Doppeltes Spiel

Die Unterhändler von Union und SPD kämpfen verzweifelt - mit den Kontrahenten und der eigenen Basis

Das bislang mit Abstand Faszinierendste an den zähen Koalitionsverhandlungen ist die so genannte große Runde. Die Bilder von den gewaltigen Tischarrangements für jeweils 75 Verhandlungsteilnehmer in ebenso gewaltigen Sälen flößen dem Betrachter so etwas wie Ehrfurcht ein. Sie erinnern in ihrer Monumentalität an den Speisesaal in Harry Potters Zauberschule Hogwarts oder an chinesische ZK-Sitzungen. Nicht umsonst wird die große Runde von Vertretern aus CDU, SPD und CSU selbst von Sitzungsteilnehmern als Zentralkomitee bespöttelt. Wenn die Verhandlungen tatsächlich einmal zu einer handlungsfähigen Regierung geführt haben sollten, dann dürfen in den Berichten keinesfalls die Arbeitskräfte vergessen werden, die das Mobiliar für die alle paar Tage an stets wechselnden Orten stattfindenden Mammutkonferenzen eingerichtet haben.

So aufwändige Koalitionsverhandlungen wie dieses Mal hat die Bundesrepublik noch nicht erlebt. Bisher trafen sich üblicherweise Expertenrunden in kleiner Besetzung, besprachen sich mehr oder weniger diskret, und die Parteioberen hatten die Hand drauf. Vor der letzten Großen Koalition 2005 genügten noch knapp halb so viele Unterhändler, und schon damals war die Atmosphäre zwischen den Parteien nach dem Scheitern des großspurigen Gerhard Schröder alles andere als unbelastet.

Auch diesmal denkt die SPD gar nicht erst in Kategorien wie Demut oder Bescheidenheit; sie hätte dazu den falschen Vorsitzenden. Sigmar Gabriel setzt im Gegenteil alles daran, aus der schmerzlichen Wahlniederlage wenigstens einen Verhandlungserfolg zu machen. Gespräche auf Augenhöhe, so lautete die Sprachregelung der Sozialdemokratie von Anfang an. Was zunächst anmaßend und ein wenig lächerlich wirkte, nimmt allmählich tatsächlich Gestalt an. Die SPD hat es fertig gebracht, kaum beeindruckt von Spott und Häme nach der Wahlpleite, die CDU zu attackieren und zu treiben.

Die CDU wiederum steht beinahe nackt da; was sie im Wahlkampf noch als ihren großen und einzigen Trumpf ausspielte: die Popularität der Kanzlerin, das zieht momentan nicht mehr. Angela Merkel macht sich seit einiger Zeit so gut wie unsichtbar; sie lässt ihre Gewährsleute in den Verhandlungsrunden machen und ihren Intimus Ronald Pofalla im Hintergrund die Fäden ziehen. So entsteht der Eindruck, dass die Union, die große Wahlsiegerin, nur noch mit dem Rücken zur Wand die Zudringlichkeiten der SPD abzuwehren versucht, inhaltlich aber nicht mehr zu bieten hat als den Versuch, so viel wie möglich so zu lassen, wie es ist. Selbst die konservative »Frankfurter Allgemeine Zeitung« räsonierte zuletzt darüber und überschrieb einen diesbezüglichen Kommentar mit »Hauptsache Regieren«.

Anfang dieser Woche kommt »das Zentralkomitee«, die große Runde, noch einmal für zwei Tage zusammen. Was dort nicht geklärt werden kann, wird im kleineren Kreis weiter besprochen. Die ganz harten Streitfragen - Gesundheitspolitik, Maut, Arbeitsmarkt, Betreuungsgeld und anderes - sollen dann die Parteichefs unter sechs Augen klären, notfalls bis tief in die Nacht, bevor laut Planung am Mittwoch der Koalitionsvertrag steht. Dann hat die Basis das Wort.

Und das ist neu. Denn Gabriel hat, zur eigenen Absicherung für vier Jahre und als Drohkulisse gegenüber der Union, ans Ende einen Mitgliederentscheid gesetzt. Seitdem steht die SPD-Basis immer mit im Verhandlungsraum. Berichte werden kolportiert, wonach ein Großteil der Genossen eine solche Große Koalition nie wollte oder jetzt erst recht nicht will. Ironie der Geschichte: Nun kommt, durch diesen Druck in Rage gebracht, auch die Führung der CDU auf den basisdemokratischen Geschmack und droht ihrerseits, die Basis mitreden zu lassen. Dort brodelt es auch, weil sich die Parteispitze angeblich zu viel gefallen lässt. Einer Forsa-Umfrage zufolge meinen nur 37 Prozent der Union-Anhänger und sogar nur 21 Prozent der SPD-Sympathisanten, dass ihre Partei bei den Verhandlungen im Vorteil ist.

Vor diesem Hintergrund haben viele Äußerungen von Unterhändlern zwei Adressen, bedienen ein doppeltes Spiel. Wenn SPD-Finanzexperte Joachim Poß mit dem Abbruch der Verhandlungen droht, will er der Union ein paar Zugeständnisse abtrotzen und gleichermaßen der eigenen Mitgliedschaft demonstrieren, dass er das Bestmögliche herausholt. Wenn Horst Seehofer sich bundespolitisch aufplustert, will er für die CSU in Berlin ein paar Pflöcke einschlagen und gleichzeitig gute Stimmung für seinen Parteitag in Bayern machen. Wenn die Generalsekretäre von SPD, CDU und CSU vor der Presse gegen die Gesprächspartner sticheln, steht im Hintergrund auch ihre Perspektive, demnächst womöglich Minister zu sein. Und für ihre dann freiwerdenden Posten laufen sich Kandidaten schon medienwirksam warm.

Was die jetzt mühsam erkämpften Haltungsnoten nach der Regierungsbildung wert sein werden - wer weiß. Bisher hat noch niemand ein wirksames Mittel gegen Angela Merkels einschläfernde, gleichzeitig krakenhaft vereinnahmende Art des Politikmachens gefunden. Gabriel ist klug genug, sich die Schicksale von Gerhard Schröder, Frank-Walter Steinmeier und Peer Steinbrück, von Guido Westerwelle und Philipp Rösler zu vergegenwärtigen - Machtmenschen, die an der Frau im Kanzleramt gescheitert sind. Ganz zu schweigen von der illustren Riege ehrgeiziger Christdemokraten und Christsozialer, die sich an Merkel die Zähne ausgebissen haben.

Am Ende der Verhandlungen, vor allem aber in der irgendwann wohl doch einmal folgenden Regierungsarbeit wird es an entscheidender Stelle darum gehen, wer in den Augen der Öffentlichkeit welche Ergebnisse für sich verbuchen kann. Und darin war Angela Merkel schon immer unbarmherzig gut. Auch zum Leidwesen der Sozialdemokraten.

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