Umschwärmte Erde

Satelliten des »Swarm«-Trios sollen in den nächsten vier Jahren das derzeitige Schwächeln des irdischen Magnetfeldes untersuchen

  • Jacqueline Myrrhe
  • Lesedauer: 4 Min.

Der magnetische Nordpol der Erde ist auf Wanderschaft - seit 180 Jahren. Ziel unbekannt. Steht eine Umpolung unmittelbar bevor? Und: Das Magnetfeld der Erde schwächelt. In 150 Jahren hat es um zehn Prozent abgenommen. Warum? Kann es ganz verloren gehen? So wie die Wissenschaft im Nebel tappt, so erging es vergangene Woche der russischen Rockot-Rakete auf dem Startplatz Plessetzk im Hohen Norden Russlands. Auch dort dicker Nebel. Beim Start in lichtere Höhen hatte der kleine Weltraumtransporter drei identische High-Tech Satelliten mit an Bord - dicht gepackt wie Sardinen. Und so wie die Trägerrakete mit einem perfekten Start dem Nebel trotzte, so erhoffen sich die europäischen Wissenschaftler von den Daten des Satellitentrios bahnbrechende Erkenntnisse über Stärke, Ausrichtung und zeitliche Veränderung des irdischen Magnetfeldes. Die in Deutschland montierten und mit 220 Millionen Euro relativ preiswerten drei Flugkörper wurden etwas großzügig auf den Namen »Swarm« getauft: eher ein Mini-»Schwarm«, der im Formationsflug die Erde umrundet.

Das irdische Magnetfeld wird seit der ersten Hälfte des 19. Jahrhundert gemessen. Zu 95 Prozent kann die Existenz des Magnetfeldes durch die Geodynamo-Theorie erklärt werden, wonach der feste Erdkern von einer zirkulierenden flüssigen, elektrisch leitfähigen Eisenhülle in 2900 Kilometern Tiefe umschlossen wird. Die restlichen fünf Prozent des Magnetfeldes tragen magnetisierte Gesteine, Quellen im erdnahen Kosmos und Ozeanströmungen bei. Diese Komponenten sind mangels globaler Daten bislang nicht genau lokalisiert.

Diese Lücke können nur Raumflugkörper schließen. »Swarm« wurde mit den besten jemals gebauten Instrumenten für Magnetfeldmessungen ausgestattet. Damit die Messungen nicht verfälscht werden, mussten aber auch die Satellitenkonstruktion und der eigentliche Bau magnetisch »sauber« sein.

Die in Frankreich und Dänemark entwickelten Magnetometer sind auf einem vier Meter langen Ausleger montiert, um etwaige Beeinflussungen durch die Solarzellen auf dem Satellitenkörper zu eliminieren. Das Mess-Trio fliegt in einer eigens ausgetüftelten Konstellation, bei der die ersten beiden Satelliten parallel im Abstand von 150 Kilometern zueinander auf Umlaufbahnen in 460 Kilometer Höhe kreisen, während der dritte im 530-Kilometer-Orbit verbleibt. »Das tiefer fliegende Swarm-Paar kann durch seinen Abstand von 150 Kilometern mit einem Stereo-Blick auf das Magnetfeld der Erdkruste schauen«, erklärt Hermann Lühr, einer der drei Initiatoren der Mission und Leiter des Swarm-Projektbüros Deutschland. »Der Satellitenschwarm soll für mindestens vier Jahre aus dem All das Erdmagnetfeld mit bisher unerreichter Präzision vermessen« ergänzt Reinhard Hüttl, Vorstandsvorsitzender des Deutschen GeoForschungsZentrums GFZ Potsdam. Über die Jahre kann so das Magnetfeld nicht nur komplett und dreidimensional, sondern auch in seiner zeitlichen Veränderung bestimmt werden. Erstmalig wird es möglich sein, die verschiedenen Quellen des Erdmagnetfeldes zu unterscheiden und zu erklären.

Für das Leben auf der Erde ist das Magnetfeld ein unverzichtbarer Schutzschild vor energiereicher Strahlung aus dem Weltraum. Ohne den wäre unser Planet vermutlich genau so tot wie der heutige Mars, dem ein solches Magnetfeld fehlt. Interessanterweise zeigen die Jahresringe von Bäumen alle elf Jahre ein verstärktes Wachstum, also immer dann, wenn am Rande der Atmosphäre aufgrund erhöhter Sonnenaktivität besonders heftige Magnetstürme toben. Für unsere technische Zivilisation sind diese Stürme allerdings ein Risiko: »Wenn das Magnetfeld stark variiert, dann werden im Untergrund elektrische Ströme angetrieben«, erläutert Lühr. »Diese Ströme können dazu führen, dass Versorgungsnetze zusammenbrechen, wie man das in Kanada und auch in Schweden erlebt hat. Wir sind im Augenblick gerade dabei zu untersuchen, ob das auch für Deutschland gefährlich ist.«

Bisherige Weltraummissionen wie der vom GFZ Potsdam konzipierte »Champ«-Satellit zeigen deutlich, dass unser Wissen über das terrestrische Magnetfeld mangelhaft und die Prozesse für seine Entstehung bedeutend komplexer als angenommen sind. Reinhard Hüttl kommentierte vergangene Woche den Start der neuen Mission: »Die drei Satelliten sind direkte Entwicklungen aus der Champ-Mission des GFZ, die im Jahre 2000 gestartet wurde. Champ mit seinen Nachfolgern Grace und Swarm erweist sich so als Gründervater einer ganzen Generation von Satelliten und weltraumgestützten Messverfahren.«

Das ist auch ein Hinweis auf ein Projekt seiner Cottbuser Kollegen. An der Brandenburgisch-Technischen Universität Cottbus nämlich wurde das sehr erfolgreich laufende Geoflow-Experiment für die Internationale Raumstation ISS erdacht. Mit Hilfe eines Schalenmodells in einer kleinen künstlichen Erde werden dort die Konvektionsbewegungen im flüssigen äußeren Erdkern simuliert. Die Kombination der mit Hilfe der bemannten Raumfahrt auf der ISS und bei der aktuellen robotischen Schwarmflug-Mission gewonnenen Daten wird helfen, das Schwächeln des wankelmütigen Magnetfeldes unseres Heimatplaneten zu enträtseln.

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