Selbstmord nach Schweizer Art

Reisebüro in den Tod: Eine ZDF-Werbekampagne

  • Otto Köhler
  • Lesedauer: 4 Min.
Kürzlich misslang der niedersächsischen Justizministerin Elisabeth Heister-Neumann - obwohl CDU -Mitglied, fühlt sie sich den christlichen Grundwerten verbunden - der Versuch, das florierende Geschäft mit der Euthanasie zu unterbinden. Sie scheiterte am entschiedenen Widerstand des Koalitionspartners FDP. Die hatte zuvor dem Chef der Schweizer Sterbehilfeorganisation Dignitas Ludwig Minelli Gelegenheit gegeben, vor ihrer Landtagsfraktion über die »Essentialien zur Praxis des assistierten Suizid nach Schweizer Art« zu sprechen. Und über die Deutschen, die zu ihm in die Schweiz kommen, um einen - wie er betonte - »risikolosen Suizid durchführen zu können«. Zur unkomplizierten Überführung deutscher Selbstmordwilliger in die Schweiz, wo er sein Gewerbe unbehindert ausüben darf, hat Minelli letztes Jahr eine deutsche Dignitas-Filiale in Hannover eröffnet. Der ehemalige »Spiegel«- Korrespondent versteht sich als Freund der von ihm in den Tod Transportierten und definiert sein gegenwärtiges Gewerbe als Reisebüro: »Ich sage klar, dass Suizid ermöglicht werden muss, aber mit zwei Bedingungen: Man geht nicht auf große Reise, ohne das Reisebüro konsultiert zu haben. Und man geht nicht auf große Reise, ohne sich von seinen Angehörigen und Freunden verabschiedet zu haben.« Welche Veränderungen sich nach solchen Gesprächen mit einem Freund auf den Bankkonten der alsbald Verstorbenen vollziehen - darüber hat ARD-Report schon letztes Jahr berichtet. Minelli, der sich verleumdet fühlte, verzichtete auf eine Klage und berief sich lieber auf ein Luther-Wort: »Wer mit einem Scheißdreck rammelt, ob er gewinne oder verliere, er gehet beschissen von dannen.« In Hannover muss er nicht von dannen gehen. Im Gegenteil. Zur Geschäftseröffnung der Dignitas-Niederlassung in der Edenstraße 11 setzte eine beispielslose Werbekampagne für das neue Unternehmen ein. Die »Zeit« veröffentlichte - möglicherweise ein Austauschgeschäft - ein vierseitiges Dossier über die Vorzüge von Minellis Sterbehilfefirma. Verfasst von ihrem Südafrika-Korrespondeten Bartholomäus Grill, der liebevoll schilderte, wie er seinen krebskranken Bruder zwecks selbstbestimmten Ablebens im verdeckten KFZ über die Grenze zu Minelli in die Schweiz transportierte (letzte Woche setzte sich Grill mit seiner ganzen Sterbekompetenz nachhaltig - »Die Kongo-Mission ist machbar und stärkt Europas Glaubwürdigkeit« - für »bewaffnete Wahlhilfe« der Bundeswehr in Kinshasa ein). »Bitte halten Sie das Thema warm«, bat nach dem Euthanasie-Dossier ein »Zeit«- Leser, der zu »den 74 Prozent der Deutschen« gehört, die »eine Sterbehilfe als Möglichkeit eines humanen Lebensendes« wünschen. Doch »das Thema« wurde in einer in der Geschichte des öffentlich-rechtlichen Fernsehens einmaligen Kampagne vom ZDF warmgehalten und wird am kommenden Ostersamstag zum vierzigsten Mal hochgekocht. Zwei Kurzfilme des ZDF »Ticket in den Tod« und »Dignitas heißt Würde« werben für das sorgenfreie Sterben mit Minellis Dignitas. Der erste Film gibt dem Sohn einer Krebskranken das Wort, die »selbstbestimmt und würdevoll sterben« wollte. »Ist es nicht herrlich so zu sterben«, zitiert der Sohn den letzten Satz der Mutter, die Kamera schweifte über das Sterbesofa. Der Sohn: »Sie hatte überhaupt keine Angst, wir waren stolz auf ihre Entschlossenheit, darauf, dass es kein Moment des Zögerns gab.« Der ZDF-Sprecher: »Marias letzter Wunsch hat sich erfüllt, sie ist friedlich gestorben.« Dazu fährt die Kamera durch einen Tunnel, an dessen Ende es hell wird - ultimative Werbesprache für den Tod. Der zweite Film handelt von einer kranken Rentnerin, die »den Weg in die Schweiz noch vor sich« hat. Die Rentnerin will »selbstbestimmt und würdevoll sterben«. Noch lebt sie. Aber für die Rentnerin Marly ist es, so formuliert der ZDF-Film, »gut zu wissen, dass sie den Weg zu Dignitas gehen kann«. Wie das Geschäft mit dem ZDF zustande kam - das ist noch ungeklärt. Dem naheliegenden Verdacht, es handele sich um einen eindeutigen Fall von Schleichwerbung, entgegnete der ZDF-Sprecher Pepe Bernhard: »Die beiden genannten "Nano"-Beiträge sind als Auftragsproduktionen von zwei freien Mitarbeitern in unserem Auftrag (ZDF/3sat) entstanden. Selbstverständlich sind sie allein von uns redaktionell verantwortet und finanziert.« Die beiden Euthanasie-Filme wurden erstmals Anfang Dezember gesendet. Die Mainzer Anstalt hatte sie zunächst für das 3sat-Magazin »Nano« produziert. So wurden sie vier Mal auf 3sat, fünf Mal von ARD-Anstalten und einmal vom Schweizer Fernsehen ausgestrahlt. Zehn Mal öffentlichrechtliche Reklame für Minellis Geschäft mit dem Tod. Das reichte nicht. Jetzt, pünktlich zur Rentendebatte im Bundestag, strahlt der Sonderkanal ZDF-Info die beiden Selbstmord-Werbefilme seit dem 30. März und noch bis zum 15. April dreißig Mal aus. Am Ostersamstag, morgens um halb fünf, zu der Zeit, da Jesus normalerweise wiedeeraufersteht, kann man sich vorläufig zum letzten Mal zum Selbstmord mit Minelli animieren lassen.

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