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- M.ij.i.i..u.ij.i Wo der »Knirk« neuen
Kraftwerken Platz machen soll
In Lubmin wehrt sich eine Bürgerinitiative gegen Industrieansiedlungen Von Silvia Ottow
Die Rentnerin Ursula Weber aus Lubmin hat sich der Bürgerinitiative »Zukunft Lubminer Heide e. V« angeschlossen, als sie gehört hat, welche Pläne sich hinter dem schönen Namen »SynergiePark Lubminer Heide« verber gen, den die Energiewerke proklamieren: Drei Gaskraftwerke am Rande des Natur Schutzgebietes Struck, ein Holzverarbeitungsbetrieb, für den möglicherweise 100 Hektar Wald fallen sollen, Schifffahrtskanal, Hafen, Müllverbrennungsanlage.
Die ehemalige Bibliothekarin ist entsetzt. Als Tochter eines Küstenfischers weiß sie, wie empfindlich die Tiere hier im Laichgebiet von Hering und Zander reagieren. Durch Chlorierung wird das Wachstum im nährstoffreichen Peenewasser, welches für den Kühlprozess der Gaskraftwerke genutzt werden soll, bekämpft. Unweigerlich fließen Restmengen in den Bodden, wenn pro Gaskraftwerk einmal monatlich eine solche Chlorierung gestattet wird. Überhaupt nicht absehbar seien die Auswirkungen des Gaskraftwer kes auf den Freesendorfer See, ein einmaliges Biotop auf dem Struck, der mit seinen seltenen Vögeln und Pflanzen schon seit 1925 unter Naturschutz steht. Und das ist nur eine von vielen Befürchtungen.
Für den Naturschutzbund NABU reicht bereits, dass das künftige Gaswerk im Vogelschutzgebiet liegt, um die Sache rigoros abzulehnen, auch wenn es sich - gemessen am Wirkungsgrad - um das modernste Gaskraftwerk in Europa handeln soll und die Betreibergenehmigung von Mecklenburg-Vorpommerns PDS-Umweltminister Wolfgang Methling (PDS) persönlich an die Concorde Power GmbH übergeben wurde. Die Bürgerinitiative will höchstens ein Gaskraftwerk, nicht aber drei. Die schädlichen Folgen, so fürchtet sie, würden potenziert. Grundsätzlich, so der streitbare Vorsitzende der Bürgerinitiative, solle man die Auswir kungen sämtlicher geplanter Betriebe summieren und dann entscheiden »Auch wir«, sagt er, »sind für die Revitalisierung des Standortes und für neue Arbeitsplätze - aber nicht um jeden Preis«.
Bereits in wenigen Wochen werden die Pläne im Lubminer Amt zur gesetzlich vorgeschriebenen öffentlichen Einsicht vorliegen, denn dem Bebauungsplanver fahren für das Gelände hat die Gemeinde bereits zugestimmt. Der Antrag der Bür gerinitiative, einen Volksentscheid über den Schutz des Küstenwaldes herbeizuführen, wurde abgelehnt. »Die Kommunalverfassung verbietet Bürgerentscheide im Falle von Planfeststellungsverfahren«, erklärt Bürgermeister Matthias Lietz (CDU). Klaus Kühnemann hat dies zum Einreichen einer Klage veranlasst, für den Bürgermeister ist das nicht nachvollziehbar. Ein Gaskraftwerk allein schaffe 50 Arbeitsplätze. Von ihm als Bürgermeister erwarten die Menschen, dass er für Jobs sorge. Bei der Arbeitslosenquote verlassen junge Leute scharenweise die »Perle des Boddens«, um in Hamburg oder sogar Frankfurt (Main) zu arbeiten. Auch der 25-jährige Sohn von Matthias Lietz ging in den Westen, weil er als Elektriker keine Arbeit in seiner Heimat fand. Bestimmt käme er zurück, sagt sein Vater, wenn sich die Lage ändert. Alle Hoffnungen für eine solche Änderung ruhen auf dem Gelände des 1990 stillgelegten Kernkraftwerkes, in dem einmal 7000 Menschen arbeiteten, und das jetzt noch 1200 Beschäftigte zählt. Bis 2008 soll das Werk vollständig demontiert sein, spätestens dann gibt es wieder ein paar Arbeitssuchende mehr.
Günter Schneiders, EWN-Verantwortlicher für Standortentwicklung und Privatisierung bleibt höflich, wenn er nach den Befürchtungen der Bürgerinitiative befragt wird: »Bei 20 Prozent Arbeitslosigkeit diskutieren wir hier über Industrieansiedlung«, ist sein Kommentar. Seine Aufgabe sei es, diesen Standort einer sinnvollen Verwendung zuzuführen und zu privatisieren. Er sehe schon, wie man sich an anderen Orten ins Fäustchen lache, wenn potenzielle Investoren durch diese Debatte die Lust verlieren, sich in Lubmin niederzulassen. Darin liege die eigentliche Gefährdung dieser Region. Was man hier brauche, sei ein streitfreier Standort. Doch damit ist es wohl vorbei. Kühnemann und seine Mitstreiterinnen und Mitstreiter sind fest entschlossen, auch das letzte Detail der EWN-Pläne in ihren Info- Briefen öffentlich zu machen - egal ob der Bürgermeister dann noch mit ihnen spricht oder nicht. »Beim aufrechten Gang gehört es dazu, dass man hin und wieder auch anstößt«, sagt Kühnemann angriffslustig. Bei 740 von 1800 Lubminern Bürgern ist er nicht angestoßen, die haben sich für ein Bürgerbegehren in Sachen Küstenwald ausgesprochen. Unter ihnen ist Helga Schultchen vom Fremdenver kehrsverein. Sie weiß ganz genau, was die Touristen an ihrem Heimatort schätzen: Die Luft, das Wasser und den Wald. Dass die Bäume bis auf 200 Meter an die Küste und 500 Meter an den Ort heran fallen sollen, erhitzt die Gemüter besonders. Warum benötigt man so eine überdimensionierte Fläche von 100 Hektar für einen Holzverarbeitungsbetrieb, fragen sie.
Weshalb werden alle geplanten Betriebe außerhalb des EWN-Geländes errichtet? Wieso hatten es die Energiewerke so eilig, bereits Wald zu erwerben? Nach Beobachtungen von Klaus Kühnemann auf einer Wald-Auktion hat der EWN-Vertreter das Doppelte des Verkehrswertes gezahlt. Der vermeintliche Sägewerks-Investor in München war bisher nicht aufzuspüren, hat aber einen Briefkasten auf dem EWN-Gelände. Schneiders erklärt, dass es jetzt noch keinen Investor geben könne, weil man ja nicht wissen könne, ob es die in Frage kommenden Firmen in zwei Jahren noch gebe. Deshalb existiere bis dato eben nur eine Projektgesellschaft, die dann den Investor besorgen werde.
Der geplante Hafen mit acht Liegeplätzen bietet ebenfalls erhebliches Bedenkenpotenzial. Sollen hier etwa irgendwann Castortransporte mit Atommüll anlanden? Kühnemanns Vermutung, dass man sich das EWN-Gelände absichtlich frei halte, um auf dem »atomrechtlich genehmigten Standort« unter einer anderen Regierung mit einer positiven Einstellung zum Atomstrom vielleicht wieder ein Kernkraftwerk zu errichten, findet Schneiders vollkommen unrealistisch. »Das wird es zu unserer Zeit hier nicht geben.« Auch Siegfried Gebhardt, stellver tretender Vorsitzender des Zweckverbandes, zu dem sich die Gemeinden Rubenow/Kröslin/Lubmin als EWN-Anlieger orte zusammengeschlossen haben, ver weist diese Befürchtung ins Reich der Phantasie. Außerdem stört ihn die Form, in der sie Öffentlichkeitsarbeit betreibt. Im Interesse der Einwohner der Gemeinden, für die der Zweckverband die Planungshoheit besitze, müsse man dafür sorgen, dass an dem Industriestandort, den man nun einmal habe, Arbeitsplätze entstehen und die Region wirtschaftlich gestärkt wird. Natürlich im Einklang mit der Natur und dem Tourismus. Das lässt sich nach Gebhardts Meinung bewerkstelligen, wenn man nicht gegeneinander arbeite. Er ist jedenfalls mit der Bürgerinitiative im Gespräch. An Arbeitsplätze wollen viele Lubminer nicht mehr so recht glauben, spätestens seit ein »Investor« ihnen gleich nach der Wende hunderte Arbeitsplätze mit dem gigantischen Teufelsstein- Projekt versprach. Die Gemeinde zahlt noch heute für die Gutgläubigkeit, mit der sie Anfang der 90er Jahre Bernd Vrubliauskaite auf den Leim ging, der später für Millionenbetrügerei im Knast landete. Matthias Lietz will davon verständlicher weise nichts mehr hören - auf dem Teufelsstein-Gelände verkauft die Gemeinde jetzt neue Häuser. Dass die bisher nur zur Hälfte weggingen, lastet der Bürgermeister auch der Bürgerinitiative an, die dem Ort mit der Debatte ein schädliches Image verpasse und mit ihren Beschuldigungen zu weit ginge. Man habe ihm schon unterstellt, dass er lediglich deswegen mehr Einwohner nach Lubmin holen wolle, damit aus seiner ABM-Bürgermeister stelle ein »richtiger« Job werde. Da könne er schließlich auch fragen, ob nicht der eine oder andere aus der Bürgerinitiative persönliche Interessen vertrete, wenn er gegen die Abholzung des Waldes in unmittelbarer Nähe seines Hauses kämpfe.
Lietz weiß wie viele andere Lubminer inzwischen gut, dass das schöne, ver träumte Küstendorf vom Feriengeschäft allein nicht leben kann. Man wolle ein »Familienbad« sein, für jene, denen Heringsdorf vielleicht zu nobel oder Binz zu teuer sei. Doch auch für diese bescheidenen Vorstellungen braucht es Geld, sowohl im Gemeindesäckel als auch in der privaten Börse - damit der Friseur und der Bäcker nicht im Winter dicht machen müssen. Industrie auf dem EWN-Gelände könne da helfen, und im Verlaufe des Bebauungsplanverfahrens werde ausgeschlossen, dass es umweltunverträgliche Auswirkungen geben werde. Das bezweifelt Klaus Kühnemann. Wenn dieses Ver fahren in Gang gesetzt werde, ende es mit der Ausweisung eines Industriegebietes, meint er. Dann kommt nur noch die Säge.
Ursula Webers Blick geht von der Lubminer Steilküste über den Bodden nach Rügen. Bei gutem Wetter sieht sie die Häuser von Mönchgut und Groß Zicker. Da hat sie schon mal Urlaub gemacht, erzählt sie. Weil sie von dort aus »rüber nach Hause« schauen kann, auf den Wald über der Steilküste und auf den Struck mit seinen Wildschafen, Schwanennestern, Kormoranen, Krüppelkiefern und Küstenwacholder. Der heißt hier Knirk. Wer den Struck betritt, zahlt 20 Mark Strafe, wenn er von der Wasserschutzpolizei erwischt wird. Wer darauf baut, bekommt unter Umständen Fördergelder.
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