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Frauenfußball-EM: Zum Teufel mit dem Anstand
Zwei Dokumentationen zeigen, wie sehr sich der Frauenfußball in Deutschland professionalisiert hat
Einen interessanten Satz sagt Giulia Gwinn dann doch in der ansonsten recht faden Frauenfußballdoku »Shootingstars – Deutschlands neue Fußballgeneration«, die seit 28. Juni in der ARD-Mediathek zu sehen ist. Ganz am Schluss, da hat sie schon über ihre zwei Kreuzbandrisse und ihre Buchvorstellung geplaudert, hat zusammen mit einer Teamkollegin vom FC Bayern für die Athmo-Bilder Latte Macchiato in einem Münchner Café aus der Siebträgermaschine gezapft, dann sagt sie: »Ich mache das auch (gemeint ist ihr Buch, inklusive Pressetermine), weil ich damals keine weiblichen Vorbilder hatte.« Und das stimmt wohl. Wer sich als Frau oder Mädchen vor dem großen Frauenfußballboom zur EM 2022 für den Sport interessierte, hatte allerhöchstens mal was von Marta (brasilianische Stürmerin), Hope Solo (US-Torwartin und Skandalnudel) oder vielleicht von Megan Rapinoe (US-Top-Fußballerin) gehört, aber dann muss man tatsächlich ein ziemlich nerdiges Spezialinteresse für den Nischensport Frauenfußball gehabt haben. Vorbilder waren Frauen nicht, denn man nahm sie schlichtweg kaum wahr und wenn, dann waren sie keine Idole, weil der Glamour-Faktor fehlte. Fußballspielende Frauen waren selbst für Fußball spielende Frauen nicht cool. So traurig das auch klingt: Vorbilder für Mädchen wie Giulia Gwinn, die in den 90ern oder Anfang der 2000er Fußball spielten, waren die alten Männer aus der »Sportschau«, aus der »Bravo Sport« oder »Sport Bild«.
Inzwischen ist das anders. Die deutschen Nationalspielerinnen, die am kommenden Freitag ihr erstes Spiel bei der Europameisterschaft gegen Polen bestreiten, haben auf Instagram zwischen 400 000 (Lena Oberdorf) und 644 000 Follower*innen (Giulia Gwinn), Werbeverträge und wenn es richtig gut für sie läuft, auch einen Buchverlag. Die Mehrheit der Spielerinnen in der 1. Frauenfußballbundesliga verdienen zwar immer noch zwischen 2000 und 4000 Euro monatlich, was ein Witz im Vergleich zu ihren männlichen Pendants ist, aber immerhin – und das ist ziemlich sicher – wird keine von ihnen mehr ein Kaffeeservice zum Sieg der Europameisterschaft geschenkt bekommen.
Training ab 21 Uhr. Konnte man wenigstens noch den Haushalt zu Ende machen.
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Dabei gibt es sie, die Frauen, die als Vorbilder getaugt hätten. Sie heißen Birgit Bormann, Petra Landers oder Anne Trabant-Haarbach, sind inzwischen alle über 60 und haben zu ihrer aktiven Zeit ihre Trikots zum Teil aus Woll-Pullis noch selbst machen müssen, weil ihr Verein für die Spaß-Abteilung »Frauen« nun wirklich kein Geld mehr übrig hatte.
Der Dokumentarfilm »Mädchen können kein Fußball spielen« des überaus routinierten Dokumentarfilmers Torsten Körner (»Schwarze Adler«, 2021, »Die Unbeugsamen«, 2024) beschreibt den mehr als steinigen Weg dieser Pionierinnen des deutschen Frauenfußballs vom illegalen Training (der DFB hatte Frauenfußball aus Angst vor wippenden Brüsten 1955 mit der Begründung verboten, dass »das Zurschaustellen des Körpers Schicklichkeit und Anstand« verletze) bis hin zum Gewinn der Europameisterschaft 1989. Der Kontrast zur »Shootingstars«-Doku, die ganz klar als Werbefilmchen für die laufende EM in der Schweiz gedreht wurde, könnte nicht krasser sein.
Was Bormann, Landers und etliche andere erzählen, erscheint wie Omas Erzählungen aus dem Krieg. Einen ordentlichen Ligabetrieb gab es zu ihrer Zeit lange nicht, weil ja noch nicht mal ein Teambus zur Verfügung stand, der die Frauen von Wattenscheid nach Bergisch Gladbach gefahren hätte. Stattdessen standen sie auf dem Regionalbahnhof und warteten auf den Zug, der auch mal ausfiel oder viel zu spät kam. Trainingszeiten für Frauen wurden freigegeben, nachdem auch die letzte Jungs-Jugendmannschaft am Dienstagabend fertig war, heißt: Training ab 21 Uhr. Konnte man wenigstens noch den Haushalt zu Ende machen.
Und ähnlich wie der Dokufilm »Das Wunder von Taipeh« (2019) erzählen die Frauen von brachialem Sexismus (»Heißer Tanz in heißen Höschen« war die Schlagzeile zum ersten offiziellen Länderspiel der DFB-Frauen gegen die Schweiz 1982) und ihrem unbedingten Willen, gegen allen Widerstand Fußball zu spielen. Dabei merkt man den Frauen an, wie sehr der Fußball für sie eine Befreiung darstellte. Der DFB hatte ihnen das Spiel ja nur aus einem Grund verboten: Man musste unbedingt verhindern, dass zu Hause die Wäsche liegen bleibt und die Kinder verhungern.
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Eine Karriere wie die von Giulia Gwinn wäre damals nicht möglich gewesen. Selbst nach der zweiten schweren Verletzung kommt sie wieder zurück, ist heute Teamkapitänin der Nationalmannschaft. Und das, weil sich der Frauenfußball extrem professionalisiert hat. Eigene Physiotherapeuten, Reha-Konzepte, Aufbautraining, davon konnten Landers und Trabant-Haarbach früher noch nicht mal träumen. Ein Kreuzbandriss war vielfach gleichbedeutend mit dem Karriereende.
Torsten Körner hat mit »Mädchen können kein Fußball spielen« zum wiederholten Mal extreme Fleißarbeit in den Archiven geleistet und zeigt Szenen aus damaligen »Sportschau«-Sendungen, die heute sofort Skandale wären. Damals war es aber normal, dass in den Umkleideräumen der Frauen gefilmt wurde (bei den Männern natürlich nicht). In den Interviewpassagen unter den Zuschauern eines Frauenspiels (es waren ausschließlich Männer) gibt einer zum Besten, was man im Gesicht der anderen nur sehen kann: »Ich bin eigentlich nur hier, um ein bisschen was zum Lachen zu haben.«
Diese Zeiten sind vorbei, das beweisen Imagefilme wie die »Shootingstars«-Doku, in denen es den Spielerinnen nicht mehr darum geht, um Anerkennung zu kämpfen. Als Zuschauer*in bekommt man eher Angst, wie sich der Frauenfußball am besten davor schützen kann, dem Ausverkauf preisgegeben zu werden.
»Mädchen können kein Fußball spielen«: Deutschland 2025. Regie: Torsten Körner. 90 Minuten. Zu sehen am 4. Juli, 23.15 Uhr in der ARD und ab 3. Juli verfügbar in der ARD-Mediathek.
»Shootingstars – Deutschlands neue Fußballgeneration« verfügbar in der ARD-Mediathek.
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