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Als Luxusuhren noch aus England kamen

Thomas de Padova über den Zusammenhang von moderner Naturwissenschaft und exakter Zeitmessung

  • Steffen Schmidt
  • Lesedauer: 3 Min.

Man sitzt zusammen, unterhält sich angeregt. Und beim Blick auf die Uhr: Oh je, ich habe keine Zeit mehr, ich muss los. Diese uns höchst vertraute Situation wäre betuchten Menschen im 16. Jahrhundert allerdings ziemlich befremdlich vorgekommen. Nicht zuletzt deshalb, weil damals selbst Kirchturmuhren keineswegs überall existierten. Noch der junge Isaac Newton beschäftigte sich mit der Herstellung von Sonnenuhren. Von seinem Konkurrenten und Zeitgenossen Gottfried Wilhelm Leibniz immerhin ist ein im Stundentakt durchgeplanter Tagesablauf für einen adligen Studenten überliefert. So verschieden der Start des Sohnes eines englischen Gutsbesitzers und eines Leipziger Professors gewesen ist, so stark haben sie unsere heutigen Vorstellungen von Zeit geprägt.

Der Physiker und Wissenschaftsjournalist Thomas de Padova verwebt in seinem überaus kurzweilig zu lesenden Buch die Biografien der beiden Begründer der klassischen Physik mit einer Technik- und Kulturgeschichte des 17. und 18. Jahrhunderts und philosophischen Reflexionen über das Wesen der Zeit.

Wenn heute von hochwertigen und genauen Uhren die Rede ist, so handelt es sich zumeist um Schweizer, japanische oder deutsche Produkte. Doch den Anfang bei der sekundengenauen Zeitmessung machte man beiderseits des Ärmelkanals. Mit der Erfindung der Pendeluhr leitet der Niederländer Christian Huygens 1657 eine Revolution nicht nur der Zeitmessung, sondern auch der Physik und der Astronomie ein. 1675 macht er mit der Erfindung der Unruhfeder die Uhr westentaschentauglich. Ein englischer Uhrmacher wird später diese Uhr so perfektionieren, dass sie auch auf hoher See noch so genau läuft, dass man den Längengrad exakt berechnen kann. Die englischen Uhrmacher sind in jener Zeit so angesehen, dass man bei Nachbauten auf dem Kontinent ihre Signaturen fälscht.

Wie de Padova schreibt, war der Sprung bei der Messgenauigkeit so groß wie erst wieder im 20. Jahrhundert mit der Einführung von Quarz- und Atomuhren. Huygens machte die Zahl der Pendelschwingungen zum Maßstab der Zeit. Doch was sollte diese nun so genau messbare Zeit eigentlich sein?

In Newtons Physik wird daraus als Gegenstück zum absoluten Raum die absolute Zeit, die ganz unabhängig von allen physikalischen Prozessen stetig dahinfließt. In dem Maße, in dem sich die alltägliche Zeitvorstellung vom Lauf der Sonne löste und die Uhr zum Maßstab aller Dinge wurde, setzte sich Newtons Zeitbegriff auch außerhalb der Physik durch.

Und so ging der Streit zwischen Newton und Leibniz nicht allein um die Frage, wer von beiden die Differenzialrechnung erfunden hatte und ob Gott nach der Schöpfung noch in sein Werk eingreifen müsse. Es ging auch um den Zeitbegriff. Für Leibniz nämlich war Zeit immer an Bewegung, an physische Veränderung gebunden. In gewisser Hinsicht nahm er damit spekulativ die moderne Physik vorweg. Denn Einsteins Relativitätstheorie macht Newtons absoluter Zeit den Garaus, indem Raum und Zeit erst durch die Materie in ihnen festgelegt werden. Ein offenes Problem allerdings - so de Padova - bleibt: Die ebenfalls experimentell gut bestätigte Quantenmechanik setzt die newtonsche absolute Zeit voraus.

Solange also die beiden großen physikalischen Theorien des 20. Jahrhunderts nicht vereint sind, bleibt auch offen, was denn Zeit an sich ist.

Thomas de Padova:
Leibniz, Newton und die Erfindung der Zeit. Piper. 352 S., geb., 22,99 €

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