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Grundeinkommen ohne Leistung?

  • Harry Nick
  • Lesedauer: 3 Min.
Man soll nicht unbedingt, wenn es um Gerechtigkeit geht, das eigene Verdienst für das Maß dessen halten, was einem zusteht. Nicht die guten Werke, eben auch nicht der Kauf von Ablassbriefen, sondern allein der Glaube sei ausschlaggebend für das Seelenheil, war die Überzeugung Martin Luthers. Karl Marx war zwar für das Leistungsprinzip im Sozialismus, hielt es aber für ein Muttermal des Kapitalismus, für ungleiches Recht, weil es ungleiche Menschen gleich behandle. Das eigentliche kommunistische Prinzip war für ihn die Verteilung nach den Bedürfnissen. Dies sollte bedacht werden, bevor »Leistungsgerechtigkeit« gegen die Idee einer Grundsicherung, eines Grundeinkommens ins Feld führen: »Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen.« Eine sozialistische Idee ist das nicht. Das Recht auf ein Leben in Würde muss nicht durch Leistung erworben werden. Der Mensch hat es. Es ist ein allem anderen Recht vorgeschaltetes, ein axiomatisches Recht, über dessen Ursprung man streiten, das man aber nicht bestreiten darf. Praktisch-politisch muss es egal sein, ob man es als von Natur oder von Gott oder einfach durch allgemeine und unwiderrufbare menschliche Übereinkunft verliehenes Recht versteht. Ein Widerschein solchen Rechts ist der Artikel 79 GG, der bestimmt, dass der Artikel über die Unantastbarkeit der Würde des Menschen und der über den Sozialstaat niemals außer Kraft gesetzt werden dürfen. Solches Verständnis gehört zum Kern der politischen Kultur und hat höchst praktische Bedeutung. Es bedeutet zum Beispiel, dass ein nicht arbeitsfähiger Mensch einen Anspruch auf eine angemessene soziale Sicherung hat, die ihm ein Leben in Würde ermöglicht. Das ist keine Frage von Barmherzigkeit, nicht mal von Solidarität, sondern einfach originäres Menschenrecht. Es ist auch eine ur-sozialistische Idee. Wie aber umgehen mit einem Arbeitsfähigen, der lieber Bücher lesen, Geselligkeit pflegen oder auch nur faulenzen will, statt zu arbeiten? Soll er auch nicht essen? Das eben bedeutet die Beifügung »bedingungslos« in der Einforderung eines Grundeinkommens: die Absage an Zwangsarbeit. Das »Recht auf Faulheit« muss gewährt werden. Aber muss man dieses Recht auf Faulheit einfach eintauschen gegen das Recht auf Arbeit? Lob der Faulheit und Verachtung der Arbeit sind keine sozialistischen Haltungen. Sozialisten müssen sich für dieses Recht auf Arbeit einsetzen, nicht nur deshalb, weil es Leute gibt, die nach Erwerbsarbeit verlangen, sondern weil auch dieses Recht zu den allgemeinen Menschenrechten gehört. Natürlich müssen Sozialisten fordern: »Arbeit muss her!« Und die muss ja nicht künstlich, durch gesellschaftlich sinnlose Beschäftigung, geschaffen werden. Würden die dringend notwendigen Arbeiten, die heute einfach liegen bleiben, als Erwerbsarbeit geleistet, würden Familienarbeit, Ehrenarbeit gerecht finanziell vergolten, gäbe es keine Arbeitslosigkeit, sondern akuten Arbeitskräftemangel. Und natürlich gehört zu sozialer Gerechtigkeit, dass unter sonst gleichen sozialen Umständen die Arbeitenden ein deutlich höheres Einkommen haben als diejenigen, die auf die Wahrnehmung ihres Rechts auf Arbeit verzichten. Die Einwände gegen unrealistische romantische Utopien, lebensfremde Vorstellungen von Schlaraffenland, wirtschaftlich und sozial ruinöse Vorschläge über die Höhe eines Grundeinkommens sind berechtigt. Wahr ist eben auch: Wer das Recht auf Faulheit in Anspruch nimmt, lebt wie Kapitaleigner von den Früchten der Arbeit anderer. Immer freitags: In der ND-Wirtschaftskolumne erläutern der Nürnberger Philosoph Robert Kurz, der Berliner Ökonom Harry Nick, die Linkspartei-Wirtschaftsexpertin Christa Luft und der Bremer Wissenschaftler Rudolf Hickel Hintergründe aktueller Vorgänge.

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