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  • Politik
  • Ex-DTSB-Chef Manfred Ewald wird 75

«Ich war der Sport»

Aufstieg und Fall des mächtigsten Mannes des DDR-Sports

  • Lesedauer: 4 Min.

Von Jürgen Holz

Der mächtigste Mann des DDR- Sports lebt heute zurückgezogen und gesundheitlich stark angegriffen im brandenburgischen Damsdorf: Manfred Ewald (Foto: dpa). Er begeht heute seinen 75. Geburtstag.

Seine Gegner sahen von jeher in ihm einen «Sport-Dikatator», einer «mit unglaublicher Brutalität», wie der «Spiegel» vor einem Jahr im Vorfeld des Berliner Doping-Prozesses schrieb.

Tatsächlich gilt Ewald als wichtigster «Macher» des unglaublichen Aufstiegs des DDR-Sports. Doch die Behauptung, «Ich war der Sport», wie sein 1994 er schienenes Buch über «Wahrheiten und Legenden aus dem Wunderland der Sieger» überschrieben ist, ist schlichtweg eine an Selbstherrlichkeit nicht mehr zu übertreffende Anmaßung. Titel und Unterzeile des Buches erschienen derart authentisch, dass sich später der Verlag Elefanten Press zu dem Hinweis veranlasst sah, der Buchtitel entspräche nicht der Intention Ewalds. ^

Der frühere Präsident des DTSB (1961 bis 1988) und des NOK der DDR (1973 bis 1990) erlebte seine persönlich wohl schmerzlichste Stunde, als er nach seinen Alkohol-Eskapaden nach den Olympischen Winterspielen 1988 auch für die DDR-Partei- und Staatsführung nicht mehr tragbar war und abgelöst wurde. Offiziell wurden dafür im Spätherbst 1988 «gesundheitliche Gründe» angeführt.

Der vorzeitige Ruhestand wurde dem langjährigen ZK-Mitglied und Volkskammer-Abgeordneten (beides seit 1963) mit der Verleihung des Karl-Marx-Ordens «versüßt» - zum dritten Mal übrigens. Eine auch in der ZK-Hierarchie ungewöhnliche Hervorhebung. Ewald soll übrigens, wie langjährige Mitstreiter an seiner Seite berichteten, auf einer Auktion der Düsseldorfer Münzen-Handlung Heinrich Winter 1993 in Westberlin zwei dieser Orden zum Kauf angeboten haben.

Der gelernte Verwaltungsangestellte aus Podejuch (Pommern) hatte nach dem Zweiten Weltkrieg schnell Karriere gemacht. Erst in der KPD, dann in der SED und vor allem in der FDJ, wo er sich als FDJ-Funktionär in Greifswald hervortat. Ab 1948 war er schließlich in unter schiedlichen Funktionen des Sports tätig.

Ewald hält sich zu Gute, dass unter seiner geradezu bis zur Perfektion getriebenen preußisch-strengen Regie die DDR- Athleten bei Olympischen Spielen 160 Gold- 153 Silber- und 141 Bronzemedaillen gewannen - mit dem spektakulären Höhepunkt im Jahre 1988, als die DDR bei den Winter- und Sommerspielen hinter der Sowjetunion den zweiten Platz belegte. Er, der 1964 in Tokio auch Chef de Mission der damals gesamtdeutschen Mannschaft war, ordnete dem leistungssportlichen Aufstieg des DDR-Sports alles unter - auch für den Preis der Benachteiligung anderer, nicht medaillenträchtiger olympischer Sportarten und auch für den Preis, wie nach der Wende in den Doping- Prozessen offenbar wurde, des Einsatzes aller verfügbaren sportmedizinischen Mittel und Möglichkeiten - von den Er laubten bis hin zu den Unerlaubten.

Keine Frage, er war ein fähiger Mann, einer mit hohem sportlichen Fachwissen und großen Detailkenntnissen. Aber eben auch einer, der mitunter zu Geltungssucht neigte, der sich von keinem reinreden ließ, der so ziemlich nach Belieben schaltete und waltete. Er war ein Typ, der wahrscheinlich in jedem gesellschaftlichen System Karriere gemacht hätte.

Der Erfolg gab ihm Recht und heiligt bekanntlich alle Mittel. Offensichtlich auch die, dass er den - im schroffen Gegensatz zu anderen olympischen Sportarten - nie zur vollen Blüte gelangenden DDR-Fußball über Jahre hinweg «schurigelte, hineinredete und dirigierte, wie er wollte und konnte», wie der langjährige Staatssekretär für Körperkultur und Sport, Prof. Günter Erbach, der auch Präsident des DDR-Fußball-Verbandes war, feststellte.

Ewalds Rolle im Staats- und Parteigefüge der DDR wuchs mit jeder Medaille, und durch die Erfolge der DDR im Weltsport wurde auch maßgeblich die internationale Anerkennung der DDR gefördert. Was eben auch dazu führte, dass sich Ewald gelegentlich zur Kritik gegenüber dem «ersten Mann im Staate» aufschwang. Den auf Druck der UdSSR angeordneten Boykott der Olympischen Spiele 1984 in Los Angeles habe er gegenüber Honecker «als schweren Fehler» bezeichnet. Schon 1972 widersetzte sich Ewald nach dem terroristischen Anschlag im Olympischen Dorf bei den Sommerspielen in München der Absicht Honeckers, die DDR-Olympiamannschaft zurückzuziehen.

Der Tiefpunkt im Leben des Ex-DTSB- Chefs ist zweifellos die im vorigen Juli gegen ihn verhängte 22-monatige Bewährungsstrafe wegen «Beihilfe zur Körper Verletzung» an 20 minderjährige DDR- Sportlerinnen, die ihre Klage auf gesundheitliche Schädigungen auf Grund der Einnahme von Dopingmitteln gründeten. Das Gericht sah in Ewald eine «treibende Kraft des DDR-Kinderdopings», während er sich keiner Schuld bewusst war.

So zutreffend Ewalds Feststellung auch ist, dass «Doping keine Erfindung des DDR-Sports» war, so unzutreffened ist seine Erklärung im Buch «Ich war der Sport», bei der er seiner «Unkenntnis» das Wort redet. «Es stellt sich heute leider heraus, daß der Doping-Mißbrauch im Sport der DDR verbreiteter war, als unsere Leitung wußte bzw. unter Berücksichtigung einer Dunkelziffer annahm.»

Ein Leben zwischen Wahrheit und Legende wird so auch noch zu einem zwischen Lüge und Legende

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