- Politik
- Erstmals gibt es Augenzeugen, die über das Schicksal des Bernsteinzimmers berichten ND sprach mit dem Experten Günter Wermusch und dem ehemaligen Bordmechaniker der Luftwaffe Günter Meyer
Nicht in Königsberg verbrannt!
MEYER. Als unsere Tochter 1979 das Buch von Ruth Seydewitz »Das Mädchen mit der Perle« bekam, wurde ich mit der Nase drauf gestoßen, dass das Bernsteinzimmer immer noch gesucht wurde. Und da sagte ich, so kann das nicht weitergehen und schrieb meine Erlebnisse auf. Bei der Staatssicherheit hatte ich dann zwar ein sehr langes Gespräch, aber zum Schluss sagten die mir- Wissen Sie, wir haben eigentlich andere Sorgen.
? Wann war das?
MEYER. Das muss so 1982,1983 gewesen sein.
WERMUSCH: Dann war das wahr scheinlich die falsche Truppe. Damals lief die »Operation Licht«, wo sie alles nach irgendwelchen Schätzen, die man im Westen verhökern konnte, absuchten. Die hatten tatsächlich andere Sorgen.
MEYER. Sie haben bloß eine Notiz in meiner Akte gemacht: »Wollte über Kunstraub sprechen. BZ.« BZ hieß Bernsteinzimmer. Mehr nicht.
? Herr Wermusch, auch Sie standen bisher den Berichten von Herrn Meyer, sagen wir, skeptisch gegenüber. Was hat Ihre Meinung geändert?
WERMUSCH: Ich hielt es für wahr scheinlich, dass das Bernsteinzimmer im Königsberger Schloss, wohin es die Deutschen gebracht hatten, bei den Siegesfeiern der Roten Armee verbrannt war. Vieles sprach dafür, obwohl die Russen es bestritten. Was Herrn Meyers Bericht betrifft, schloss ich nicht aus, dass es so gewesen sein könnte. Allerdings gab es niemanden, der seine Aussage hätte stützen können, und es sind ja viele, die behaupten, etwas vom Bernsteinzimmer zu wissen. Jetzt tauchte ein zweiter Zeuge auf.
? Sie meinen Fritz Peter Wählisch aus Seelow, der seine Erlebnisse im Januar der »Berliner Morgenpost« berichtete?
WERMUSCH: Ich war bei ihm, er ist absolut glaubwürdig. Vor allem im Zusammenhang mit den Berichten von Meyer, die wiederum im Zusammenhang mit den Berichten von Wählisch glaubwürdig werden. Es passt zusammen.
? Herr Meyer, kennen Sie Herrn Wählisch?
MEYER. Nein. Aber mir erzählte jemand, im Fernsehen sei ein Mann gewesen, der fast das selbe erlebt haben will wie ich. Nur nicht in Wartenburg, sondern in Thorn. Ich kann mir das eigentlich gar nicht vorstellen, denn in Thorn standen damals schon die Russen ...
WERMUSCH: Das mit den Russen stimmt, Herr Wählisch ist ja dort auch nicht mehr heil rausgekommen.
? Herr Meyer, Sie waren im Januar 45 in Jüterbog stationiert. Was wollten Sie in Wartenburg?
MEYER. Ich war bei den Fliegern. Eines Tages bekamen wir den Auftrag, nach Wartenburg zu fliegen und dort Kisten abzuholen. Aus zwei Waggons, die von einem Güterzug abgehängt worden waren.
? Erinnern Sie sich noch an das Datum ? MEYER. Es war der 22. Januar. WERMUSCH: Exakt, Herr Meyer, exakt!
? Wieso sagen Sie jetzt »exakt«?
WERMUSCH: Der letzte Zug Königsberg-Berlin verließ die Hauptstadt Ostpreußens am 22. Januar 1945. Darüber berichtete W. S. Fjodorow dem sowjetischen Kulturfonds: Die letzten zwei Wagen wurden von der SS bewacht. Doch in Berlin sind sie nicht angekommen. Wie ein ehemaliger Königsberger aus Kiel mitteilte, wurden sie unterwegs abgekoppelt, weil sie havariert waren. Doch wo das war und was sich in den Wagen befand, wusste er nicht. Ein Kriegsgefangener, der zu Hilfsarbeiten in das Lazarett Maraunenhof geschickt worden war, hatte Mitte Januar beim Umladen der Verwundeten aus Lastwagen in Eisenbahnwaggons gesehen, wie in die letzten zwei Wagen große lange Kisten eingeladen wur den. Posten waren aufgestellt, und ein Offizier forderte die Menschen auf, weiter zugehen. Der Kriegsgefangene fragte einen Kameraden, was ladet ihr denn da ein? Bernstein aus dem Schloss. Das ist die Geschichte des Fjodorow.
? Herr Meyer, was genau haben Sie am 22. Januar 1945 erlebt?
MEYER. Am 22. Januar, das wussten wir schon zwei Tage vorher, ging es früh um drei Uhr los.
? Moment mal, Sie erhielten den Auftrag schon am 20. Januar?
MEYER. Gewiss.
? Wie konnte am 20. Januar jemand wissen, dass der Zug am 22. havarieren würde?
MEYER. Der Zug, von dem Herr Fjodorow erzählt, könnte ein anderer gewesen sein. Unsere Waggons waren schon am 19 havariert.
WERMUSCH: Vielleicht hat sich Fjodorow ja im Datum geirrt. Wesentlich ist doch die Sache mit den zwei Waggons, da stimmen alle Aussagen überein.
MEYER. Wir flogen jedenfalls am 22. los, noch im Finstern: an Stettin vorbei, Richtung Kolberg über das Haff, bis War tenburg bei Allenstein.
? Wer ist »wir«?
MEYER. Der Kommandant, der Bordschütze* und ich, der Bordmechaniker. Begleitet wurden wir von einem Herrn aus Berlin, der den Auftrag überbracht hatte. Angeblich wusste der nicht, was wir abholen sollten, bloß Kisten.
? Was flogen Sie für eine Maschine?
MEYER. Eine Ju 188. Unsere hatte keine Bombenschächte, dafür die Möglichkeit, Personen zu transportieren.
WERMUSCH: War das gängige Transportflugzeug nicht eigentlich die Ju 52?
MEYER. Ja, da ging mehr rein. Aber sie flog sehr langsam. Bei den Rück zugstransporten, über die Front hinweg, hätte die Ju 52 sehr müde ausgesehen.
? Wann landeten Sie in Wartenburg?
MEYER. Gegen fünf, es dämmerte. Die Landstelle war mit Feuern markiert; es war eine Außenlandung, weil es in der Nähe des Bahnhofs keinen Flugplatz gab. Von dort wurden wir abgeholt. Das heißt, Abb. (links) aus GE01997: Dieser »Schlüterkopf aus dem Bernsteinzimmer« wurde 1994 bei Christie s versteigert
Abb. (rechts) aus Pantheon, 1942: das Original des »Schlüterkopfes«. Verhökerte Christie s eine Fälschung?
WERMUSCH: Richtig. Jemand muss gewusst haben, dass es 27 Kisten waren. Und wenn es jemand wusste, spricht das dafür, dass der Transport tatsächlich zusammengestellt wurde.
MEYER. Natürlich wurde der zusammengestellt, Herr Wermusch! Das habe ich doch schon immer gesagt, denn ich habe das Bernsteinzimmer ja später in Wartenberg gesehen!
? Sie haben die Kisten geöffnet?
MEYER. Nicht alle, nur eine. Da standen sie in den Waggons: große und kleine, kurze und lange. Ich sah sofort, dass wir nicht alle reinkriegen würden, die großen schon gar nicht, die hätten gar nicht durch die Ladeluke gepasst. Gut, dachte ich, vielleicht kann man die Kisten zum Flugzeug schaffen, öffnen, das, was drin ist, einladen, alles gut verzurren ...
? Was haben Sie in der Kiste gesehen?
MEYER. Zunächst mal keine Federkissen, sondern Wellpappe. Keine Federkissen!
WERMUSCH: Jemand will in Königsberg neben den Kisten Federbetten gesehen haben. Aber das geht eigentlich nicht, weil die Feuchtigkeit anziehen. Für die Bernsteinpaneele wäre das der Tod gewesen; die waren mit Knochenleim gefertigt.
MEYER. Zwischen der Wellpappe und der Holzwolle steckten Platten: Bretter mit Bernstein drauf.
? Was geschah weiter?
MEYER. Gerhard Reuther und der Mann vom Ministerium begannen, die kleineren Kisten, die wir vielleicht reingekriegt hätten, aus den Waggons zu räumen. Drei waren bereits zum Flugzeug transportiert worden, als wir beschossen wurden. Die Einschläge kamen schnell näher, wir sind weggerannt. Nachdem wir wieder wagten, uns zu bewegen, sind wir zurück über die Straße Richtung Bahnhof. Und da standen die Waggons schief, einer war zersplittert, es qualmte, Stichflammen schlugen heraus. Dann sah ich Ger hard Reuther. Es war kaum noch was von ihm übrig. Der aus Berlin war auch tot, die Waggons brannten jetzt lichterloh. Ich rannte zum Flugzeug. Die drei Kisten waren schon eingeladen, wir starteten. Dabei wurden wir erneut beschossen, mich er wischte es. Es sah nach einem Lungenschuss aus, man lud mich hinter Heilsberg aus, von dort kam ich ins Lazarett.
? 13 von den 16 Kisten sind verbrannt? MEYER. Ja.
WERMUSCH: Der Schmelzpunkt von Bernstein liegt bei 350 Grad, dann geht es los, dann bleibt nichts mehr übrig.
? Haben Sie eine Ahnung, Herr Meyer, wohin die restlichen Kisten gebracht wurden?
MEYER. Ich weiß nur, sie sollten nach Kaltenkirchen bei Hamburg. Aber wir hatten von Anfang an nicht vorgehabt, zurückzufliegen, wir wollten uns absetzen. Ich habe später nach meinen Kameraden gefahndet, sie aber nie gefunden.
? Das heißt, sie könnten abgeschossen worden sein. Oder auch nicht. Sie besaßen ja nun die Kisten.
Das kann ich nicht sagen.
%Herr Wermusch, was hat Ihnen Fritz Peter Wählisch berichtet?
WERMUSCH: Dass er Pilot einer Ju 52, einer Rotkreuzmaschine war. Er war in Königsberg stationiert und hatte u. a. aus dem Umkreis von Leningrad Verwundete auszufliegen. Am 19 Januar 45 war er in Thorn gelandet, wo ihm ein Obersturmbannführer befahl, er solle sofort die Kisten dort übernehmen. Er fragte, was denn da drin sei, und die Antwort lautete: das Bernsteinzimmer. Wie gesagt, es waren elf Kisten. Er hat das erstklassig geschildert: Ein Dreiachser Henschel fuhr rückwärts an seine Maschine ran, die Klappe wurde geöffnet, die Kisten in die Ladeluke geschoben, zuerst die großen, die kleineren oben drauf. Er sollte diese Kisten nach Rerik bringen. Aber er hatte nicht mehr genug Sprit, nur noch 100 Liter. Als er mit seinem Bordmechaniker loszog, um von den anderen Flugzeugen Benzin abzuzapfen, wurde er getroffen. Eine russische Panzergranate schlug in eine Mauer, der Beton zerfetzte ihm beide Unterschenkel. Er kam dann noch raus, mit einem Sanka, der ist direkt durch Thorn gefahren, so ein Wahnsinn. Zuerst nach Danzig, schließlich nach Hagenow ins Lazarett.
? Weiß er, was mit den Kisten geschah?
WERMUSCH: Eben nicht. Er sagte zu mir- Sie hätten das mal erleben müssen, die ganze Front voller Panzer, die Erde dröhnte ... Später suchte er nach seinem Bordmechaniker Josef Pfann. Er erfuhr, 1950 hatte ihn dessen Frau für tot erklären lassen, wahrscheinlich hatte es ihn auch noch auf dem Flugplatz erwischt.
? Demnach ist nicht klar, ob jene elf Kisten vernichtet wurden?
WERMUSCH: Nein. Wählisch sagte, er habe nie erlebt, dass die Russen Rot- Kreuz-Flugzeuge beschossen, aber bei einem massiven Panzerangriff wäre es sicher nicht auszuschließen.
? Könnte in einer der drei Kisten, von denen Herr Meyer sprach, oder in einer der elf Kisten jener 15 Zentimeter große »Schlüterkopf« aus dem Bernsteinzimmer gewesen sein, den Christie s 1994 in London für 9 OOO Pfund unter den Hammer brachte?
WERMUSCH: Ja, war der denn aus dem Bernsteinzimmer? Vergleichen Sie die Abbildung in GEO 1997 mit der, die Enke aus der Zeitschrift Pantheon, Nr. 7/1942 abfotografierte. Sie erkennen, dass die 1994 verhökerte Skulptur eine Kopie gewesen sein muss.
? Sie haben jetzt erstmals zwei Zeugen, die mit eigenen Augen sahen, dass das Bernsteinzimmer nicht in Königsberg verbrannte, sondern evakuiert und dabei teilweise vernichtet wurde. Was bedeutet das?
WERMUSCH: Nichts, Schatzsucher sind schlecht belehrbar. Jetzt können die Leute in Thorn suchen, auf dem Flugplatz. Den gibt es nicht mehr, dort stehen Neubauten.
0Man wird immer noch nicht glauben, dass das Bernsteinzimmer nicht mehr existiert?
WERMUSCH: Bis in die 50er Jahre des vorigen Jahrhunderts hat man nach dem Pfauenthron der indischen Großmoguln gesucht, der 1739 verschwand, dann nach dem Bernsteinzimmer. Die Menschen brauchen Geheimnisse.
Interview Christina Matte
ich und der Mann vom Luftfahrtministerium wurden abgeholt, die anderen sicher ten die Maschine, es war ja Frontgebiet. Der uns abholte, trug einen Bart. Ich sah sein Gesicht kaum, glaubte aber, seine Stimme zu kennen. Ich fragte: Bist du nicht der Gerhard Reuther aus Witzschdorf? Waren wir nicht zusammen Lehrlinge? Er war s! Wir unterhielten uns darüber, wie wir hier am besten rauskommen, aber das war sowieso Quatsch. Er erzählte mir dann, dass in den Waggons 16 Kisten stünden, in denen das Bernsteinzimmer drin sei. Die Waggons wurden aufgemacht, ich sollte mir anschauen, was wir mitnehmen könnten.
WERMUSCH: 16 Kisten, das ist der Knackpunkt!
? Wieso?
WERMUSCH: Weil der Herr Wählisch aus Seelow 11 Kisten transportieren sollte. 16 plus 11, das macht 27 und von 27 Kisten, die um den 15. Januar 45 auf dem Schlosshof in Königsberg zum Abtransport bereit gestanden haben sollen, war immer wieder die Rede. Also, in der Literatur wird auch mal von 25 bis 30 Kisten gesprochen, aber die Zahl 27 taucht immer wieder auf. Und ab März 44 gab es eine Weisung, größere Museumsobjekte und auch ganze Museen nie in einem Stück zu evakuieren. Ist ja auch logisch.
MEYER. Das verstehe ich jetzt nicht ganz. Wenn die Kisten auf dem Schlosshof standen, wird sie doch in dem Tohuwabohu niemand gezählt haben.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das beste Mittel gegen Fake-News und rechte Propaganda: Journalismus von links!
In einer Zeit, in der soziale Medien und Konzernmedien die Informationslandschaft dominieren, rechte Hassprediger und Fake-News versuchen Parallelrealitäten zu etablieren, wird unabhängiger und kritischer Journalismus immer wichtiger.
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.
Vielen Dank!