«Gelerntes DDR-Kind» mit Qualitätsanspruch
Zu Evelyn Kenzier, der Obfrau der PDS, und in der Regel auch zum FDP Vertreter Max Stadler muss man nicht schauen. Sie bleiben ungerührt sitzen. Stadler gibt hinterher manchmal ein lustloses Statement, doch Kenzier hat sich am Mikrofonund Kameratisch noch nie gezeigt. Denn - so hat sie es nicht gesagt, aber so klang es deutlich durch - sie käme sich in dieser Rolle blöd vor. «Was dort gesagt wird, ist so banal. Wen interessiert das?» fragt sie sich und uns. Sie will sachliche Arbeit tun, zu konkreten Ergebnissen kommen, die effektvolle Präsentation des Erreichten ist ihr nebensächlich. Andere sehen darin den Hauptsinn der Ausschussarbeit - und das manchmal um so mehr, je weniger diese an echten Resultaten bringt.
Dabei braucht die Berliner Rechtsanwältin ihr Licht durchaus nicht unter den Scheffel zu stellen. Auch Konkurrenten und politische Gegner bescheinigen ihr, mehrmals Wesentliches zu Erhellung von Sachverhalten beigetragen zu haben. So am 14. April, als die Ex-CDU-Schatzmeisterin Brigitte Baumeister von der Entgegennahme einer 100000-Mark Spende im Hause des Rüstungslobbyisten Karlheinz Schreiber berichtete. Aus der Union hatte jemand nach Zeugen für Baumeisters Darstellung gefragt. «Bei der Übergabe war niemand dabei», sagte Baumeister vorsichtig. «Diese Einschränkung der Frage durch die Zeugin fiel mir auf», so Kenzier, «und deshalb fragte ich, ob noch jemand sonst im Haus anwesend war. Und da erfuhren wir dann, dass am gleichen Tag und zur. gleichen Stunde der Thyssen-Manager Maßmann bei Schreiber weilte».
Dies war nicht nur für Evelyn Kenzier ein wesentlicher Fakt - zeigte er doch, dass die Geldübergabe mit großer Wahr scheinlichkeit etwas mit dem Thyssen- Konzern zu tun haben musste, als dessen Makler Schreiber fungierte. «Mir geht es um die Aufdeckung der Verbindungen von Thyssen zur CDU von Thyssen über Pfahls ins Kanzleramt, um die Rolle von Maßmann im Vorfeld von Rüstungsex Portentscheidungen.» Darauf konzentriert sich die PDS-Abgeordnete hier - so wie im anderen Zusammenhang auf die Geldflüsse zwischen Siemens und der CDU, die deren Finanzmanager Uwe Lüthje bereits eingestand, während Konzernvertreter wie Parteispitzen sie bestreiten. Sie weiß, dass sie - als Letzte an der Reihe und mit begrenzter Fragezeit - nie die zahlreichen Aktenvermerke zu den Untersuchungsgegenständen abklopfen kann. «Da muss man realistisch sein», sagt sie und späht nach Lücken im Antwortpuzzle, die andere nicht füllten, registriert aufmerksam, wenn Zeugen unsicher werden, und hakt mit ihren Fragen genau dort nach.
Realistisch sein - dieses Wort führt die 38-Jährige gern im Mund, und es ist ein wenig wohl auch ihr Erfolgsgeheimnis. Unwägbare Risiken meidet sie, alles muss kalkulierbar bleiben - doch auf solch sicherem Grund schreitet sie die Möglichkeiten aus. Sie bezeichnet sich als «gelerntes DDR-Kind», machte ein sehr gutes Abitur und wollte dann Jura studieren. Nicht aus besonderer Neigung, sondern weil ihr nichts anderes einfiel, aber jemand ihr dazu riet. Während des Studiums entschied sie sich für eine spätere Laufbahn als Richterin. Auch das ergab sich aus Konstellationen, die sie kaum beeinflussen konnte und wollte. Sie sagte sich: «Das wird mein Beruf, da wachse ich hinein.» Sie macht das Diplom mit «Gut», aber doch so überzeugend, dass sie ihr Mentor Detlef Josef zum Forschungsstudium vorschlug. Sie begann ihre Dissertation über «Die Leitung der Rechtsprechung durch das Oberste Gericht der DDR» zu schreiben - ein Thema, dessen Brisanz ihr kaum bewusst wurde anders als dem damaligen Präsidenten des Obersten Gerichts, Günter Sarge, der seinen Referenten fragte: «Kann uns das ir gendwie gefährlich werden?»
Zwei Jahre hatte sie schon daran gear beitet, die Abhandlung «im Grundsatz kritisch angelegt, aber kritisch im DDR- Maßstab» da kam die Wende. Und Evelyn Kenzier arbeitete weiter an ihrem Projekt, als sei zumindest auf diesem wissenschaftlichen Gebiet kaum etwas geschehen. «Die obligatorischen Zitate, die ich auch schon früher als lästig empfunden hatte, weil sie neben der Arbeit standen, fielen weg. Die Arbeit wurde auch deutlich kritischer angelegt, vor allem die Unabhängigkeit der Rechtsprechung stär ker hinterfragt», schildert sie die wichtigsten Veränderungen. Die Betreuung verblieb bei den kurz vor ihrem Ausscheiden stehenden DDR-Wissenschaftlern. Evelyn Kenzier beeilte sich und verteidigte die Arbeit im Januar 1991, ein Vierteljahr nach der Einheit. Sie wusste, was sie auch heute noch unverblümt ausspricht. «Ein halbes Jahr später wäre die Arbeit nicht mehr durchgekommen.»
Realistisch sieht sie, dass die Doktorar beit nur noch historischen Wert hat. Und auch, dass ihre gerade beendete Ausbildung weitgehend obsolet geworden ist. Zwar übersteht sie, die noch nicht dreißigjährige Juristin, die Evaluierung, aber zu Lehre und Forschung in einem für sie doch sehr fremden System sah sie sich weder gerüstet noch bereit. Sie ging als juristische Mitarbeiterin in eine Schöneber ger Anwaltskanzlei, lernte dort von der Pike auf das Handwerk des Rechtsanwalts, arbeitete auf allen Gebieten der Alltagsrechtsprechung, schaute sich Kniffe ab, erwarb Berufserfahrung, lernte - nach zwei Jahren wurde sie als Rechtsanwältin zugelassen - das Auftreten vor Gericht. Sie hätte dann in die Schöneber ger Sozietät eintreten können, aber realistisch erkannte sie auch hier, dass sie sich lange würde hocharbeiten müssen - als Youngster und als Ostdeutsche. Sie ging zurück in den Osten und baute mit anderen - Germana Grehn, Gerd-Peter Junge, Andrea Draeger und Ulf Wende - eine selbständige Sozietät auf.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das beste Mittel gegen Fake-News und rechte Propaganda: Journalismus von links!
In einer Zeit, in der soziale Medien und Konzernmedien die Informationslandschaft dominieren, rechte Hassprediger und Fake-News versuchen Parallelrealitäten zu etablieren, wird unabhängiger und kritischer Journalismus immer wichtiger.
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.
Vielen Dank!