Hartz-IV-Kritik unerwünscht

Ein Student der Bundesagentur für Arbeit wird wegen Verunglimpfung abgemahnt

  • Guido Speckmann
  • Lesedauer: 3 Min.
Die Zusammenarbeit von Bundesagentur für Arbeit (BA) und Bundeswehr war Grund für die öffentliche Kritik eines Mitarbeiters - ihm droht nun die Entlassung.

Es sieht nach einer Neuauflage des Falles Inge Hannemann aus. Die bei einem Jobcenter in Hamburg-Altona Beschäftigte übte als Mitarbeiterin der Bundesagentur für Arbeit (BA) Kritik am Hartz-IV-System - und wurde mit sofortiger Wirkung vom Dienst freigestellt, Hausverbot inklusive.

Die BA scheint auf Kritik allergisch zu reagieren. Das zeigt nun auch ein zweites Beispiel: Marcel Kallwass absolviert gerade ein berufsbegleitendes Studium an der Mannheimer Hochschule der BA. Parallel betreibt er den Blog »Kritischer Kommilitone. Kritik am Arbeitsamt«. In diesem kritisiert er zum Beispiel die Zusammenarbeit der BA mit der Bundeswehr. So heißt es in einem Eintrag: »Eine Kooperation mit der Bundeswehr verstößt in meinen Augen gegen die Berufswahlfreiheit (Art. 12 GG). Denn aufgrund dieser beschriebenen Kampagne ›können die jungen Leute von Beratungs- und Vermittlungsfachkräften auf eine Beschäftigung als Kurzdiener[_Innen] angesprochen werden‹«. Damit sei, so Kallwass, eine unabhängige, freie Beratung nicht garantiert. Doch die BA habe die gesetzliche Pflicht, nach Eignung, Neigungen und Fähigkeiten zu beraten.

In dem Blogeintrag »Nein zur Gewalt - Nein zum (in-)direkten Krieg in Syrien!« schreibt Kallwass: »Um den Nachwuchs der Mörder_Innen und deren Beihelfer_Innen zu gewährleisten, hilft das Arbeitsamt kräftig mit.«

Diese beiden Stellen werden in dem Abmahnschreiben der BA angeführt und als »Formalbeleidigung und Verunglimpfung« des Arbeitgebers gewertet. Überdies wird dem Studenten eine »Verletzung von Loyalitäts- und Rücksichtnahmepflichten« vorgeworfen. Am Ende des Schreibens wird Kallwass sogar mit der Aufkündigung des Arbeitsverhältnisses gedroht. Die Bundesagentur bestätigte am Donnerstag die Abmahnung: Mit seinen Blog-Äußerungen schade er seinen Kollegen in den Jobcentern, erklärte eine BA-Sprecherin. Vorgeworfen wird ihm des Weiteren, dass er Meinungen von Mitarbeitern oder sensible Daten von Erwerbslosen herausgeben könnte. Darüber hinaus soll Kallwass durch das Verteilen von Flugblättern den Betrieb der BA-Hochschule gestört haben. In dem Flugblatt hieß es, dass Erwerbslose Opfer struktureller Gewalt seien. »Die mächtige Behörde hat die Macht darüber zu entscheiden, wie das eigene Leben weitergeht!« Kallwass fordert dazu auf, gemeinsam für die Rechte der Erwerbslosen und für eine bessere Personalpolitik in der Bundesbehörde zu kämpfen.

In einer Stellungnahme und einem Interview vom Donnerstag hat der Studierende an der BA-Hochschule auf das Abmahnschreiben reagiert. In beiden bekräftigt er seine fundamentale Kritik am Hartz-IV-System. So argumentiert er in dem Gespräch auf der Website www.gegen-hartz.de, dass es ca. sechs Millionen Erwerbslose gebe, aber nur eine Million offene Stellen. Selbst wenn alle Erwerbslosen bundesweit mobil wären und allen Pflichten der Jobcenter nachgekommen würden, wären mindestens fünf Millionen erwerbslos, so das Argument. Die Masterlösung - das Setzen der BA allein auf Erwerbsarbeit - könne somit grundsätzlich nicht aufgehen.

Über die Abmahnung seines Arbeitgebers zeigte sich Kallwass nicht überrascht, vielmehr habe er damit gerechnet. Zugleich sehe er das Schreiben als Bestätigung seines politischen Protestes.

Der Abgemahnte berichtet ferner über seine Erfahrungen in der BA: Die Fokussierung auf Vermittlungszahlen, der hohe Druck auf die Beschäftigten, der gelegentlich auf die Erwerbslosen weitergegeben werde, sowie Sanktionsmittel als Ausdruck von »offensichtlich struktureller Gewalt« stehen im Zentrum.

In seiner Stellungnahme argumentiert Kallwass, dass das grundgesetzlich verankerte Recht auf freie Meinungsäußerung offenkundig laut BA nur gelte, wenn es im Sinne des Arbeitgebers sei. Er kündigt an, eine eventuelle Kündigung zu nutzen, um den Scheincharakter der Verfassung zu beweisen. Kallwass hofft, dass sich seiner Kritik noch mehr interne Mitarbeiter anschließen und sich wieder mehr Erwerbslose an Protesten beteiligen.

Die Chancen stehen nicht schlecht, dass der Fall Kallwass eine ähnliche Aufmerksamkeit erhält wie jener der Hamburgerin Inge Hannemann. Allerdings könnte ihm sein Bekenntnis zum Linksradikalismus die Unterstützung mancher Medien kosten.

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