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  • Politik
  • Tristan Egolf: »Monument für John Kaltenbrunner«

Furiose Höllenfahrt

  • Sabine Neubert
  • Lesedauer: 4 Min.

Dies ist eine Rhapsodie in black. Eine furiose amerikanische Höllensinfonie. Ein »Monument des Elends«, zusammengefügt aus den Bruchstücken eines zertrümmerten Lebens. Nach der atemlosen Lektüre von 500 Seiten »höheren Irrsinns« fügen wir ihm den Titel hinzu: »Die Stadt, der Müll und der Tod«. Ver zeihung, Herr Fassbinder! Aber es war an der Zeit, dass sich einer in neuer Weise dieses Themas angenommen hat. Sie mischten damals eine deutsche Kultur Stadt auf, Tristan Egolf bzw. John Kaltenbrunner, nur ein miefiges, hinterwäldlerisches Industriekaff im Com Belt namens Baker. Nie gehört? Aber Baker mit seinen »Fabrikratten, Trolls, Schmalzköppen und Methodistenvetteln«, mit seinen Saubermännern und seinem fanatischen Hass auf alles Andersartige ist doch überall. Nur hat noch kein Autor einem solchen Anti-Helden wie John Kaltenbrunner ein literarisches Denkmal gesetzt. Im Roman wird ihm auch tatsächlich ein Monument errichtet - von den Müllarbeitern, Menschen auf der untersten Stufe der gesellschaftlichen Kleinstadt-Nomenklatura. Nur sie wussten am Ende »mit hundertprozentiger Sicherheit«, wer Kaltenbrunner war- ein Idol in menschlicher Gestalt, aus königlichem Holz geschnitzt.

Wer einen solchen Roman schreibt, hat keine revolutionären Flausen mehr im Kopf, und er schreibt auch nicht für Leute, die, bekifft, an Weltschmerz leiden und die Welt einen Dreck sein lassen. Tristan Egolf, so erfahren wir aus dem Klappentext, lebt in New York und ist noch keine dreißig. Den Roman hat er geschrieben, während er mit seiner Gitarre durch Europa zog. Das Buch ist ein »hochkarätiges Debüt« (wir folgen hier im Urteil einer amerikanischen Zeitung), ein apokalyptisches Jetzt-Zeit-Szenario. Bei aller Komik schmerzt es fast körperlich.

Und wer ist dieser John Kaltenbrunner gewesen? »Wir alle hatten unser Lebtag noch niemanden gesehen, der so entsetzlich getrieben wirkte ... es war, als hätte er schon alles gesehen.« John ist noch keine zwanzig Jahre alt, als er, das Gesicht voller Narben, mit komischer Frisur und dem alten blauen Ledermantel seines Vaters auf der Deponie erscheint. Da hat er schon die Talfahrt hinter sich und ist ganz unten angekommen. Ein Außenseiter ist er von Anfang an gewesen. Aber er hatte auch besondere Qualitäten. Allein mit seiner kranken Mutter lebend, machte der »Ziegenjunge«, statt die Schulbank zu drücken, die heruntergekommene Familienfarm zu einem florierenden Geflügel- und Schafzuchtunternehmen. Als die Mutter erkrankte, kamen die »Methodistenvetteln« und sorgten dafür, dass die Sterbende ihnen den gesamten Besitz über schrieb. John, völlig verarmt und um alles gebracht, wehrte sich handfest, er demolierte das Anwesen und geriet so in die Fänge der Ordnungshüter, konkret: in eine Hochsicherheits-Jugendabteilung des Bundesstaatsgefängnisses.

Seine Rückkehr nach Baker ist unspek takulär. Es kennt ihn eh niemand. Alle ihm nun zugewiesenen Arbeiten, mit denen er sein Leben arrangieren könnte und will, enden mit einem Fiasko, obwohl er sich immer als ein Arbeitstier erweist. Das Unglück lässt ihn nicht aus den Fängen. Das beginnt bei den »Schmalzköppen« von Sodderbrook, einer Geflügelfarm, wo bei Saisonbedarf täglich 36 000 »Vögel« geschlachtet werden (angesichts dieser realistischen Schilderungen vergeht einem schon beim Lesen der Appetit). Es endet auf dem Müllgelände von Pullman Vallay bei den »Haldenschraten«, einem hoffnungslosen »Tunnelratten-Typus«. Hier nun ist das Maß gerüttelt voll. John Kaltenbrunner organisiert einen Streik gegen alle Peiniger. In zehn Wochen erstickt die Stadt an ihrem Müll. Am Ende geht auch noch die Methodistenkirche in Flammen auf. John wird zu Tode gehetzt.

Nun bleibt noch Positives nachzutragen: Die Müllarbeiter erhalten später eine Lohnerhöhung. Die Haldenschrate organisieren John Kaltenbrunner eine würdige Beerdigung, die im großen Tohuwabohu endet. In jeder »Dreckskneipe« bleibt sein Andenken lebendig, und der alte blaue Ledermantel hängt noch immer im Büro der Müllabfuhr. Wenn das kein »Gesamtkunstwerk« ist! Perfekt für ein Debüt! Übrigens auch kongenial ins Deutsche übertragen.

In Achtsamkeit leben und genießen: »ZEN. Geheimnisse der asiatischen Küche« - Deng Ming-Dao teilt in diesem schön gestalteten Buch nicht nur Rezepte, sondern auch asiatische Lebensweisheit mit (Heyne, 160 S., geb., 48 DM).

Einfachheit als ästhetischer Wert: »Minimal. Das Buch der elementaren Kochkunst« - Hermann Rottmann und Sibylle Schwarz schufen ein Buchkunstwerk mit 40 Gerichten, neben »Klassikern« auch neue Kompositionen (Prestel, 88 S., geb., 39,80 DM).

T Trsprünglich ein Armeleute-Essen, U doch bis heute beliebt: »Pizza« - die besten Rezepte von Karin Messerli (AT Verlag, 72 S., geb., 19,90 DM).

Ochnell, einfach und raffiniert: »Köstk-^lichkeiten aus der Tiefkühltruhe« von Karin Iden und »Backen im Kühlschrank« von Annette Heisch (Augustus Verlag, je 64 S., brosch., je 12,90 DM).

Weihnachtliches: »Stollen, Kipferl & Co.« von Gräfe und Unzer (64 S., brosch., 12,90 DM).

Tristan Egolf. Monument für John Kaltenbrunner. Vom Schlachten des gemästeten Kalbs und vom Aufrüsten der Aufrechten. Roman. Aus dem Amerikanischen von Frank Heibert. Suhrkamp Verlag. 502 S., geb., 49,80 DM.

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