Pfarrer im Unruhestand

Peter Kranz hungerte fünf Tage lang aus Protest gegen den Klimawandel

Hätte er das alles gestern schon gewusst, er hätte sich noch viel mehr aufgeregt. Erst veröffentlicht die britische Zeitung »Guardian« eine Studie, die weiß, dass nur 90 Konzerne über 60 Prozent der weltweiten Treibhausgase in die Atmosphäre blasen und dann ziehen sich auch noch die großen Umweltverbände frustriert zurück und wollen nicht mehr mitmachen. Es geht um die Weltklimakonferenz in Warschau und um den ewigen Konflikt zwischen Wirtschaft und Umwelt - und um die Politik, die oft nur danebensteht und zuguckt. Das alles macht Peter Kranz noch wahnsinnig, denn er fühlt sich in diesem Spiel ohnmächtig. Peter Kranz ist pensionierter Pfarrer der evangelischen Luthergemeinde Berlin-Spandau, gleichzeitig war er auch ihr umweltpolitischer Sprecher.

Der kleine Mann mit dem ergrauten aber kräftigen Haar, das mal tiefschwarz und widerspenstig gewesen war, hat seit drei Tagen nichts gegessen. Der Grund, warum er hungert, ist seine Solidarität mit dem philippinischen UN-Gesandten Naderev »Yeb« Saño, der unter Tränen, halb wütend, halb machtlos am 11. November die Staatengemeinschaft aufforderte, endlich mit dem Reden aufzuhören und zu handeln. Aus Mitgefühl mit den obdachlosen Familien in seiner Heimat trat Saño in den Hungerstreik. Das Absolute an diesem Mann imponierte Kranz und so wollte auch er bis zum Ende der Konferenz nichts essen und das, obwohl er einen Herzfehler hat und seine Tochter schon vom Sterben sprach. Soweit muss es nicht kommen, dachte er sich und fragte vorher einen Arzt. Der gab ihm für maximal sieben Tage das OK. Kranz’ Frau kommt trotzdem jeden Tag nach der Arbeit vorbei, wohl nicht nur um den Fastentee aus der Apotheke mitzubringen, den der Kaffeetrinker Kranz nicht leiden kann. Aber: »Kaffee macht noch durstiger und außerdem den Mund trocken«, sagt er. Auf dem Tisch vor ihm liegt eine angebrochene Packung Minzpastillen, die aber nichts mit heimlichem Kaffeegenuss zu tun haben soll.

Allein ist Kranz bei seiner Aktion nicht. Einen Tag nachdem Saño auf der Konferenz seinen Hungerstreik verkündete, schrieb Kranz alle Menschen in seinem E-Mail-Verteiler an. Er wollte noch die Einladung eines Freundes zum Hechtessen am folgenden Sonntag abwarten, dann sollte es ernst werden mit dem Fasten. Von fünf Interessierten, darunter auch der Berliner Piratenabgeordnete Philipp Magalski, blieb am Ende einer übrig und so lebt Kranz seit dem 18. November zusammen mit seinem pensionierten Pfarrerkollegen Manfred Richter in einem selbst errichteten Protestcamp in der Wilmersdorfer Straße. Zwei Pfarrer im Unruhestand.

Hier in Charlottenburg eröffnete Kranz Ende der 90er Jahre das ökumenische Zentrum für Friedens- und Umweltarbeit WILMA. Dort treffen sich regelmäßig Umweltgruppen, es gibt globalisierungskritische Vortragsreihen und Liederabende.

In einem kleinen Durchgangszimmer haben die beiden Männer zwei Matratzen und Isomatten ausgelegt. In der Mitte ein Tisch, auf dem ihre Pressemitteilung liegt, die sie auch an die Kanzlerin geschickt haben. Bis auf die typische Referentenantwort erwarteten sie allerdings nichts. Genauso wenig wie von den Koalitionsverhandlungen. »Ich bin unendlich sauer auf Peter Altmaier und Hannelore Kraft, die genau das Gegenteil von dem machen, was nötig wäre«, sagt Kranz, dabei tippt er im Staccato, wie immer, wenn es richtig wichtig wird, mit den Fingerkuppen auf den Tisch. Kranz beschwert sich über die anhaltende Förderung der Kohlekraft und über die Deckelung beim Ausbau der erneuerbaren Energien. Und das alles, während auf den Philippinen ein Taifun große Teile des Landes komplett zerlegte. »Vor 300 Jahren hätte man das noch als göttliches Zeichen interpretiert, wenn so was zeitlich mit der Klimakonferenz passiert«, sagt Kranz.

Tatenlosigkeit erträgt der 65-jährige Kranz nur schwer. Einmal hat er den damaligen evangelischen Bischof von Berlin, Martin Kruse, aus seiner Kirche geworfen, weil der der Meinung war, es reiche aus, wenn jeder den Frieden in sich selbst finde, um die Welt ein Stück besser zu machen. Kranz schreibt stattdessen in den 70ern Protestbriefe an Außenminister Genscher, der verschwundene Deutsche während der Militärdiktatur in Argentinien befreien soll. Sein erster Hungerstreik beginnt. Später sammelt Kranz in Spandau 40 000 Unterschriften gegen den Bau einer Startbahn am Flughafen Tegel. Während des Gottesdienstes versteht er kein Wort, das hält er nicht mehr aus. In einem Restaurant tauscht er zusammen mit Konfirmanden die herkömmlichen Glühbirnen durch Energiesparlampen aus und setzt sich 1993 als Erster in Berlin eine Solaranlage auf sein Pfarrhaus. Die Berliner Synode verlässt er, weil ihm der »hingeschluderte« Finanzplan zum Bau eines neuen Kirchenzentrums nicht gefiel. »So war ich schon immer«, sagt er und guckt etwas verlegen durch seine große Drahtgestellbrille auf den Tisch.

Aus Warschau haben die beiden ehemaligen Pfarrer noch keine Rückmeldung bekommen, wie auch, dort weiß man gar nicht, dass es sie gibt. »Vielleicht hätten wir das auch an die deutschen Delegierten schicken sollen?«, überlegt Kranz und schaut erst die Pressemitteilung und dann Manfred Richter an. Er holt einen Zettel und macht sich Notizen. Diesmal wird der Kampf gegen den Klimawandel noch jenseits der Wilmersdorfer Straße gewonnen werden müssen.

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