Zwielichtige Gestalten geben Ton an

Totales Chaos beim BFC Dynamo / Mitgliederversammlung geplatzt / Herbert Schoen: »Das ist nicht mehr mein Verein«

Was wollen sie hier? Die Presse ist nicht zugelassen«, herrschte in ziemlich barschem Ton Andre Sommer die Medienvertreter am Montagabend vor dem Tagungsraum im BFC-Gebäude im Sportforum an. »Wir haben hier eine Mitgliederversammlung. Die geht nur die Mitglieder was an. Das Präsidium hat beschlossen, keine Presse zuzulassen«, fügte das neue Präsidiumsmitglied hinzu. So begann der Abend, von dem viele der erschienenen 158 Mitglieder des BFC Dynamo eine Wende zum Besseren erhofften, eigentlich mit einer Falschaussage.

Neuwahlen schon im Vorfeld gestrichen

Tatsächlich waren die Mitglieder des mit rund 6,6 Millionen Mark verschuldeten Ex-Oberligisten, gegen den seit Anfang November ein Insolvenzverfahren läuft, ursprünglich zu einer Außerordentlichen Mitgliederversammlung eingeladen worden. Die ursprünglich vorgesehenen Wahlen waren schon im Vorfeld von der Tagungsordnung gestrichen worden. Als dann im überfüllten, weil viel zu kleinen Tagungsraum Anträge zur Geschäftsordnung und zur Einhaltung der Satzungen gestellt wurden, wies der selbst ernannte Tagungsleiter Rayk Bernt in ebenso scharfer wie lautstarker Tonart diese zurück.
Der bisweilen tumultartige Auftakt führte schließlich dazu, dass Bernt und Sommer im Alleingang unisono entschieden: »Es ist hier keine Mitgliederversammlung, sondern lediglich eine Informationsveranstaltung.« Damit waren die angekündigten 12 Anträge, die auf eine ordentliche Legitimation des Übergangs-Präsidiums abzielten, gegenstandslos geworden. Die Anträge betrafen auch die Abwahl des alten Präsidiums, Satzungsänderungen und Wahl von Besitzern für das Präsidium.
Kopfschüttelnd zog das Dynamo-Urgestein Herbert Schoen, inzwischen 72-jährig und nach seiner aktiven Laufbahn beim BFC-Vorgänger SC Dynamo Berlin (167 Oberligaspiele) erfolgreicher Nachwuchstrainer, von dannen: »Das ist nicht mehr mein Verein.«
Auch der entlassene BFC-Trainer Jürgen Bogs, der in der Blütezeit den BFC zu zehn DDR-Meistertiteln führte und der Ehrenmitglied ist, sprach von einem »totalen Chaos« und befürchtet: »Der Imageschaden des BFC ist groß. Hoffentlich geht nicht auch noch die Nachwuchsabteilung den Bach runter.« Der 54-Jährige fasst als Arbeitsloser nach Ablauf seiner Kündigungsfrist Ende Februar 2002 vermutlich eine Umschulung ins Auge. »Ob ich als Fußballtrainer jemals wieder eine Chance habe, ist doch sehr ungewiss.«
Auch der vor einigen Monaten als Vereins-Präsidentin zurückgetretenen Karin Seidel-Kalmutzki (SPD), Mitglied des Berliner Abgeordnetenhauses, war die Fassungslosigkeit am Gesicht abzulesen: »Nein, ich sage kein einziges Wort zu diesen Vorgängen.« Punkt. Aus.
Tatsächlich ist die Situation nicht nur wegen des Schuldenbergs und der Insolvenz des möglicherweise in der nächsten Saison in der Verbandsliga spielenden Vereins mehr als alarmierend. Nach den Rücktritten des Sportdirektors Hans Reker und des Marketingdirektors Günter Haake Ende Oktober gibt es faktisch überhaupt kein Präsidium mehr, das auch personell die Verantwortung für die Millionen-Schuldenlast übernimmt.

»Ich passe nicht in diese "Combo"«

So kam es schließlich dazu, dass der auch nur noch pro forma bestehende Wirtschaftsrat auf Drängen von Ex-Präsident Volkmar Wanski, der im Sommer 2000 von seinem Amt zurückgetreten war, Rayk Bernt, Andre Sommer und den BFC-Pressesprecher und Geschäftsführer der Marketing GmbH, Holger Zimmermann, kurzerhand ins Präsidium kooptierte. Letzten Freitag erklärte Zimmermann seinen Rücktritt. »Ich passe nicht in diese "Combo"«, sagte der 34-jährige Unternehmer. »Der Verein bekommt ein Image, mit dem ich nichts zu tun haben will.«
Der Hintergrund ist in der Tat mehr als fatal: Laut Informationen lokaler Berliner Medien handele es sich bei Bernt und Sommer um höchst zwielichtige Gestalten, für die sich inzwischen sogar der Staatsschutz beim Berliner Landeskriminalamt interessiere. Der 37-jährige Sommer - nach eigenen Aussagen seit Mitte der 70er Jahre BFC-Fan und einer der Fan-Gruppen-Organisatoren - habe jahrelang der Hooliganszene angehört.
Bernt und Sommer sollen auch Mitglieder der Rockergang »Hells Angels« sein, die zwar nicht verboten ist, aber nach Darstellung der Berliner Polizei wegen diverser Straftaten von Zuhälterei und Drogenhandel bis Anstiftung zum Mord in Nordrhein-Westfalen, Hamburg und Brandenburg unter strikter Beobachtung steht. Auf diese Veröffentlichung angesprochen, verweigerten beide jede Aussage. Bernt war nicht mal bereit, in einer auf Drängen der Medienvertreter nach Ende der »Informationsveranstaltung« abgehaltenen Presserunde irgendwelche Angaben zu seiner Person zu machen. Er reagierte mit flapsiger Bemerkung: »Ich möchte bei den Frauen meinen Schlag behalten und gebe keine Auskunft.«

Ex-Präsident Wanski als »Strippenzieher«?

Ex-Präsident Volkmar Wanski bezeichnete vor den BFC-Mitgliedern Bernt und Sommer als seine »Vertrauensleute«: »Mich interessiert es nicht, was einer privat macht.« Bernt und Sommer hatten kurz vor dem drohenden Konkurs den Bauunternehmer aufgesucht und um Unterstützung gebeten. Wanski schoss die dringend nötigen 30 000 Mark vor, um das Insolvenzverfahren fristgemäß zum 1. November einleiten zu können. Er kündigte auch an, zusammen mit der inzwischen unter seiner maßgeblichen Regie formierten »Sponsorengruppe Dynamo« dafür zu sorgen, dass weitere 200 000 Mark aufgebracht werden, um das Insolvenzverfahren überhaupt abwickeln zu können.
Wanski hat ein großes Interesse daran, dass das Insolvenzverfahren zum Ende geführt wird: zum einen als »Retter des BFC«, zum anderen, um wenigstens ein Teil seines in den Verein gesteckten Geldes wiederzubekommen.
Nach der finanziellen Transaktion habe Wanski, in dem viele den »Strippenzieher« sehen, Bernt und Sommer ins BFC-Präsidium lanciert, wo diese beiden schillernden Figuren nunmehr völlig allein das Sagen haben, aber dafür von niemandem ausreichend legitimiert worden sind. Als BFC-Mitglieder das am Montagabend monierten, wurden sie abgebürstet.
So endete die »Informationsveranstaltung« mit einem in jeder Beziehung offenen Ende. Erst soll das Insolvenzverfahren abgewartet werden. »Vermutlich gibt es im April des nächsten Jahres eine Mitgliederversammlung mit Neuwahl des Präsidiums. Dann werden auch die 12 angekündigten Anträge behandelt«, äußerte Sommer. »Wir sind nur ein Übergangspräsidium. Das frühere Präsidium wird so lange nicht entlastet, bis die Sache mit den 6,6 Millionen Mark Schulden geklärt ist.«

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Der Weg des BFC Dynamo

15. Januar 1966: Gründung des BFC Dynamo als Nachfolger des SC Dynamo Berlin
19. Februar 1990: Umbenennung in FC Berlin
3. Mai 1999: Rückbenennung in BFC Dynamo
1. November 2001: Einleitung des Insolvenzverfahrens (6,6 Millionen Mark Schulden)
Sportliche Bilanz: zwischen 1977 und 1989 zehn Mal DDR-Meister; drei Mal Pokalsieger (1959, 1988, 1989); 15-malige Europacup-Teilnahme; größter internationaler Erfolg: Halbfinale im Cup der Pokalsieger 1971/72; 1990/91 Ausverkauf mit Andreas Thom zu Bayer Leverkusen, Frank Rohde und Thomas Doll zum Hamburger SV, Rainer Ernst zum 1. FC Kaiserslautern; 1990/91 in der letzten Oberliga-Saison Ost-Meisterschafts-Elfter, danach in Qualifikation zur 2. Bundesliga gescheitert; ab 1991 bis 1994 in der Nordost-Oberliga Nord; ab 1994/95 in der Nordost-Regionalliga; 2000 Abstieg in die Oberliga Nord; 2001 Staffelerster der Oberliga Nord und in der Relegation um Regionalliga-Aufstieg am 1. FC Magdeburg gescheitert; Herbst 2001 mit Eintritt in die Insolvenz Zwangsabsteiger in die Verbandsliga
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Was aber passiert bis zum nächsten Frühjahr? Mario Maek fungiert als neuer Spielertrainer - ohne Vertrag und ohne Mannschaft, denn das bisherige Oberliga-Team existiert nicht mehr. Maek soll - assistiert von Bodo Rudwaleit, dem Torhüter in der BFC-Erfolgsära - ohne finanzielles Hinterland eine neue Mannschaft für die Saison 2001/02 in der Verbandsliga aufbauen. Insider sprechen von 300 000 bis 500 000 Mark, die für das Projekt Wiederaufstieg nötig sind. Woher soll dieses Geld kommen? Auch die Nachwuchsabteilung - mittlerweile von 400 auf rund 300 Mitglieder geschrumpft - steht finanziell auf schwachen Füßen. Die Kassen des Fördervereins sind fast leer. Das Übergangs-Präsidium mit Bernt und Sommer spekuliert auf ein Echo aus Politik, Wirtschaft und Sport. Aber wer will schon was mit Rockergang-Mitgliedern zu tun haben? Trübe Aussichten also beim BFC Dynamo.
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