgefreite aus Blomberg in Westfalen ertrunken. Ebenso der Obermaat Stefan Paul. Die beiden gehörten zur Besatzung der 123er Fregatte namens »Mecklenburg-Vorpommern«. Sie waren beteiligt am NATO-Manöver »Strong Resolve« (Starke Entschlossenheit) und sollten gerade von Bord der britischen Fregatte »Cumberland« zur »Meck-Pomm« zurückkehren. Doch ihr Speedboot kenterte. Anders als sein Kollege von der »Cumberland« hatte der deutsche Kommandant kein Rettungsboot eingesetzt. Obwohl sein Schiff nur wenige hundert Meter querab trieb. Warum? Wegen des hohen Wellengangs hätte der Einsatz des Rettungsbootes ein außerordentlich gefährliches Manöver mit hohem Risiko für die Besatzung bedeutet. Stellte man in einer ersten Untersuchung fest - um dann nach und nach zur Wahrheit vorzudringen.
Das Rettungsboot der deutschen Fregatte war gar nicht einsatzfähig. Man fuhr seit Monaten schon mit einer im Ernstfall völlig sinnlosen Ausnahmegenehmigung über die Meere. Zudem widersprach sie dem internationalen Seerecht. Auch die Rettungsanzüge der deutschen Marine taugten nichts. Während ihre britischen Kameraden, die gleichfalls »in den Bach gefallen waren« mühelos und gesund geborgen wurden, hatten die deutschen Seeleute Material am Leib, das vom TüV nicht mit einem gültigen Siegel bedacht werden konnte.
Widersprüche türmten sich auf. In einem vertraulichen, 427-seitigen Havariebericht kam die Marine im Mai 2002 zu dem Schluss: Der »sichere Einsatz des zusätzlichen Rettungsmittels« wäre »nicht nur möglich, sondern geboten gewesen«. Fazit der Bundeswehr-Kommission: »Der Kommandant hat sich fehlerhaft verhalten.«
Der wiederum verwies auf die Zuständigkeit der Flottenführung. Die setzte alles daran, den Fall irgendwo zwischen den Gerichtsinstanzen zu versenken. Was nicht gelang, weil Vater Scheffelmeier nicht nachgeben will. Nun bleibt ihm nur noch die Möglichkeit, in einem Zivilprozess gegen den einstigen Kommandanten der Fregatte Gehör zu finden. Die Verhandlung soll am morgigen Mittwoch in Hannover stattfinden. Verklagt sind die Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch das Verteidigungsministerium, sowie der damalige Kommandant der »Mecklenburg-Vorpommern«, ein Fregattenkapitän M.
Die Klageschrift umfasst 18 Seiten, es sind Tathergang, Zeugen und Urteile von Sachverständigen aufgeführt. Scheffelmeiers Anwalt hat sich sogar bis in die Tiefen deutscher Marinetradition vorgekämpft. Er zitiert den Marinebefehl Nr. 1 vom 22. November 1852. Darin heißt es, die Fürsorge für Untergebene betreffend: »Das Bestreben, nur Verantwortlichkeiten von sich abzulehnen, ob das allgemeine und das Marineinteresse dabei leide, ist eines Offiziers durchaus unwürdig, lässt keine Marine groß machen, ist mit der wahren Disziplin für den Offizier nicht vereinbar.«
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