- Politik
- Sammlung Berggruen Cezanne in Berlin
Vater aller modernen Maler
Berlins Staatliche Museen sind zur zeit Ort eines künstlerischen Gipfeltreffens. Picasso bezog Quartier in der Neuen Nationalgalerie (vgl. ND vom 6.10.). Cezannes feine Residenz ist die Berggruen-Sammlung in Charlottenburg, die gewissermaßen ein dauerndes Gastrecht in der Nationalgalerie genießt. Als die bei einem Gipfeltreffen üblichen lautstarken Demonstranten kann man die postkommunistischen Ost-Künstler ansehen, die sich im Hamburger Bahnhof und im Liebermann-Haus der Bankgesellschaft installiert haben. Am Ende des 20. Jahrhunderts wollen sie augenscheinlich nichts mehr mit der Kunst vom Anfang des Jahrhunderts zu tun haben. Wie sehr das zu ihrem Schaden ist, empfindet man sehr stark bei «Cezanne in Berlin».
Die Berliner Nationalgalerie darf den Ruhm genießen, das erste Museum in der ganzen Welt gewesen zu sein, das 1897 dank der Hellsicht und Courage des Direktors Hugo von Tschudi ein Gemälde von Paul Cezanne (1839-1906) erwarb, wobei freilich ein Berliner Privatsammler den Kauf finanzierte. Das Beziehungsgeflecht aus Museum, Sammlern und Kunsthandel spielte eine maßgebliche Rolle für die Akzeptanz von neuer Kunst wie der von Cezanne. Der vorzügliche Katalog der jetzigen Ausstellung schildert das mit neuen Erkenntnissen. In dieser Tradition steht der jetzt 86-jährige leidenschaftliche Kunsthändler und -Sammler Heinz Berggruen, der 1996 aus dem Exil in seine Heimatstadt zurückkehrte und seine Sammlung immer weiter ausbaut. Seine nunmehr zehn Cezannes werden jetzt zusammen mit den zehn der Nationalgalerie und des Kupferstichkabinetts und acht aus einer in Berlin verankerten Privatsammlung gezeigt. Zur letztgenannten gehören zwei Arbeiten, die einmal auch durch Berggruens Hände gingen. Eine davon ist die große «Flusslandschaft» aus Cezannes letzter Lebensphase, die mit ihrer vibrierenden Spannung und dem sonoren Klang ihrer Farben einen atemberaubenden Schluss- und Höhepunkt der Ausstellung bildet. Die 28 Werke, darunter sechs Zeichnungen und vier Blatt Druckgrafik, vermögen beinahe die ganze persönliche «Stilentwicklung» Cezannes, dieses menschlich schwierigen, künstlerisch eigensinnigen Einzelgängers vor Augen zu stellen. Datierungen, konzeptionelle Antriebe und begriffliche Bestimmungen lassen die Kunstwissenschaftler weiterhin nicht zur Ruhe kommen. Das gilt besonders für Cezannes Verhältnis zum Impressionismus, dem er zweifellos etwas Anderes entgegensetze, aber doch ohne ihn gänzlich zu verwerfen. Der Streit um Definitionen bliebe bloßes Spezialistengezänk, wenn nicht unübersehbar wäre und seit langem feststünde, dass den Bildern Cezannes aus den letzten zwei Jahrzehnten des 19 und den ersten Jahren des 20. Jahrhunderts eine Schlüsselrolle bei der Herbeiführung von grundlegenden Eigenschaften der Kunst im 20. Jahrhundert zukam. Die exquisiten Werke der anderen großen Künstler, die Heinz Berggruen sammelte, lassen die Besucher, die sehr wohl durchs ganze Haus gehen sollten, mit eigenen Augen sehen, weshalb z. B. Picasso einmal Cezanne «unser aller Vater» nannte.
Cezannes Kunst ist das vollkommene Gegenteil zu Spektakulärem. Was er gegenständlich in seine Bilder nahm, ist ganz konventionell und fast durchweg betont undramatisch: Französische Landschaften, Stillleben aus Früchten, Keramik und Tischtuch, bedeutungslose Modelle, die nur die Geduld aufbringen mussten, stundenlang ruhig zu sitzen, und gelegentlich Akte, die sich seltsam unbeholfen im Freien bewegen oder ruhen. Wenn die Bilder dennoch faszinieren, liegt es an kleinen beunruhigenden Störungen der sonst unauffälligen Gegenständlichkeit und der raumdarstellenden Komposition wie «unvernünftiger» Drängung der Dinge in den Stillleben oder Brechungen der Linearperspektive, sowie an der häufigen Unvollendetheit der Gestaltung.
Die herausragende Wirkung Cezannes auf das Schaffen nachfolgender Künstler und mittlerweile auch auf die Kunstauffassung entscheidender Teile des Publikums beruht wohl darauf, dass er die ausschlaggebenden ersten Schritte zu einer ganz neuen Fassung des Verhältnisses von Bild und «abgebildeter» Realität ging, und dass uns seine Zeichnungen und Gemälde auf so verlockende Weise in den schwierigen Prozess hineinsehen lassen, der daraufhinarbeitete, eine «Harmonie parallel zur Natur» vor allem mittels der Farben zu konstruieren und die gesehene Wirklichkeit nicht einfach zu reproduzieren, sondern als Kunst zu «repräsentieren», wie Cezanne es nannte. Bild-Kunst trennt sich nicht von der sichtbaren Welt, sondern wird ihr Stellvertreter, ihr eigenständig handelnder Agent. Der Maler setzt Farbflecken, die eine Bildfläche aufbauen und in der Schwebe halten und gleichzeitig räumliche Ferne oder Nähe suggerieren, und er zieht - ebenso tastend wie bestimmt Linien, die ein Haus oder eine Figur umreißen und zugleich gänzlich mit dem Umraum und der Bildflächenstruktur verschmelzen. Diese «Methode» zu ver vollkommnen, ohne zu einer endgültig abschließenden Lösung gelangen zu können, wurde Cezanne zum Lebensinhalt. Er half damit, die Befähigung der Kunst zu einer ganz eigenen und unersetzbaren Er kenntnis und Aneignung von Realität auf eine neue Stufe zu heben. Wo er sich nicht gewiss war, den stimmigen Farbton gefunden zu haben, wo er fürchtete, ein Gesicht, ein Auge würde zu vordringlich aus der Gesamtharmonie herausstechen, war er so ehrlich, mit der Ausführung zu war ten, eine leere Stelle zu lassen. Diese Ehr lichkeit bewunderten seine Nachfolger. Sie spornte sie zu eigenem Bemühen, zum Weitertreiben der Kunstgeschichte an.
Dabei kann nicht oft genug betont wer den, wie wesentlich es für den künstlerischen Rang und die kunstgeschichtliche Fruchtbarkeit von Cezannes Schaffen ist, dass er seine Neuerungen in einem ständigen aufmerksam-ehrfürchtigen Lernen vor den Bildern älterer Meister vollzog. Er warf deren ästhetisches Potenzial nicht in blindem Radikalismus zum alten Eisen. In der gegenwärtigen Ausstellung verweist zumindest ein kopiertes Porträt des romantischen Malers Delacroix auf dieses Traditionsbewusstsein, das so vielen anderen - nicht aber Picasso - verloren ging. Alles Alte ist immer kritisch darauf hin zu prüfen, ob es dazu taugt, an uns und weiter in die Zukunft tradiert zu werden. Die Bilder Cezannes verdienen jedoch erst einmal, dass wir sie gründlich und geduldig anschauen, wie es in dieser wunder baren Kabinettausstellung möglich ist. Dann wird unsere Kritik denen gelten, die nichts von Cezanne lernen wollen.
Sammlung Berggruen, Berlin-Charlottenburg, Schlossstraße 1. Cezanne in Berlin. Bis 14.1.2001. Di-Fr 10-18. Sa. So 11-18 Uhr, Katalog, hrsg. von Claude Keisch. 29,00 DM.
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