Veronika, der Spargel wächst!

Im Brandenburger Klaistow ist ein kleines Wirtschaftswunder entstanden

  • Christina Matte
  • Lesedauer: 10 Min.
Wir Deutsche sind verrückt nach Spargel. Jedenfalls die meisten von uns. Warum wir auf dieses Stangengemüse, das von April bis Juni Saison hat, so versessen sind, ist schwer zu erklären. Am ehesten leuchtet noch die Spargel-Manie der Ostler ein: Asparagus officinalis, sehr arbeitsaufwändig in Anbau und Ernte, war in der DDR Bückware - was rar ist, begehrt man umso heftiger. Dieses Entbehrungssyndrom wirkt bis heute, da es Spargel längst an jeder Ecke gibt. Und obwohl dieser relativ teuer ist. Natürlich lassen sich auch gesamtdeutsche Gründe für die kulinarische Leidenschaft anführen: Die wässrigen Stangen, so sie nur erntefrisch und fachmännisch zubereitet sind, zergehen wie Butter auf der Zunge. Im Gegensatz zu Butter haben sie allerdings kaum Kalorien - man kann ja die Butter darüber schütten. Und was an Gesundheit in ihnen steckt, soll das Denkvermögen, die Nerven- und die Manneskraft erhöhen. Veronika, der Spargel wächst! Besonders gut wächst er bekanntlich im Beelitzer Sander. Zu den größten Spargelproduzenten rund um Beelitz, ja in ganz Brandenburg, gehört der Spargelhof Klaistow. Der Hof, der sich auch »Erlebnishof« nennt, ist nichts anderes als das touristische Gesicht der Firma Buschmann & Winkelmann. Hier wird Spargel zum Event, und die neudeutsche Leidenschaft für Events steht der für Asparagus officinalis keineswegs nach. So platzt der riesige Parkplatz denn an Sonn- und Feiertagen aus allen Nähten, und auch wochentags ist er gut gefüllt. Männer und Frauen verstauen unzählige Tüten, randvoll mit Spargel, in ihren Autos. Frischer als beim Spargelbauern bekommt man die Stangen nirgends sonst. Soeben gestochen und gewaschen, werden sie schon im Hofladen angeboten. Der Laden bildet mit dem Scheunenrestaurant den Mittelpunkt des Buschmann & Winkelmann-Hofes. Hier geht der Spargel kiloweise über den Tisch. Im großen Scheunenrestaurant, das Raum für 600 Gäste bietet, kann man sich das Gemüse gleich auftischen lassen. Alle anderen Erlebnisräume sind quasi weitläufig um diesen Mittelpunkt herumdrapiert: Markt, Marktscheune, Wildgehege, Streichelzoo, Naturlehrpfad, Waldcafé. Das alte Standortprinzip funktioniert: Wo sich Vieles konzentriert, dorthin strömt das Volk zuhauf. Der Spargelhof Klaistow gilt als eines der kleinen Wirtschaftswunder im Osten. Davon gibt es nicht allzu viele, aber bei einem Unternehmen, das zur Wende noch gar nicht existierte und heute 70 Festangestellte beschäftigt, muss man schon von einem Wunder sprechen. Leider wurde diese Erfolgsgeschichte, wie auch andere in Neubundland, nicht von Ossis, sondern von Wessis geschrieben. Eine Städtepartnerschaft hatte die Mindener Jörg Buschmann und Ernst-August Winkelmann nach Brandenburg geführt, wo sie Land und Leute kennen lernten und die Idee Gestalt annahm, hier gemeinsam etwas zu wagen. Am 1. Januar 1991 fingen der Obstbaumeister Buschmann und der Kaufmann Winkelmann aus Nordrhein-Westfalen im damals ziemlich gottverlassenen Klaistow als landwirtschaftliche Neueinrichter an. Mit kaum Geld und zunächst elf Hektar. Da war Winkelmann gerade 25 und Buschmann 27. In ihrer alten Heimat hatten die beiden auf den Höfen ihrer Eltern gearbeitet. Nun endlich selbst etwas auf die Beine zu stellen, reizte sie. Es ließ sich gut an. Wie gesagt, die Spargelbegeisterung der Ostdeutschen war groß - zunächst für Spargel aus Griechenland. Als die Berliner und Brandenburger aber allmählich wieder Appetit auf Heimisches bekamen, hatten Buschmann & Winkelmann ihre Chance. Der Hof wurde größer und größer, ihr großer Wurf. Heute bewirtschaften sie in Klaistow 473 Hektar Ackerland, teils gepachtet, teils Eigentum. Auf 355 Hektar bauen sie Spargel an, auf 40 Hektar Erdbeeren, auf 10 Hektar Heidelbeeren, auf einem Hektar Cranberries, auf sieben Hektar Kürbisse, Blumen und sonstiges Gemüse, 60 Hektar sind Stilllegungsfläche. Darüber hinaus nennen sie 491 Hektar Forst ihr eigen, acht davon nutzen sie als Wildgehege. In Brandenburg hat man Buschmann & Winkelmann den Spitznamen »die Großgrundbesitzer« verpasst. Das sind sie auch. Wer aber glaubt, dass ihnen etwas geschenkt wurde, irrt. Sie erhielten keine Fördermittel, keine Neueinrichterprämien, lediglich eine Landesbürgschaft. Noch heute ist ihr Betrieb, für den sie voll haftbar sind, mit Fremdkapital belastet. Solch ein Risiko muss man erst mal eingehen. Jürgen Falkenthal aus Klaistow ging es nicht ein. Der 50-jährige Agrotechniker war der erste Mitarbeiter von Buschmann & Winkelmann. Heute ist er Betriebsleiter Spargelproduktion und in diesen Wochen täglich 15 bis 18 Stunden auf den Beinen. Seit 1993 betreibt auch seine Frau einen kleinen Spargelhof - mit lediglich 1,5 Hektar. »Das reicht völlig aus«, sagt Falkenthal, »wir wären verrückt, uns hoch zu verschulden.« Buwi, wie als Abkürzung für Buschmann & Winkelmann auf den kleinen Einkaufswagen im Spargelhof steht, sind als Team offenbar optimal besetzt. Winkelmann, groß und durchsetzungsfähig, kümmert sich vorwiegend um den kaufmännischen Bereich. Buschmann, kleiner und agil, ist mehr für die Produktion zuständig. 80 bis 100 Tonnen Spargel werden an warmen Tagen von ihren Feldern geholt, wohlbemerkt: an jedem einzelnen warmen Tag. Die müssen gewaschen, sortiert, gekühlt und verkauft werden. 600 ausländische Erntehelfer und etwa 250 deutsche Aushilfen gehen ihnen dabei zur Hand. Solch einen Betrieb zu führen, ist kein Kinderspiel. Als sie anfingen, wussten sie nicht, dass sie es können. Aber sie haben es sich zugetraut und gelernt. Winkelmann sagt: »Fehler kann man sich nicht leisten. Denn Fehler machen nicht klug, sondern arm.« Naturgemäß haben der Obstbaumeister Buschmann und der Kaufmann Winkelmann während der Saison alle Hände voll zu tun und also kaum Zeit für Journalisten. Eine Ausnahme machten sie vor ein paar Wochen, als die Bundesagentur für Arbeit zu einer Pressekonferenz auf ihren Hof rief. BA-Vorstandsmitglied Heinrich Alt aus Nürnberg informierte sich vor Ort über die Vermittlung inländischer Erntehelfer, denn die sollen in diesem Jahr zehn Prozent der ausländischen ersetzen. Für deutsche Arbeitslose sei das ein beachtliches Beschäftigungspotenzial: Zumindest vorübergehend könnten sie ihre Arbeitslosigkeit beenden und seien dann auch weniger auf staatliche Unterstützung angewiesen. Da deutsche Arbeitslose Spargel in der Regel zwar gern essen (so sie ihn sich leisten können), aber ihn nicht unbedingt ernten möchten, sei der Einsatz freiwillig. Die BA versuche allerdings, ihnen das Ernten schmackhaft zu machen, indem sie ihnen zum Verdienst etwas zuschießt. In Potsdam-Mittelmark zum Beispiel erhalten ALG II-Empfänger 18 Euro, ALG I-Empfänger 25 Euro pro Tag zusätzlich zu ihrem Verdienst. Denn sie verdienen elend wenig. Bestenfalls ein Drittel ihrer ausländischen Kollegen, weil sie auch bestenfalls ein Drittel von deren Leistung erbringen: Wer schon lange arbeitslos und körperlich nicht mehr in Form ist, für den ist die Arbeit auf den Spargelfeldern eine Tortur. Bei jener Pressekonferenz nahm Winkelmann für den Spargelhof das Wort: Er könne die Arbeitslosen verstehen. Er selbst wäre auch nicht motiviert, sechs bis acht Wochen lang körperlich schwer zu arbeiten, wenn er wüsste, dass er anschließend wieder auf der Straße läge. Aber der Betrieb brauche nun mal hochmotivierte Arbeitskräfte: Der Spargel muss geerntet werden, wenn er wächst. Wer nicht motiviert sei, schaffe nichts. Und der steche nachlässig, so dass er die Wurzeln zerstöre. Dennoch beschäftige der Betrieb auch deutsche Helfer, nicht erst seit heute. Um deren körperlicher Konstitution entgegenzukommen und wirtschaftliche Risiken zu vermeiden, würden sie zum Stechen des grünen Spargels eingesetzt, der oben aus den Spargeldämmen herauswächst - immer noch eine Knochenarbeit. Außerdem müsse der Spargel ja sortiert, transportiert und verkauft werden ... Als wir den Hof ein zweites Mal besuchen, wird Winkelmann deutlicher: »Die Zukunft der deutschen Arbeitslosen liegt nicht auf den Spargelfeldern.« Er und Buschmann würden sich freuen, dass sie hier »ein bisschen was entwickeln konnten und für die Allgemeinheit auch was abfällt«. Denn hätten sie statt Spargel Roggen angebaut, kämen sie das Jahr über mit zwei Arbeitskräften aus. So sichern drei polnische Erntehelfer einen deutschen Arbeitsplatz. Den des Bäckers, des Fleischers, des Kochs, des Försters, der Serviererin, des Tischlers. »Doch gesamtgesellschaftlich zählen wir überhaupt nicht. Die Politik müsste eingreifen, wenn große Unternehmen ihre Produktion für den Binnenmarkt ins Ausland verlegen - einer der wahren Gründe für die Misere.«
Lebensart
Wenn der Erlebnishof das touristische Gesicht der Firma Buschmann & Winkelmann ist, so liegt das wirkliche Kapital auf den Feldern. Sie glänzen wie Spiegel im Sonnenlicht: Jeder einzelne Spargeldamm ist mit Folie abgedeckt - an einem warmen Tag wie heute zeigt deren helle Seite nach oben und fängt die gleißenden Strahlen ein. An kalten Tagen allerdings wird Folie für Folie gewendet; die Felder dräuen dann in Schwarz, um die Kälte abzumildern. Wir tragen an warmen Tagen ja auch keine schwarze, sondern helle Kleidung. Geerntet wird vom frühen Morgen bis in den Vormittag hinein. Später, wenn die Sonne richtig brennt, liegen die großen Felder verwaist. Die polnischen Erntehelfer halten sich dann in ihren Quartieren auf. Etwa ab halb vier Uhr nachmittags kehren die Spargelstecher zurück. Beugen ihre krebsroten Rücken, schlagen Meter für Meter die Folien auf, ertasten den Spargel in den Dämmen, stechen ihn in einer Länge von exakt 28 bis 30 Zentimetern, um die Pflanzen nicht zu beschädigen, füllen das entstandene Loch wieder auf, decken sorgsam die Folie darüber, um sie ein paar Schritte weiter erneut mit einem Schwung aufzuschlagen. Jede Stange, die der Stecher heute im Damm übersieht, ist morgen von minderer Qualität. Die Stecher werden nach Menge und Qualität entlohnt - ein guter Stecher kann nach sechs Wochen 3000 Euro oder mehr mit nach Hause nehmen. Das ist sehr viel Geld in Polen. Und deshalb ist Grzegorz K. hier. Schwere Arbeit ist er gewöhnt, denn normalerweise arbeitet er im Hochbau. Während der Spargelsaison nimmt der 26-Jährige, der eine Frau und zwei Kinder hat, seinen Jahresurlaub. Von dem, was er verdient, will er Haushaltsgeräte kaufen. Auch Janusz M., der in einem Schuhbetrieb arbeitet, hat Urlaub genommen. Für die deutschen Spargelfans macht er sich bereits das dritte Jahr krumm - er will für seine Familie ein Haus bauen. Ihm und der fröhlichen Katarzyna I., die in Krakau in einer deutschen Firma und hier als Vorarbeiterin und Dolmetscherin beschäftigt ist, macht es nichts aus, in Deutschland eine Arbeit zu verrichten, die Deutsche selbst nicht machen wollen. Sie sagt: »Auch wir würden in Polen keinen Spargel stechen, denn in Polen würden wir nichts verdienen. Und Buschmann & Winkelmann vertrauen wir, weil sie ehrlich sind und sich gut um uns kümmern.« Jürgen Falkenthal, der Betriebsleiter Spargelproduktion, lobt seine polnischen Mitarbeiter: »Sie sind sehr fleißig und anständig, und wir wissen das zu schätzen.« Viele Helfer kennt er schon seit Jahren. Er ist stolz darauf, dass ihn der eine oder andere schon in seine Heimat eingeladen hat. Erst unlängst war er bei einer Hochzeit. Die Gruppe der deutschen Arbeitslosen, die den grünen Spargel sticht, ist mittlerweile ebenfalls wieder auf dem Feld. Sie ist relativ überschaubar, und kaum jemand mag mit uns sprechen. Nur die 34-jährige Vorarbeiterin Annette Küsel aus dem benachbarten Busendorf, die sonst Hartz IV-Empfängerin ist, jetzt aber bereits ihre 8. Spargelsaison absolviert, und der ehemalige Schmelzer Dieter Eichelbaum nehmen sich eine Minute Zeit. Dass viele ihrer deutschen Leidensgenossen vorgeben, die Feldarbeit sei zu schwer, halten sie für eine Ausrede. Annette Küsel ist allerdings noch jung und robust, Dieter Eichelbaum einfach zäh. Der Spargel ruft, sie müssen wieder. Spargelbusse von überall her machen auf dem Parkplatz halt. Hunderte Menschen steigen aus, vor allem reifere Damen und Herren. Sie alle strömen zum Restaurant, um sich dort verwöhnen zu lassen. Veronika, der Spargel wächst. Zumindest noch auf den Beelitzer Feldern. Guten Appetit.

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