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Jeder Mensch ist zu einer Gewalttat fähig

Lydia Benecke wollte wissen, wie Psychopathen ticken

  • Maritta Hummel
  • Lesedauer: 3 Min.

Im zarten Alter von elf Jahren hat sie erstmals den Film »Das Schweigen der Lämmer« über den Serienmörder Hanibal Lecter gesehen. »Der Film machte mir keine Angst, er faszinierte mich ... Eine Faszination, die bis heute anhält«, gesteht sie. Lydia Benecke wollte seit damals wissen, wie »echte« Psychopathen ticken und studierte Kriminalpsychologie.

Warum begehen manche Menschen grausame Verbrechen? Werden sie »böse« geboren? Und bleiben sie ein Leben lang »böse«? Die beiden letzten Fragen verneint Lydia Benecke. Sie weiß, es ist vielfach das Umfeld, das Menschen zu Gewalttaten verführt. Aber nicht nur. Denn es gibt Eigenschaften, die manche Menschen stärker entwickeln als andere, weswegen es ihnen leichter fällt, grausam zu handeln.

Lydia Benecke, im Alter von fünf Jahren mit ihrer Mutter aus Polen in die Bundesrepublik gereist und aufgewachsen in einer Art »Ghetto« im Ruhrpott - umgeben von kaputten Familien, überforderten Alleinerziehenden, Arbeitslosigkeit, Alkoholismus, Drogenhandel, Vandalismus -, wollte die »Bösen«, die »Verrückten«, die »Außenseiter« der Gesellschaft verstehen. Wohl auch, weil sie selbst in ihrer Kindheit eher eine Außenseiterin war, keinen stabilen Freundeskreis hatte.

Den meisten Tätern ist nicht anzusehen, welche Verbrechen sie verüben wollen oder werden oder verübt haben. Der freundliche Nachbar kann ein Mörder, brutaler Vergewaltiger oder Profikiller sein, so Lydia Benecke. Sie nimmt vor allem die Psychopathen unter die Lupe. Sie sind nicht überdurchschnittlich intelligent, doch haben sie oft ein gutes Gespür dafür, was in anderen Menschen vorgeht. Sie können anderen »normale« Gefühle vortäuschen, die sie nicht haben. Psychopathen glauben, den anderen überlegen zu sein. Tatsächlich lügen sie häufiger und besser als andere, können Mitmenschen wie Marionetten beeinflussen, sind gewissenlos und »gefühlsblind«. Sie wollen Macht über andere ausüben und sind oft geltungsbedürftig.

Was geht in einem Menschen vor, der mehr als 20 Menschen tötete? Fragt Lydia Benecke und schildert ausführlich den Fall »Eismann«, der fast 40 Jahre lang in den USA mindestens so viele Menschen ermordet hat (vermutlich jedoch sehr viel mehr). Mit 13 Jahren beging er den ersten ungeplanten Mord und fand zunehmend Gefallen daran, seine Opfer zu quälen, bevor er deren Leben auslöschte. Rodney, Mädchen- und Frauenvergewaltiger und -mörder, ist dem FBI mehrfach durch die Fänge geschlüpft. Einem Gefängnispsychologen spielte er so perfekt den Geläuterten vor, dass ihn die Bewährungskommission entließ. Alsbald mordete Rodney munter weiter. Seine Mutter und seine Freundin ahnten nichts. Die Polizei fand bei ihm Kartons mit mehr als 1700 Fotos von Frauen und Mädchen.

Lydia Benecke mahnt und beschreibt auch Situationen, die offenbaren, dass jeder Mensch zu einer Gewalttat fähig wäre. Ein schaurig-schönes Buch.

Lydia Benecke:
Auf dünnem Eis. Die Psychologie des Bösen. Lübbe. 347 S., br., 14,99 €

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